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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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demselben Tage mußte die Provinzialcorrespondenz ihren Artikel vom 27. De¬
cember modistciren. Sie behielt die Ansicht zwar bei, daß das nunmehrige
Ministerium Roon dem Geiste nach dasselbe sein werde, wie das formell nicht
mehr bestehende Ministerium Bismarck, aber sie mußte natürlich die Thatsache
anerkennen, daß die Enthebung des Fürsten Bismarck vom Vorsitz die Folge
gehabt habe, dem Ministerium ein neues Haupt zu geben. Diese Dinge haben,
wie der neue Ministerpräsident sich später im Abgeordnetenhaus ausdrückte,
viel Staub aufgewirbelt. Es wurde sogleich die Vermuthung laut, Fürst Bis¬
marck habe ein hauptloses Ministerium gewollt, um, ohne es nominell zu sein,
das wirkliche Haupt zu bleiben; er sei mit diesem Plane unterlegen. Als ob
dergleichen halbe, unklare Maßregeln nach dem Geschmack des Fürsten Bis¬
marck wären, als ob seine sonstige Praxis solche Auskunftsmittel zeigte! Es
war im Grunde leicht zu sehen, daß die Cabinetsordre vom 2 t. December
den Vorsitz im Staatsministerium nur interimistisch geregelt hatte. Man
konnte die baldige definitive Regelung sogleich erwarten. Das Mißverständ¬
niß wurde eigentlich nur durch die Provinzialcorrespondenz hervorgerufen,
welche auf den gleichsam offen gebliebenen Präsidialstuhl ein irrthümliches Ge¬
wicht legte. Kann aber ein halbamtliches Organ nicht einmal aus Mangel
an genügender Information die erst halb vorliegenden Thatsachen irrig deuten?
Die Beunruhigung der öffentlichen Meinung durch die Annahme, das Prä-
sidium des Grafen Roon bedeute eine Niederlage Bismarcks, war inzwischen
so groß geworden, daß am 6. Januar sogar der Staatsanzeiger das Wort
nahm, um die ursprüngliche Auffassung der Provinzialcorrespondenz zu bestä¬
tigen, daß das nunmehrige Ministerium Roon unter eigenem Namen und
unter eigener Verantwortung die Politik des Reichskanzlers in jeder Beziehung
fortzuführen Willens und im Stande sein werde. Dies geschah am Tage vor
der Wiedereröffnung der Landtagsfitzungen. Als die Abgeordneten am 7. Ja¬
nuar wieder zusammentraten und der Haushalt des Ministeriums des Innern
zur zweiten Berathung stand, gab der Abgeordnete Laster den Zweifeln Aus¬
druck, ob das Ministerium Roon die Politik Bismarck in den innern Angele¬
genheiten Preußens fortsetzen werde. Nach derselben Richtung sprach in seiner
wenig angemessenen Ausdrucksweise der Abgeordnete Virchow. Laster führte
als Zweifelsgrund an, daß Graf Roon Gegner der Kreisordnung ge¬
wesen sei. Dies war jedoch ein bloßes Gerücht und zwar ein falsches, wie
aus den nicht anzuzweifelnden Erklärungen des Ministers des Innern und
des Ministerpräsidenten hervorgeht. Herr Virchow führte als Zweiselsgrund
an, daß Graf Roon sich noch niemals als Strohmann gezeigt habe. Solche
cynische Art zu reden ist ein trauriges Vorrecht gewisser Oppositions-
Wortführer in Deutschland. In England herrscht im Parlament der Ton
der gebildeten Gesellschaft, und Ausnahmen werden nicht geduldet, oder die
Redner, welche in einen plebejischen Ton verfallen, werden als unzurechnungs-


demselben Tage mußte die Provinzialcorrespondenz ihren Artikel vom 27. De¬
cember modistciren. Sie behielt die Ansicht zwar bei, daß das nunmehrige
Ministerium Roon dem Geiste nach dasselbe sein werde, wie das formell nicht
mehr bestehende Ministerium Bismarck, aber sie mußte natürlich die Thatsache
anerkennen, daß die Enthebung des Fürsten Bismarck vom Vorsitz die Folge
gehabt habe, dem Ministerium ein neues Haupt zu geben. Diese Dinge haben,
wie der neue Ministerpräsident sich später im Abgeordnetenhaus ausdrückte,
viel Staub aufgewirbelt. Es wurde sogleich die Vermuthung laut, Fürst Bis¬
marck habe ein hauptloses Ministerium gewollt, um, ohne es nominell zu sein,
das wirkliche Haupt zu bleiben; er sei mit diesem Plane unterlegen. Als ob
dergleichen halbe, unklare Maßregeln nach dem Geschmack des Fürsten Bis¬
marck wären, als ob seine sonstige Praxis solche Auskunftsmittel zeigte! Es
war im Grunde leicht zu sehen, daß die Cabinetsordre vom 2 t. December
den Vorsitz im Staatsministerium nur interimistisch geregelt hatte. Man
konnte die baldige definitive Regelung sogleich erwarten. Das Mißverständ¬
niß wurde eigentlich nur durch die Provinzialcorrespondenz hervorgerufen,
welche auf den gleichsam offen gebliebenen Präsidialstuhl ein irrthümliches Ge¬
wicht legte. Kann aber ein halbamtliches Organ nicht einmal aus Mangel
an genügender Information die erst halb vorliegenden Thatsachen irrig deuten?
Die Beunruhigung der öffentlichen Meinung durch die Annahme, das Prä-
sidium des Grafen Roon bedeute eine Niederlage Bismarcks, war inzwischen
so groß geworden, daß am 6. Januar sogar der Staatsanzeiger das Wort
nahm, um die ursprüngliche Auffassung der Provinzialcorrespondenz zu bestä¬
tigen, daß das nunmehrige Ministerium Roon unter eigenem Namen und
unter eigener Verantwortung die Politik des Reichskanzlers in jeder Beziehung
fortzuführen Willens und im Stande sein werde. Dies geschah am Tage vor
der Wiedereröffnung der Landtagsfitzungen. Als die Abgeordneten am 7. Ja¬
nuar wieder zusammentraten und der Haushalt des Ministeriums des Innern
zur zweiten Berathung stand, gab der Abgeordnete Laster den Zweifeln Aus¬
druck, ob das Ministerium Roon die Politik Bismarck in den innern Angele¬
genheiten Preußens fortsetzen werde. Nach derselben Richtung sprach in seiner
wenig angemessenen Ausdrucksweise der Abgeordnete Virchow. Laster führte
als Zweifelsgrund an, daß Graf Roon Gegner der Kreisordnung ge¬
wesen sei. Dies war jedoch ein bloßes Gerücht und zwar ein falsches, wie
aus den nicht anzuzweifelnden Erklärungen des Ministers des Innern und
des Ministerpräsidenten hervorgeht. Herr Virchow führte als Zweiselsgrund
an, daß Graf Roon sich noch niemals als Strohmann gezeigt habe. Solche
cynische Art zu reden ist ein trauriges Vorrecht gewisser Oppositions-
Wortführer in Deutschland. In England herrscht im Parlament der Ton
der gebildeten Gesellschaft, und Ausnahmen werden nicht geduldet, oder die
Redner, welche in einen plebejischen Ton verfallen, werden als unzurechnungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/123>, abgerufen am 24.08.2024.