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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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wahren und das allein habe ihn angetrieben, auf die Vermehrung seines
Vermögens bedacht zu sein. Er habe sich ein Haus an der Ringstraße ge¬
kauft, weil ihm die Vexationen der Hausbesitzer unbequem geworden seien,
sowie ein zweites in einer Vorstadt und außerdem eine Villa, weil sie ihm
zu billigen Preisen angeboten worden. Wie leicht und bequem macht sich doch
alles in dem Munde eines Volksredners; wenn doch auch Andere, die von der
Wohnungsnoth in Wien zu leiden haben, so leicht zu ein paar Häusern
kommen könnten!

Der Vorwurf aber, daß er nichts gegen die Mißbräuche und Uebelstände
der Lemberg-Czernowitzer Bahn unternommen habe, wies er einfach damit
ab, daß Galizien soweit von Wien abgelegen sei und man doch unmöglich
von einem Verwaltungsrath verlangen könne, daß er an Ort und Stelle sich
selber nach dem Stand der Sache umsehe. Mit solchen nichtigen Ausreden
kann freilich Alles entschuldigt werden. Uebrigens war es seinen Zuhörern
auch gar illae um eine eigentliche Rechtfertigung zu thun. Nur Wenige
wagten eine Jnterpellation und Zweifel an seinen Aussagen zu erheben; die
große Masse aber schrie mit lauter Stimme ihr Bravo und votirte ihrem
Giskra, dem Mann der Börse und Verwaltungsräthe, ein Vertrauens- und
Dankesvotum. So endete diese Comödie. Aber wenn die Claque Beifall
klatscht, so zischen die ehrlichen Leute. Die politische Rolle des Dr. Giskra
ist hoffentlich auch in Oesterreich ausgespielt. In den Spalten der großen
Bank- und Börsenblätter wird er allein noch mit andern fictiven Werthen
gerühmt. Die abhängige Presse aber setzt ihn mit Ofenheim auf eine Bank.




?om preußischen Landtag.

Als ich Ihnen am 29. December v. Jahres über die Enthebung des Fürsten
Bismarck vom Vorsitz im preußischen Staatsministerium schrieb, legte ich gar
kein Gewicht auf den Umstand, daß der Vorsitz nicht auf eine bestimmte Per¬
sönlichkeit übergehen sollte, sondern auf das jeweilig anwesende älteste Mit¬
glied des Ministeriums. So hatte die Cabinetsordre vom 21. December v.
Jahres bestimmt. Ich legte kein Gewicht auf diesen Umstand, obwohl ich in
meinem damaligen Briefe bereits die Provinzialcorrespondenz vom 27. Decem¬
ber berücksichtigte, welche aus diesem Umstand unter Anderem herzuleiten
suchte, daß Fürst Bismarck nach wie vor die Seele und das geistige Haupt
des Ministeriums bleiben werde. Am 2. Januar erschien nun aber eine neue
Cabinetsordre vom 1. Januar, worin Graf Roon zum dauernden Präsidenten
des Staatsministeriums und der General v. Kameke zum zweiten Chef der
Armeeverwaltung mit dem Rang eines Staatsministers ernannt wurden. An


wahren und das allein habe ihn angetrieben, auf die Vermehrung seines
Vermögens bedacht zu sein. Er habe sich ein Haus an der Ringstraße ge¬
kauft, weil ihm die Vexationen der Hausbesitzer unbequem geworden seien,
sowie ein zweites in einer Vorstadt und außerdem eine Villa, weil sie ihm
zu billigen Preisen angeboten worden. Wie leicht und bequem macht sich doch
alles in dem Munde eines Volksredners; wenn doch auch Andere, die von der
Wohnungsnoth in Wien zu leiden haben, so leicht zu ein paar Häusern
kommen könnten!

Der Vorwurf aber, daß er nichts gegen die Mißbräuche und Uebelstände
der Lemberg-Czernowitzer Bahn unternommen habe, wies er einfach damit
ab, daß Galizien soweit von Wien abgelegen sei und man doch unmöglich
von einem Verwaltungsrath verlangen könne, daß er an Ort und Stelle sich
selber nach dem Stand der Sache umsehe. Mit solchen nichtigen Ausreden
kann freilich Alles entschuldigt werden. Uebrigens war es seinen Zuhörern
auch gar illae um eine eigentliche Rechtfertigung zu thun. Nur Wenige
wagten eine Jnterpellation und Zweifel an seinen Aussagen zu erheben; die
große Masse aber schrie mit lauter Stimme ihr Bravo und votirte ihrem
Giskra, dem Mann der Börse und Verwaltungsräthe, ein Vertrauens- und
Dankesvotum. So endete diese Comödie. Aber wenn die Claque Beifall
klatscht, so zischen die ehrlichen Leute. Die politische Rolle des Dr. Giskra
ist hoffentlich auch in Oesterreich ausgespielt. In den Spalten der großen
Bank- und Börsenblätter wird er allein noch mit andern fictiven Werthen
gerühmt. Die abhängige Presse aber setzt ihn mit Ofenheim auf eine Bank.




?om preußischen Landtag.

Als ich Ihnen am 29. December v. Jahres über die Enthebung des Fürsten
Bismarck vom Vorsitz im preußischen Staatsministerium schrieb, legte ich gar
kein Gewicht auf den Umstand, daß der Vorsitz nicht auf eine bestimmte Per¬
sönlichkeit übergehen sollte, sondern auf das jeweilig anwesende älteste Mit¬
glied des Ministeriums. So hatte die Cabinetsordre vom 21. December v.
Jahres bestimmt. Ich legte kein Gewicht auf diesen Umstand, obwohl ich in
meinem damaligen Briefe bereits die Provinzialcorrespondenz vom 27. Decem¬
ber berücksichtigte, welche aus diesem Umstand unter Anderem herzuleiten
suchte, daß Fürst Bismarck nach wie vor die Seele und das geistige Haupt
des Ministeriums bleiben werde. Am 2. Januar erschien nun aber eine neue
Cabinetsordre vom 1. Januar, worin Graf Roon zum dauernden Präsidenten
des Staatsministeriums und der General v. Kameke zum zweiten Chef der
Armeeverwaltung mit dem Rang eines Staatsministers ernannt wurden. An


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/122>, abgerufen am 24.08.2024.