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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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wohlhabender Bürger Brügge's, der 1480 im Auftrage des Adrian Reims,
Vorstehers des Hospitals der barmherzigen Schwestern, das im Hospital noch
jetzt aufgestellte Reliquienhäuschen, den Schrein der heil. Ursula, mit sechs
köstlichen Oelbildern von höchster Anmuth ausstattete. Es kann kaum einen
größeren Gegensatz geben, als die titanenhaften Compositionen Wiertz's und
diese Memling'schen Miniaturbilder von wunderbar zarter Empfindung und
vollendeter Formenschönheit. Die Gemälde (auf Feldern von 7 Zoll Breite)
stellen den Zug der heil. Ursula über Köln und Basel nach Rom, den Em¬
pfang der Ursula und der h. Jungfrauen durch den Papst Se. Cyriaeus, die
Rückkehr und endlich den Tod der h. Ursula in Köln dar. Bemerkenswerth
ist auch die Treue, mit der die Localität Kölns am Dom und Groß
Se. Martin auf den Bildern sich wiedergegeben findet. In demselben Hospital
wird auch Memling's bedeutendstes Werk: der Johannesaltar oder die Ver¬
mählung der h. Katharina (1489) aufbewahrt, ein Flügelbild, in dem die
Gemüthsinnigkeit und poetische Tiefe des flandrischen Meisters, welcher das
Leben der h. Jungfrau vorzugsweise zu Vorwürfen seiner Gemälde nahm,
herrlich ausgeprägt sind. Auf dem Hauptbilde thront Maria auf einem
Sessel, das Kind hält in der linken Hand einen Apfel und steckt der knieenden
h. Katharina den Ring an. Die Gestalten Johannes des Täufers, der h.
Barbara, sowie die Flügelbilder mit Scenen aus der Vision des Evangelisten
Johannes vervollständigen die Darstellung, deren Schönheit den Beschauer
entzückt. Leider rief uns die unerbittlich fliehende Zeit auf den Bahnhof und
fort gings nach Ost ende, wo die neuen Hafenanlagen und Digues, die
Debarcadöre der Dampfer von Dover und der Leuchtthurm besucht werden
mußten, und wir das überwältigende Naturgemälde der unendlichen See vor
uns auftauchen sahen.


G. T.


Dom preußischen Landtag.

In meinen diesjährigen Briefen bin ich noch wenig auf die Landtags¬
verhandlungen gekommen, weil die Krisis im Staatsministerium, deren Vor¬
handensein nachgerade wohl Niemand ableugnen wird, Raum und Aufmerk¬
samkeit ausschließlich in Anspruch nahm. Heute will ich mit dem Landtag
beginnen.

In den letzten Sitzungen des vorigen Jahres hatte das Abgeordnetenhaus
noch einige provinzielle Vorlagen, Schleswig-Holstein betreffend, in 3. Lesung


wohlhabender Bürger Brügge's, der 1480 im Auftrage des Adrian Reims,
Vorstehers des Hospitals der barmherzigen Schwestern, das im Hospital noch
jetzt aufgestellte Reliquienhäuschen, den Schrein der heil. Ursula, mit sechs
köstlichen Oelbildern von höchster Anmuth ausstattete. Es kann kaum einen
größeren Gegensatz geben, als die titanenhaften Compositionen Wiertz's und
diese Memling'schen Miniaturbilder von wunderbar zarter Empfindung und
vollendeter Formenschönheit. Die Gemälde (auf Feldern von 7 Zoll Breite)
stellen den Zug der heil. Ursula über Köln und Basel nach Rom, den Em¬
pfang der Ursula und der h. Jungfrauen durch den Papst Se. Cyriaeus, die
Rückkehr und endlich den Tod der h. Ursula in Köln dar. Bemerkenswerth
ist auch die Treue, mit der die Localität Kölns am Dom und Groß
Se. Martin auf den Bildern sich wiedergegeben findet. In demselben Hospital
wird auch Memling's bedeutendstes Werk: der Johannesaltar oder die Ver¬
mählung der h. Katharina (1489) aufbewahrt, ein Flügelbild, in dem die
Gemüthsinnigkeit und poetische Tiefe des flandrischen Meisters, welcher das
Leben der h. Jungfrau vorzugsweise zu Vorwürfen seiner Gemälde nahm,
herrlich ausgeprägt sind. Auf dem Hauptbilde thront Maria auf einem
Sessel, das Kind hält in der linken Hand einen Apfel und steckt der knieenden
h. Katharina den Ring an. Die Gestalten Johannes des Täufers, der h.
Barbara, sowie die Flügelbilder mit Scenen aus der Vision des Evangelisten
Johannes vervollständigen die Darstellung, deren Schönheit den Beschauer
entzückt. Leider rief uns die unerbittlich fliehende Zeit auf den Bahnhof und
fort gings nach Ost ende, wo die neuen Hafenanlagen und Digues, die
Debarcadöre der Dampfer von Dover und der Leuchtthurm besucht werden
mußten, und wir das überwältigende Naturgemälde der unendlichen See vor
uns auftauchen sahen.


