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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Sterbefälle durch bürgerliche Behörden eingeführt. Später wurde jedoch die
Frage erhoben, ob diese Art des Austritts aus der Kirche den Austretenden
von den Geldleistungen an den bisherigen Kirchenverband befreie. Ein Er¬
kenntniß des Obertribunals hatte entschieden, daß dies nur bei dem gleich¬
zeitigen Eintritt in einen anderen Kirchenverband der Fall sei. Der gegen¬
wärtige Entwurf bestimmt nun, daß die Austrittserklärung von den auf dem
Parochialverbande beruhenden persönlichen Abgaben und Leistungen an die
bisherige Kirchengemeinde ohne Weiteres befreit. Es wird somit im Wesent¬
lichen der Zustand hergestellt, wie ihn das Dissidentengesetz von 1847 ge¬
schaffen, bevor jenes Obertribunalserkenntniß ergangen war. Dieses Gesetz,
falls es in Kraft tritt, wird noch keine erhebliche Wirkung äußern, bevor die
obligatorische Civilehe und die Einführung vollständiger Civilstandsregister mit
ihm verbunden sind.

Der dritte kirchenpolitische Gesetzentwurf betrifft die Ausübung der kirch¬
lichen Disciplinargewalt und die Errichtung eines staatlichen Gerichtshofes für
kirchliche Angelegenheiten. Wenn der schon im vorigen Jahee eingebrachte
und sofort weiter zu erwähnende Gesetzentwurf "über die Grenzen der kirch¬
lichen Straf- und Zuchtmittel" der kirchlichen Strafgewalt von Staatswegen
die nöthigen Schranken gegenüber den weltlichen oder Laienmitgliedern der
Kirche (aller Kirchen) zieht, so zieht der jetzt erwähnte Gesetzentwurf die
Schranken der kirchlichen Strafgewalt gegenüber den geistlichen Mitgliedern
der Kirche. Die Bestimmungen des Entwurfs bezwecken, daß gegen deutsche
Staatsbürger die kirchliche Strafgewalt nur von deutschen kirchlichen Behörden
ausgeübt werde, daß schwere Strafen, also solche, welche gegen die Freiheit
oder das Vermögen gerichtet sind oder die Entfernung aus dem Amt bewirken,
nur im Wege eines geordneten Verfahrens verhängt werden. Für die Strafen
werden nach Art und Umfang bestimmte Grenzen gezogen. Es wird endlich
die Art und Weise der staatlichen Aufsicht über die Ausübung der kirchlichen
Disciplinargewalt festgesetzt, es wird eine Berufung an den Staat gegen den
Mißbrauch dieser Gewalt eingeführt, es wird das Einschreiten des Staats
gegen solche Kirchendiener, welche den Staatsgesetzen zuwiderhandeln, geregelt
und es wird endlich zur Entscheidung der Berufungen gegen kirchliche Be¬
hörden an den Staat sowie zur Wahrnehmung des staatlichen Einschreitens
gegen ungesetzliche Handlungen der Kirchendiener ein staatlicher Gerichtshof für
kirchliche Angelegenheiten errichtet.

Der vierte kirchenpolitische Gesetzentwurf, welcher die Grenzen der kirch¬
lichen Strafmittel gegenüber der Laienwelt betrifft, sichert in seinen sechs Pa¬
ragraphen folgende Grundsätze: die kirchlichen Strafmittel müssen dem rein
religiösen Gebiet angehören; sie dürfen nicht verhängt werden, um den Gehor¬
sam gegen die Staatsgewalt zu bestrafen, bezw. den Ungehorsam gegen


Grenzboten 1873. I. 2l)

Sterbefälle durch bürgerliche Behörden eingeführt. Später wurde jedoch die
Frage erhoben, ob diese Art des Austritts aus der Kirche den Austretenden
von den Geldleistungen an den bisherigen Kirchenverband befreie. Ein Er¬
kenntniß des Obertribunals hatte entschieden, daß dies nur bei dem gleich¬
zeitigen Eintritt in einen anderen Kirchenverband der Fall sei. Der gegen¬
wärtige Entwurf bestimmt nun, daß die Austrittserklärung von den auf dem
Parochialverbande beruhenden persönlichen Abgaben und Leistungen an die
bisherige Kirchengemeinde ohne Weiteres befreit. Es wird somit im Wesent¬
lichen der Zustand hergestellt, wie ihn das Dissidentengesetz von 1847 ge¬
schaffen, bevor jenes Obertribunalserkenntniß ergangen war. Dieses Gesetz,
falls es in Kraft tritt, wird noch keine erhebliche Wirkung äußern, bevor die
obligatorische Civilehe und die Einführung vollständiger Civilstandsregister mit
ihm verbunden sind.

Der dritte kirchenpolitische Gesetzentwurf betrifft die Ausübung der kirch¬
lichen Disciplinargewalt und die Errichtung eines staatlichen Gerichtshofes für
kirchliche Angelegenheiten. Wenn der schon im vorigen Jahee eingebrachte
und sofort weiter zu erwähnende Gesetzentwurf „über die Grenzen der kirch¬
lichen Straf- und Zuchtmittel" der kirchlichen Strafgewalt von Staatswegen
die nöthigen Schranken gegenüber den weltlichen oder Laienmitgliedern der
Kirche (aller Kirchen) zieht, so zieht der jetzt erwähnte Gesetzentwurf die
Schranken der kirchlichen Strafgewalt gegenüber den geistlichen Mitgliedern
der Kirche. Die Bestimmungen des Entwurfs bezwecken, daß gegen deutsche
Staatsbürger die kirchliche Strafgewalt nur von deutschen kirchlichen Behörden
ausgeübt werde, daß schwere Strafen, also solche, welche gegen die Freiheit
oder das Vermögen gerichtet sind oder die Entfernung aus dem Amt bewirken,
nur im Wege eines geordneten Verfahrens verhängt werden. Für die Strafen
werden nach Art und Umfang bestimmte Grenzen gezogen. Es wird endlich
die Art und Weise der staatlichen Aufsicht über die Ausübung der kirchlichen
Disciplinargewalt festgesetzt, es wird eine Berufung an den Staat gegen den
Mißbrauch dieser Gewalt eingeführt, es wird das Einschreiten des Staats
gegen solche Kirchendiener, welche den Staatsgesetzen zuwiderhandeln, geregelt
und es wird endlich zur Entscheidung der Berufungen gegen kirchliche Be¬
hörden an den Staat sowie zur Wahrnehmung des staatlichen Einschreitens
gegen ungesetzliche Handlungen der Kirchendiener ein staatlicher Gerichtshof für
kirchliche Angelegenheiten errichtet.

Der vierte kirchenpolitische Gesetzentwurf, welcher die Grenzen der kirch¬
lichen Strafmittel gegenüber der Laienwelt betrifft, sichert in seinen sechs Pa¬
ragraphen folgende Grundsätze: die kirchlichen Strafmittel müssen dem rein
religiösen Gebiet angehören; sie dürfen nicht verhängt werden, um den Gehor¬
sam gegen die Staatsgewalt zu bestrafen, bezw. den Ungehorsam gegen


Grenzboten 1873. I. 2l)
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/161>, abgerufen am 24.08.2024.