Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sprechenden deutschen Sprichwörter gesetzt, sondern gleich diesen mit Nummern
versehen, als ob es ebenfalls deutsche Sprichwörter wären, und oft sogar ganz
selbstständig ohne jeglichen Bezug auf deutsche angeführt. So finden wir
z. B. auf Seite 6 unter "Aasgeier" lauter negerenglische Sprichwörter aus
Surinam, auf Seite 125 unter "Arbuse" und "Archimandrit" lauter russische
Sprichwörter, auf Seite 42 unter "Alausa" wiederum blos negerenglische, und
fast auf jeder Seite begegnen uns ausländische Bekannte in einem oft wun¬
derbaren deutschen, wir möchten glauben "Wärter'schen" Gewände, wie: "der
Appetit kommt im Essen" (S. 112), öder: "Advocatenfedern und Winzer¬
messer schneiden gleich gut" (S. 34), ein italienisches Sprichwort, dessen Origi¬
nal in wörtlicher Uebersetzung lautet: "Die Feder des Advocaten ist ein Wein¬
lesemesser". Zu besserer Belehrung des Lesers erläutert Herr Wärter das
Sprichworts?): "Affen und Pudel lassen sich nur einmal anführen" mit den
Worten: "Die Menschen haben das Vorrecht, zeitlebens Esel zu bleiben"; und
setzt auf Seite 84 unter Ur. 52: "Wohl angefangen ist halb gethan," die
geistreiche Bemerkung:


"Manche Geschäfte haben eine wahre Wolfsnatur; wer sie nicht am schwachen Theile faßt,
wird von ihnen zerrissen."

Auch fügt er für diejenigen seiner Leser, welche sechs fremder Sprachen
mächtig sind, bei vielen Sprichwörtern sogenannte analoge aus dem Englischen,
Französischen, Holländischen, Italienischen, Lateinischen und Ungarischen bei.
Damit ist indessen keineswegs gesagt, daß die vermeintlichen ausländischen
Parallelstellen immer am rechten Platze stehen. So lesen wir z. B. auf S. 8
neben dem deutschen "Sprichwort": "Lieber ohne Abendbrot zu Bette gehen,
als mit Schulden aufstehen", das französische: ?g.im kalt ainer, Msse-tewps
Souper, und auf Seite 58: "Mit Alten soll man rathschlagen und mit den
Jungen fechten." italienisch: Lus occa-illo ta solcdi ärltti (Alter Ochse macht
gerade Furchen).

Herr Wärter erklärt in seiner Vorrede zum 1. Bande (S. XIII), daß,
wenn ein fremdes Sprichwort nicht an der rechten Stelle stehe, dies von
"Nicht wesentlicher Bedeutung sei, indem er nicht die Zeit darauf verwenden
könne, um immer den richtigen Platz zu finden, und gesteht in einem andern
Blatte zu. daß er "die europäischen Sprachen nicht besitze." -- Das Letztere
glauben wir ihm auf's Wort. Sonst würde er auf Seite 49 bei "All¬
zuscharf" nicht abgeschrieben haben (vlämisch): ,Ms sekerx wookt scliu-
aräigk"; Seite 58 unter Ur. 77: "Me z^ounZ peoxle Zrunts Ms tinz
via 8vo", und auf Seite 60 unter Ur. 42: vimllessö sse un plaisg-ut
tÄräiZAu"; wir begreifen nicht recht, warum Wärter überhaupt in ein deut¬
sches Sprichwörter-Lexikon Sprichwörter aus Sprachen aufgenommen, die
er nicht versteht, und was ein Autor, der ein nationales Werk schaffen


sprechenden deutschen Sprichwörter gesetzt, sondern gleich diesen mit Nummern
versehen, als ob es ebenfalls deutsche Sprichwörter wären, und oft sogar ganz
selbstständig ohne jeglichen Bezug auf deutsche angeführt. So finden wir
z. B. auf Seite 6 unter „Aasgeier" lauter negerenglische Sprichwörter aus
Surinam, auf Seite 125 unter „Arbuse" und „Archimandrit" lauter russische
Sprichwörter, auf Seite 42 unter „Alausa" wiederum blos negerenglische, und
fast auf jeder Seite begegnen uns ausländische Bekannte in einem oft wun¬
derbaren deutschen, wir möchten glauben „Wärter'schen" Gewände, wie: „der
Appetit kommt im Essen" (S. 112), öder: „Advocatenfedern und Winzer¬
messer schneiden gleich gut" (S. 34), ein italienisches Sprichwort, dessen Origi¬
nal in wörtlicher Uebersetzung lautet: „Die Feder des Advocaten ist ein Wein¬
lesemesser". Zu besserer Belehrung des Lesers erläutert Herr Wärter das
Sprichworts?): „Affen und Pudel lassen sich nur einmal anführen" mit den
Worten: „Die Menschen haben das Vorrecht, zeitlebens Esel zu bleiben"; und
setzt auf Seite 84 unter Ur. 52: „Wohl angefangen ist halb gethan," die
geistreiche Bemerkung:


„Manche Geschäfte haben eine wahre Wolfsnatur; wer sie nicht am schwachen Theile faßt,
wird von ihnen zerrissen."

