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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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rienmaler aus; seine ausschweifende Phantasie verlangte nach dem Lorbeer des
Rubens, nach der Wiederherstellung der alten brabantischen Schule. 1832
erhielt er den Preis, welcher den Weg nach Rom öffnete; dort an der Wiege
der Klassicität zogen ihn Michel Angelo's grandiose Schöpfungen am meisten
an. Die erste Frucht seines Studiums war (1836) das riesenhafte, 30 Fuß
lange, 20 Fuß hohe Gemälde, welches den Streit der Griechen und Troer
um Patroklos Leichnam darstellt, trotz der Schönheiten der Komposition und
Ausführung aber nicht den vom Künstler gehofften Beifall erlangte. Von
1840 bis 1848 lebte Wiertz in tiefem Seelenschmerze über den Mißerfolg aber
in ungebrochener Kraft und rüstigem Schaffen bei seiner Mutter in Lüttich'
nach deren Tode er nach Brüssel übersiedelte, wo sein "Triomphe du Christ",
ein Tableau von 23 Fuß Höhe und 40 Fuß Breite, entstand. Mit diesem
gewaltigen, durch dramatisches Leben und hohe Originalität ausgezeichneten
Gemälde war sein Ruf begründet. Nicht den gebrochen am Kreuze sterbenden
Christus wollte Wiertz darstellen, wie ihn van Dyck's Pinsel mit solcher
Wahrheit und Innerlichkeit uns vorführt, sondern den Märtyrer einer neuen
großartigen Idee, den Christus, von dessen Erscheinen und Wirken eine Re-
volutisn des geistigen Lebens, eine moralische Umwälzung, eine Unterdrückung
des Unrechts, mit einem Wort die Befreiung der Welt von der Tyrannei des
Barbarenthums datirt: ein philosophisches Sujet von mächtiger Wahrheit.
Christi Haupt erscheint bleich und demuthsvoll in dem Bilde Wiertz's auf
düsteren Wolken am Kreuze. Rings umher tobt wilder Kampf. Dämonen,
die alte Schlange, Lucifer und seine Gehülfen drängen heran, aber die Engel
des Lichts stürzen mit unwiderstehlicher Gewalt auf die Gruppe der bösen
Geister; das Böse fällt in die dunkeln Abgründe der Eumeniden, getroffen von
dem Arm des mächtigen Himmelsboten, des Erzengels, dessen Antlitz von hoher
Weihe, von heiligem Zorn erfüllt ist; es triumphirt die befreiende Idee des
Gekreuzigten, die Morgenröthe einer neuen Zeit. Alles ist dramatisch in dieser
gigantischen Composition. deren Contraste wunderbar ergreifen, weil sie von
tiefer, energischer Begeisterung inspirirt sind-- Der Besitz des eigenen Ateliers,
das Wiertz diesem Bilde verdankte, gab ihm die Möglichkeit weiteren Schaffens;
er ging an eine Reform der Oelmalerei, indem er namentlich das Blenden
und Flimmern der Farben, welches den vollen Genuß eines Oelgemäldes ver¬
kümmert, durch Annahme einer neuen Methode verhüten wollte; dieselbe sollte
die Vorzüge des al Fresco-Malens mit denjenigen der Oelmalerei vereinigen
und demnach das Ideal der Kunsthöhe verwirklichen.

Aus diesen Bestrebungen entstand Wiertz's "psintui-o in^to", jene Me¬
thode der Freseomalerei auf Leinwand, wenn dieser Ausdruck gestattet ist.
Die Farbe wird so dünn aufgetragen, daß ein Bruch, ein Abspringen u. s. w.
der Farben völlig ausgeschlossen bleibt, was namentlich für die Conservirung


rienmaler aus; seine ausschweifende Phantasie verlangte nach dem Lorbeer des
Rubens, nach der Wiederherstellung der alten brabantischen Schule. 1832
erhielt er den Preis, welcher den Weg nach Rom öffnete; dort an der Wiege
der Klassicität zogen ihn Michel Angelo's grandiose Schöpfungen am meisten
an. Die erste Frucht seines Studiums war (1836) das riesenhafte, 30 Fuß
lange, 20 Fuß hohe Gemälde, welches den Streit der Griechen und Troer
um Patroklos Leichnam darstellt, trotz der Schönheiten der Komposition und
Ausführung aber nicht den vom Künstler gehofften Beifall erlangte. Von
1840 bis 1848 lebte Wiertz in tiefem Seelenschmerze über den Mißerfolg aber
in ungebrochener Kraft und rüstigem Schaffen bei seiner Mutter in Lüttich'
nach deren Tode er nach Brüssel übersiedelte, wo sein „Triomphe du Christ",
ein Tableau von 23 Fuß Höhe und 40 Fuß Breite, entstand. Mit diesem
gewaltigen, durch dramatisches Leben und hohe Originalität ausgezeichneten
Gemälde war sein Ruf begründet. Nicht den gebrochen am Kreuze sterbenden
Christus wollte Wiertz darstellen, wie ihn van Dyck's Pinsel mit solcher
Wahrheit und Innerlichkeit uns vorführt, sondern den Märtyrer einer neuen
großartigen Idee, den Christus, von dessen Erscheinen und Wirken eine Re-
volutisn des geistigen Lebens, eine moralische Umwälzung, eine Unterdrückung
des Unrechts, mit einem Wort die Befreiung der Welt von der Tyrannei des
Barbarenthums datirt: ein philosophisches Sujet von mächtiger Wahrheit.
Christi Haupt erscheint bleich und demuthsvoll in dem Bilde Wiertz's auf
düsteren Wolken am Kreuze. Rings umher tobt wilder Kampf. Dämonen,
die alte Schlange, Lucifer und seine Gehülfen drängen heran, aber die Engel
des Lichts stürzen mit unwiderstehlicher Gewalt auf die Gruppe der bösen
Geister; das Böse fällt in die dunkeln Abgründe der Eumeniden, getroffen von
dem Arm des mächtigen Himmelsboten, des Erzengels, dessen Antlitz von hoher
Weihe, von heiligem Zorn erfüllt ist; es triumphirt die befreiende Idee des
Gekreuzigten, die Morgenröthe einer neuen Zeit. Alles ist dramatisch in dieser
gigantischen Composition. deren Contraste wunderbar ergreifen, weil sie von
tiefer, energischer Begeisterung inspirirt sind— Der Besitz des eigenen Ateliers,
das Wiertz diesem Bilde verdankte, gab ihm die Möglichkeit weiteren Schaffens;
er ging an eine Reform der Oelmalerei, indem er namentlich das Blenden
und Flimmern der Farben, welches den vollen Genuß eines Oelgemäldes ver¬
kümmert, durch Annahme einer neuen Methode verhüten wollte; dieselbe sollte
die Vorzüge des al Fresco-Malens mit denjenigen der Oelmalerei vereinigen
und demnach das Ideal der Kunsthöhe verwirklichen.

Aus diesen Bestrebungen entstand Wiertz's „psintui-o in^to", jene Me¬
thode der Freseomalerei auf Leinwand, wenn dieser Ausdruck gestattet ist.
Die Farbe wird so dünn aufgetragen, daß ein Bruch, ein Abspringen u. s. w.
der Farben völlig ausgeschlossen bleibt, was namentlich für die Conservirung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/156>, abgerufen am 24.08.2024.