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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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des Abgeordneten Löwe hervor. Herr Windthorst (Meppen) hatte für die
katholische Kirche in Deutschland dieselbe Stellung wie in Amerika verlangt.
Er wurde von Löwe aufmerksam gemacht, daß in Amerika keine Kirche die
starke Hand der Staatsgewalt für den kirchlichen Schutz im Innern zur Ver¬
fügung hat. Löwe ging aber noch weiter und zeigte, daß der deutsche Staat
mit seiner jetzigen Arbeit ein vorbildliches Werk für den Staat aller Kultur¬
völker, auch für das amerikanische Staatswesen in seiner weiteren Entwickelung
vollbringt. Der Staat hat in Amerika noch gar nicht die Stellung als um¬
fassendes Organ des sittlichen Zweckes erlangt. Er überläßt zahlreiche und
große Aufgaben in Betreff der Förderung und Sicherstellung des sittlichen
Zweckes der zufälligen Entwickelung der Gesellschaft und dem Streit ihrer
Gegensätze. So wie der Staat seine Aufgabe ganz und voll erkennt und er¬
faßt, muß sich der Staat mit jeder gesellschaftlichen Bildung auseinandersetzen,
bezw. jeder solchen die nöthigen Bürgschaften auflegen, daß sie an ihrem
Theil den höchsten sittlichen Zweck nicht vereitelt.

Herr v. Mallinkrodt hatte auch davon gesprochen, daß die insolenten
Zumuthungen, welche der Botschafter Benedetti im Namen des napoleonischen
Frankreich zu Ems an den König Wilhelm richtete, officiöse Erfindungen
gewesen seien. Danach schien der Redner die Schuld des Krieges von 1870
auf die preußische Negierung werfen zu wollen. Auch hiergegen erhob der
Abgeordnete Löwe nachdrücklichen Protest, so daß schließlich Herr v. Mallink¬
rodt selbst gegen die aus seiner Rede zu ziehende Schlußfolgerung sich ver¬
wahrte.

Die Sitzung vom 11. Januar mit ihren polizeilich technischen Erörte¬
rungen bei Gelegenheit der Ausgaben für das Ministerium des Innern dürfen
wir übergehen.

Am 14. Januar erfolgte die erste Berathung des Gesetzentwurfs über
eine Anleihe von 120 Millionen Thaler zur Anlegung neuer Staatseisen¬
bahnen. Diese Berathung wurde bemerkenswerth durch einen sehr specificirten
Angriff des Abgeordneten Laster auf die Handhabung der Eisenbahnpolitik,
namentlich bei Ertheilung von Concessionen, durch den gegenwärtigen Handels¬
minister. Der Abgeordnete führte zahlreiche Beispiele an, wo die Concession
nach Gunst ertheilt und von den Begünstigten gemißbraucht worden sein
sollte. Die reine Absicht des Abgeordneten Laster bei diesen schweren An¬
klagen ist über jeden Zweifel erhaben. Wir glauben jedoch an keine absicht¬
lich parteiische Handhabung der Eisenbahnpolitik und insbesondere der Eisen¬
bahnconcessionen. Wir sehen vielmehr in den gerügten Uebelständen den
Beweis der Unmöglichkeit des bisherigen Systems, die Anlegung und Aus¬
beutung der Eisenbahnen zum größten Theil in Privathände zu geben. Es
ist eine Aufgabe, die menschliche Kräfte einfach übersteigt, alle diese nach dem


des Abgeordneten Löwe hervor. Herr Windthorst (Meppen) hatte für die
katholische Kirche in Deutschland dieselbe Stellung wie in Amerika verlangt.
Er wurde von Löwe aufmerksam gemacht, daß in Amerika keine Kirche die
starke Hand der Staatsgewalt für den kirchlichen Schutz im Innern zur Ver¬
fügung hat. Löwe ging aber noch weiter und zeigte, daß der deutsche Staat
mit seiner jetzigen Arbeit ein vorbildliches Werk für den Staat aller Kultur¬
völker, auch für das amerikanische Staatswesen in seiner weiteren Entwickelung
vollbringt. Der Staat hat in Amerika noch gar nicht die Stellung als um¬
fassendes Organ des sittlichen Zweckes erlangt. Er überläßt zahlreiche und
große Aufgaben in Betreff der Förderung und Sicherstellung des sittlichen
Zweckes der zufälligen Entwickelung der Gesellschaft und dem Streit ihrer
Gegensätze. So wie der Staat seine Aufgabe ganz und voll erkennt und er¬
faßt, muß sich der Staat mit jeder gesellschaftlichen Bildung auseinandersetzen,
bezw. jeder solchen die nöthigen Bürgschaften auflegen, daß sie an ihrem
Theil den höchsten sittlichen Zweck nicht vereitelt.

Herr v. Mallinkrodt hatte auch davon gesprochen, daß die insolenten
Zumuthungen, welche der Botschafter Benedetti im Namen des napoleonischen
Frankreich zu Ems an den König Wilhelm richtete, officiöse Erfindungen
gewesen seien. Danach schien der Redner die Schuld des Krieges von 1870
auf die preußische Negierung werfen zu wollen. Auch hiergegen erhob der
Abgeordnete Löwe nachdrücklichen Protest, so daß schließlich Herr v. Mallink¬
rodt selbst gegen die aus seiner Rede zu ziehende Schlußfolgerung sich ver¬
wahrte.