Auch fügt er für diejenigen seiner Leser, welche sechs fremder Sprachen
mächtig sind, bei vielen Sprichwörtern sogenannte analoge aus dem Englischen,
Französischen, Holländischen, Italienischen, Lateinischen und Ungarischen bei.
Damit ist indessen keineswegs gesagt, daß die vermeintlichen ausländischen
Parallelstellen immer am rechten Platze stehen. So lesen wir z. B. auf S. 8
neben dem deutschen „Sprichwort": „Lieber ohne Abendbrot zu Bette gehen,
als mit Schulden aufstehen", das französische: ?g.im kalt ainer, Msse-tewps
Souper, und auf Seite 58: „Mit Alten soll man rathschlagen und mit den
Jungen fechten." italienisch: Lus occa-illo ta solcdi ärltti (Alter Ochse macht
gerade Furchen).

Herr Wärter erklärt in seiner Vorrede zum 1. Bande (S. XIII), daß,
wenn ein fremdes Sprichwort nicht an der rechten Stelle stehe, dies von
"Nicht wesentlicher Bedeutung sei, indem er nicht die Zeit darauf verwenden
könne, um immer den richtigen Platz zu finden, und gesteht in einem andern
Blatte zu. daß er „die europäischen Sprachen nicht besitze." — Das Letztere
glauben wir ihm auf's Wort. Sonst würde er auf Seite 49 bei „All¬
zuscharf" nicht abgeschrieben haben (vlämisch): ,Ms sekerx wookt scliu-
aräigk«; Seite 58 unter Ur. 77: „Me z^ounZ peoxle Zrunts Ms tinz
via 8vo", und auf Seite 60 unter Ur. 42: vimllessö sse un plaisg-ut
tÄräiZAu"; wir begreifen nicht recht, warum Wärter überhaupt in ein deut¬
sches Sprichwörter-Lexikon Sprichwörter aus Sprachen aufgenommen, die
er nicht versteht, und was ein Autor, der ein nationales Werk schaffen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129107"/>
          <p xml:id="ID_395" prev="#ID_394"> sprechenden deutschen Sprichwörter gesetzt, sondern gleich diesen mit Nummern<lb/>
versehen, als ob es ebenfalls deutsche Sprichwörter wären, und oft sogar ganz<lb/>
selbstständig ohne jeglichen Bezug auf deutsche angeführt. So finden wir<lb/>
z. B. auf Seite 6 unter &#x201E;Aasgeier" lauter negerenglische Sprichwörter aus<lb/>
Surinam, auf Seite 125 unter &#x201E;Arbuse" und &#x201E;Archimandrit" lauter russische<lb/>
Sprichwörter, auf Seite 42 unter &#x201E;Alausa" wiederum blos negerenglische, und<lb/>
fast auf jeder Seite begegnen uns ausländische Bekannte in einem oft wun¬<lb/>
derbaren deutschen, wir möchten glauben &#x201E;Wärter'schen" Gewände, wie: &#x201E;der<lb/>
Appetit kommt im Essen" (S. 112), öder: &#x201E;Advocatenfedern und Winzer¬<lb/>
messer schneiden gleich gut" (S. 34), ein italienisches Sprichwort, dessen Origi¬<lb/>
nal in wörtlicher Uebersetzung lautet: &#x201E;Die Feder des Advocaten ist ein Wein¬<lb/>
lesemesser". Zu besserer Belehrung des Lesers erläutert Herr Wärter das<lb/>
Sprichworts?): &#x201E;Affen und Pudel lassen sich nur einmal anführen" mit den<lb/>
Worten: &#x201E;Die Menschen haben das Vorrecht, zeitlebens Esel zu bleiben"; und<lb/>
setzt auf Seite 84 unter Ur. 52: &#x201E;Wohl angefangen ist halb gethan," die<lb/>
geistreiche Bemerkung:</p><lb/>
          <quote> &#x201E;Manche Geschäfte haben eine wahre Wolfsnatur; wer sie nicht am schwachen Theile faßt,<lb/>
wird von ihnen zerrissen."</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_396"> Auch fügt er für diejenigen seiner Leser, welche sechs fremder Sprachen<lb/>
mächtig sind, bei vielen Sprichwörtern sogenannte analoge aus dem Englischen,<lb/>
Französischen, Holländischen, Italienischen, Lateinischen und Ungarischen bei.<lb/>
Damit ist indessen keineswegs gesagt, daß die vermeintlichen ausländischen<lb/>
Parallelstellen immer am rechten Platze stehen. So lesen wir z. B. auf S. 8<lb/>
neben dem deutschen &#x201E;Sprichwort": &#x201E;Lieber ohne Abendbrot zu Bette gehen,<lb/>
als mit Schulden aufstehen", das französische: ?g.im kalt ainer, Msse-tewps<lb/>
Souper, und auf Seite 58: &#x201E;Mit Alten soll man rathschlagen und mit den<lb/>
Jungen fechten." italienisch: Lus occa-illo ta solcdi ärltti (Alter Ochse macht<lb/>