G. T.


Dom preußischen Landtag.

In meinen diesjährigen Briefen bin ich noch wenig auf die Landtags¬
verhandlungen gekommen, weil die Krisis im Staatsministerium, deren Vor¬
handensein nachgerade wohl Niemand ableugnen wird, Raum und Aufmerk¬
samkeit ausschließlich in Anspruch nahm. Heute will ich mit dem Landtag
beginnen.

In den letzten Sitzungen des vorigen Jahres hatte das Abgeordnetenhaus
noch einige provinzielle Vorlagen, Schleswig-Holstein betreffend, in 3. Lesung


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[0158] wohlhabender Bürger Brügge's, der 1480 im Auftrage des Adrian Reims, Vorstehers des Hospitals der barmherzigen Schwestern, das im Hospital noch jetzt aufgestellte Reliquienhäuschen, den Schrein der heil. Ursula, mit sechs köstlichen Oelbildern von höchster Anmuth ausstattete. Es kann kaum einen größeren Gegensatz geben, als die titanenhaften Compositionen Wiertz's und diese Memling'schen Miniaturbilder von wunderbar zarter Empfindung und vollendeter Formenschönheit. Die Gemälde (auf Feldern von 7 Zoll Breite) stellen den Zug der heil. Ursula über Köln und Basel nach Rom, den Em¬ pfang der Ursula und der h. Jungfrauen durch den Papst Se. Cyriaeus, die Rückkehr und endlich den Tod der h. Ursula in Köln dar. Bemerkenswerth ist auch die Treue, mit der die Localität Kölns am Dom und Groß Se. Martin auf den Bildern sich wiedergegeben findet. In demselben Hospital wird auch Memling's bedeutendstes Werk: der Johannesaltar oder die Ver¬ mählung der h. Katharina (1489) aufbewahrt, ein Flügelbild, in dem die Gemüthsinnigkeit und poetische Tiefe des flandrischen Meisters, welcher das Leben der h. Jungfrau vorzugsweise zu Vorwürfen seiner Gemälde nahm, herrlich ausgeprägt sind. Auf dem Hauptbilde thront Maria auf einem Sessel, das Kind hält in der linken Hand einen Apfel und steckt der knieenden h. Katharina den Ring an. Die Gestalten Johannes des Täufers, der h. Barbara, sowie die Flügelbilder mit Scenen aus der Vision des Evangelisten Johannes vervollständigen die Darstellung, deren Schönheit den Beschauer entzückt. Leider rief uns die unerbittlich fliehende Zeit auf den Bahnhof und fort gings nach Ost ende, wo die neuen Hafenanlagen und Digues, die Debarcadöre der Dampfer von Dover und der Leuchtthurm besucht werden mußten, und wir das überwältigende Naturgemälde der unendlichen See vor uns auftauchen sahen. G. T. Dom preußischen Landtag. In meinen diesjährigen Briefen bin ich noch wenig auf die Landtags¬ verhandlungen gekommen, weil die Krisis im Staatsministerium, deren Vor¬ handensein nachgerade wohl Niemand ableugnen wird, Raum und Aufmerk¬ samkeit ausschließlich in Anspruch nahm. Heute will ich mit dem Landtag beginnen. In den letzten Sitzungen des vorigen Jahres hatte das Abgeordnetenhaus noch einige provinzielle Vorlagen, Schleswig-Holstein betreffend, in 3. Lesung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/158>, abgerufen am 24.08.2024.