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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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ausgeschieden, als die Sequestration verhängt wurde? -- Ist es wirklich be¬
gründet, daß er für dieselbe Bahn, für die er im Verwaltungsrath saß,
Lieferungsgeschäfte gemacht, Holz und Bahnschwellen aus seinen eigenen
Waldungen an sie geliefert hat? Was ist wahr oder unwahr an jenen Trans¬
actionen mit Baugründen, die Ritter von Ofenheim ihm zu äußerst vorteil¬
haften Bedingungen, aber auch zu besondern Absichten überlassen hat? Wie
verhält es sich damit, daß Dr. Giskra die Erhöhung der Tantieme für die
Verwaltungsräthe der Lemberg-Czernowitzer Bahn beantragte? Wie hat er
sich in seiner Function als Deputirter und als Mitglied des Finanzaus¬
schusses bei den Prüfungen der Zuschüsse für diese Bahn verhalten? Inwie¬
fern hat er als Minister seinen Amtseinfluß benutzt, jener Bahn Begünstigungen
zuzuwenden? Was ist endlich daran, daß Dr. Giskra als Präsident der
Franco-Bank bei der Constituirung der Hotel-Actiengesellschaft "Goldenes
Lamm" 100,000 Gulden als ExtraHonorar verlangte? Solche und noch eine
ganze Reihe ähnlicher Fragen wurden an den weiland Bürgerminister öffent¬
lich, in den verschiedensten Organen erhoben und durch die Anführung von
Thatsachen die Nothwendigkeit ihrer Beantwortung so dringend als möglich
gemacht. Es war eine nicht zu leugnende Thatsache, daß Dr. Giskra
in wenigen Jahren ein großartiges Vermögen zusammengeschlagen hatte,
welches mindestens eine Million beträgt. Es war gewiß, daß die Wege zur
Erlangung dieses Vermögens das Licht der Oeffentlichkeit keineswegs als er¬
freuliche Zugabe begrüßen konnten, und das Attribut größter Reinlichkeit
stellenweise nicht verdienten. Wie nun aber die öffentliche Meinung immer
dringender Rechenschaft verlangte, war Dr. Giskra doch ein viel zu aufrichtiger
Verehrer der parlamentarischen Sitte, als daß er darauf nicht hätte eingehen sollen.

Er berief also seine Wähler aus der höchsten Steuerclasse des ersten
Wahlbezirks der innern Stadt Wien dorthin, wo diese sich so recht zu Hause
fühlen, nämlich in den Saal der provisorischen Börse am Schottenring. Dort
wurde eine Rechtfertigungskomödie vom Stapel gelassen, die sich würdig der
Ofenheim'sehen Oratio pro pomo vor den Actionären der Lemberg-Czerno-
witzer Bahn an die Seite setzt. Was bekam man da nicht alles zu hören?
Ernstes und Heiteres war bunt durcheinander gemischt und auch das melo¬
dramatische Element nicht vergessen; es war ein Lust- und Thränenspiel im
höheren Stil. Eine eigentliche Vertheidigung, eine Widerlegung der schweren
Anklagen bekam man freilich nicht zu hören, dafür führte aber or. Giskra
sich als das rührende Vorbild eines sorgsamen Familienvaters, als Paradigma
des römisch-rechtlichen äiliMns Mer tswili-z.8 vor, der bei allen seinen Hand-
lungen nur an Frau und Kinder denkt. Er schilderte seine Jugendjahre, wo
er oft nur zwei oder dreimal wöchentlich eine warme Suppe gehabt habe und
mit zerrissenen Stiefeln herumgelaufen sei. Da habe er denn den unausrott.
baren Drang in sich gefühlt, seine Angehörigen vor gleichen Sorgen zu be"


Grenzboten 1873. I. 15

ausgeschieden, als die Sequestration verhängt wurde? — Ist es wirklich be¬
gründet, daß er für dieselbe Bahn, für die er im Verwaltungsrath saß,
Lieferungsgeschäfte gemacht, Holz und Bahnschwellen aus seinen eigenen
Waldungen an sie geliefert hat? Was ist wahr oder unwahr an jenen Trans¬
actionen mit Baugründen, die Ritter von Ofenheim ihm zu äußerst vorteil¬
haften Bedingungen, aber auch zu besondern Absichten überlassen hat? Wie
verhält es sich damit, daß Dr. Giskra die Erhöhung der Tantieme für die
Verwaltungsräthe der Lemberg-Czernowitzer Bahn beantragte? Wie hat er
sich in seiner Function als Deputirter und als Mitglied des Finanzaus¬
schusses bei den Prüfungen der Zuschüsse für diese Bahn verhalten? Inwie¬
fern hat er als Minister seinen Amtseinfluß benutzt, jener Bahn Begünstigungen
zuzuwenden? Was ist endlich daran, daß Dr. Giskra als Präsident der
Franco-Bank bei der Constituirung der Hotel-Actiengesellschaft „Goldenes
Lamm" 100,000 Gulden als ExtraHonorar verlangte? Solche und noch eine
ganze Reihe ähnlicher Fragen wurden an den weiland Bürgerminister öffent¬
lich, in den verschiedensten Organen erhoben und durch die Anführung von
Thatsachen die Nothwendigkeit ihrer Beantwortung so dringend als möglich
gemacht. Es war eine nicht zu leugnende Thatsache, daß Dr. Giskra
in wenigen Jahren ein großartiges Vermögen zusammengeschlagen hatte,
welches mindestens eine Million beträgt. Es war gewiß, daß die Wege zur
Erlangung dieses Vermögens das Licht der Oeffentlichkeit keineswegs als er¬
freuliche Zugabe begrüßen konnten, und das Attribut größter Reinlichkeit
stellenweise nicht verdienten. Wie nun aber die öffentliche Meinung immer
dringender Rechenschaft verlangte, war Dr. Giskra doch ein viel zu aufrichtiger
Verehrer der parlamentarischen Sitte, als daß er darauf nicht hätte eingehen sollen.

Er berief also seine Wähler aus der höchsten Steuerclasse des ersten
Wahlbezirks der innern Stadt Wien dorthin, wo diese sich so recht zu Hause
fühlen, nämlich in den Saal der provisorischen Börse am Schottenring. Dort
wurde eine Rechtfertigungskomödie vom Stapel gelassen, die sich würdig der
Ofenheim'sehen Oratio pro pomo vor den Actionären der Lemberg-Czerno-
witzer Bahn an die Seite setzt. Was bekam man da nicht alles zu hören?
Ernstes und Heiteres war bunt durcheinander gemischt und auch das melo¬
dramatische Element nicht vergessen; es war ein Lust- und Thränenspiel im
höheren Stil. Eine eigentliche Vertheidigung, eine Widerlegung der schweren
Anklagen bekam man freilich nicht zu hören, dafür führte aber or. Giskra
sich als das rührende Vorbild eines sorgsamen Familienvaters, als Paradigma
des römisch-rechtlichen äiliMns Mer tswili-z.8 vor, der bei allen seinen Hand-
lungen nur an Frau und Kinder denkt. Er schilderte seine Jugendjahre, wo
er oft nur zwei oder dreimal wöchentlich eine warme Suppe gehabt habe und
mit zerrissenen Stiefeln herumgelaufen sei. Da habe er denn den unausrott.
baren Drang in sich gefühlt, seine Angehörigen vor gleichen Sorgen zu be»


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/121>, abgerufen am 24.08.2024.