gerade Furchen).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_397" next="#ID_398"> Herr Wärter erklärt in seiner Vorrede zum 1. Bande (S. XIII), daß,<lb/>
wenn ein fremdes Sprichwort nicht an der rechten Stelle stehe, dies von<lb/>
"Nicht wesentlicher Bedeutung sei, indem er nicht die Zeit darauf verwenden<lb/>
könne, um immer den richtigen Platz zu finden, und gesteht in einem andern<lb/>
Blatte zu. daß er &#x201E;die europäischen Sprachen nicht besitze." &#x2014; Das Letztere<lb/>
glauben wir ihm auf's Wort. Sonst würde er auf Seite 49 bei &#x201E;All¬<lb/>
zuscharf" nicht abgeschrieben haben (vlämisch): ,Ms sekerx wookt scliu-<lb/>
aräigk«; Seite 58 unter Ur. 77: &#x201E;Me z^ounZ peoxle Zrunts Ms tinz<lb/>
via 8vo", und auf Seite 60 unter Ur. 42: vimllessö sse un plaisg-ut<lb/>
tÄräiZAu"; wir begreifen nicht recht, warum Wärter überhaupt in ein deut¬<lb/>
sches Sprichwörter-Lexikon Sprichwörter aus Sprachen aufgenommen, die<lb/>
er nicht versteht, und was ein Autor, der ein nationales Werk schaffen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0115] sprechenden deutschen Sprichwörter gesetzt, sondern gleich diesen mit Nummern versehen, als ob es ebenfalls deutsche Sprichwörter wären, und oft sogar ganz selbstständig ohne jeglichen Bezug auf deutsche angeführt. So finden wir z. B. auf Seite 6 unter „Aasgeier" lauter negerenglische Sprichwörter aus Surinam, auf Seite 125 unter „Arbuse" und „Archimandrit" lauter russische Sprichwörter, auf Seite 42 unter „Alausa" wiederum blos negerenglische, und fast auf jeder Seite begegnen uns ausländische Bekannte in einem oft wun¬ derbaren deutschen, wir möchten glauben „Wärter'schen" Gewände, wie: „der Appetit kommt im Essen" (S. 112), öder: „Advocatenfedern und Winzer¬ messer schneiden gleich gut" (S. 34), ein italienisches Sprichwort, dessen Origi¬ nal in wörtlicher Uebersetzung lautet: „Die Feder des Advocaten ist ein Wein¬ lesemesser". Zu besserer Belehrung des Lesers erläutert Herr Wärter das Sprichworts?): „Affen und Pudel lassen sich nur einmal anführen" mit den Worten: „Die Menschen haben das Vorrecht, zeitlebens Esel zu bleiben"; und setzt auf Seite 84 unter Ur. 52: „Wohl angefangen ist halb gethan," die geistreiche Bemerkung: „Manche Geschäfte haben eine wahre Wolfsnatur; wer sie nicht am schwachen Theile faßt, wird von ihnen zerrissen." Auch fügt er für diejenigen seiner Leser, welche sechs fremder Sprachen mächtig sind, bei vielen Sprichwörtern sogenannte analoge aus dem Englischen, Französischen, Holländischen, Italienischen, Lateinischen und Ungarischen bei. Damit ist indessen keineswegs gesagt, daß die vermeintlichen ausländischen Parallelstellen immer am rechten Platze stehen. So lesen wir z. B. auf S. 8 neben dem deutschen „Sprichwort": „Lieber ohne Abendbrot zu Bette gehen, als mit Schulden aufstehen", das französische: ?g.im kalt ainer, Msse-tewps Souper, und auf Seite 58: „Mit Alten soll man rathschlagen und mit den Jungen fechten." italienisch: Lus occa-illo ta solcdi ärltti (Alter Ochse macht gerade Furchen). Herr Wärter erklärt in seiner Vorrede zum 1. Bande (S. XIII), daß, wenn ein fremdes Sprichwort nicht an der rechten Stelle stehe, dies von "Nicht wesentlicher Bedeutung sei, indem er nicht die Zeit darauf verwenden könne, um immer den richtigen Platz zu finden, und gesteht in einem andern Blatte zu. daß er „die europäischen Sprachen nicht besitze." — Das Letztere glauben wir ihm auf's Wort. Sonst würde er auf Seite 49 bei „All¬ zuscharf" nicht abgeschrieben haben (vlämisch): ,Ms sekerx wookt scliu- aräigk«; Seite 58 unter Ur. 77: „Me z^ounZ peoxle Zrunts Ms tinz via 8vo", und auf Seite 60 unter Ur. 42: vimllessö sse un plaisg-ut tÄräiZAu"; wir begreifen nicht recht, warum Wärter überhaupt in ein deut¬ sches Sprichwörter-Lexikon Sprichwörter aus Sprachen aufgenommen, die er nicht versteht, und was ein Autor, der ein nationales Werk schaffen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/115
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/115>, abgerufen am 25.08.2024.