Die Sitzung vom 11. Januar mit ihren polizeilich technischen Erörte¬
rungen bei Gelegenheit der Ausgaben für das Ministerium des Innern dürfen
wir übergehen.

Am 14. Januar erfolgte die erste Berathung des Gesetzentwurfs über
eine Anleihe von 120 Millionen Thaler zur Anlegung neuer Staatseisen¬
bahnen. Diese Berathung wurde bemerkenswerth durch einen sehr specificirten
Angriff des Abgeordneten Laster auf die Handhabung der Eisenbahnpolitik,
namentlich bei Ertheilung von Concessionen, durch den gegenwärtigen Handels¬
minister. Der Abgeordnete führte zahlreiche Beispiele an, wo die Concession
nach Gunst ertheilt und von den Begünstigten gemißbraucht worden sein
sollte. Die reine Absicht des Abgeordneten Laster bei diesen schweren An¬
klagen ist über jeden Zweifel erhaben. Wir glauben jedoch an keine absicht¬
lich parteiische Handhabung der Eisenbahnpolitik und insbesondere der Eisen¬
bahnconcessionen. Wir sehen vielmehr in den gerügten Uebelständen den
Beweis der Unmöglichkeit des bisherigen Systems, die Anlegung und Aus¬
beutung der Eisenbahnen zum größten Theil in Privathände zu geben. Es
ist eine Aufgabe, die menschliche Kräfte einfach übersteigt, alle diese nach dem


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[0163] des Abgeordneten Löwe hervor. Herr Windthorst (Meppen) hatte für die katholische Kirche in Deutschland dieselbe Stellung wie in Amerika verlangt. Er wurde von Löwe aufmerksam gemacht, daß in Amerika keine Kirche die starke Hand der Staatsgewalt für den kirchlichen Schutz im Innern zur Ver¬ fügung hat. Löwe ging aber noch weiter und zeigte, daß der deutsche Staat mit seiner jetzigen Arbeit ein vorbildliches Werk für den Staat aller Kultur¬ völker, auch für das amerikanische Staatswesen in seiner weiteren Entwickelung vollbringt. Der Staat hat in Amerika noch gar nicht die Stellung als um¬ fassendes Organ des sittlichen Zweckes erlangt. Er überläßt zahlreiche und große Aufgaben in Betreff der Förderung und Sicherstellung des sittlichen Zweckes der zufälligen Entwickelung der Gesellschaft und dem Streit ihrer Gegensätze. So wie der Staat seine Aufgabe ganz und voll erkennt und er¬ faßt, muß sich der Staat mit jeder gesellschaftlichen Bildung auseinandersetzen, bezw. jeder solchen die nöthigen Bürgschaften auflegen, daß sie an ihrem Theil den höchsten sittlichen Zweck nicht vereitelt. Herr v. Mallinkrodt hatte auch davon gesprochen, daß die insolenten Zumuthungen, welche der Botschafter Benedetti im Namen des napoleonischen Frankreich zu Ems an den König Wilhelm richtete, officiöse Erfindungen gewesen seien. Danach schien der Redner die Schuld des Krieges von 1870 auf die preußische Negierung werfen zu wollen. Auch hiergegen erhob der Abgeordnete Löwe nachdrücklichen Protest, so daß schließlich Herr v. Mallink¬ rodt selbst gegen die aus seiner Rede zu ziehende Schlußfolgerung sich ver¬ wahrte. Die Sitzung vom 11. Januar mit ihren polizeilich technischen Erörte¬ rungen bei Gelegenheit der Ausgaben für das Ministerium des Innern dürfen wir übergehen. Am 14. Januar erfolgte die erste Berathung des Gesetzentwurfs über eine Anleihe von 120 Millionen Thaler zur Anlegung neuer Staatseisen¬ bahnen. Diese Berathung wurde bemerkenswerth durch einen sehr specificirten Angriff des Abgeordneten Laster auf die Handhabung der Eisenbahnpolitik, namentlich bei Ertheilung von Concessionen, durch den gegenwärtigen Handels¬ minister. Der Abgeordnete führte zahlreiche Beispiele an, wo die Concession nach Gunst ertheilt und von den Begünstigten gemißbraucht worden sein sollte. Die reine Absicht des Abgeordneten Laster bei diesen schweren An¬ klagen ist über jeden Zweifel erhaben. Wir glauben jedoch an keine absicht¬ lich parteiische Handhabung der Eisenbahnpolitik und insbesondere der Eisen¬ bahnconcessionen. Wir sehen vielmehr in den gerügten Uebelständen den Beweis der Unmöglichkeit des bisherigen Systems, die Anlegung und Aus¬ beutung der Eisenbahnen zum größten Theil in Privathände zu geben. Es ist eine Aufgabe, die menschliche Kräfte einfach übersteigt, alle diese nach dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/163>, abgerufen am 24.08.2024.