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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Wieder ein paar Tage, und ein anderer "Wohlunterrichteter" schreibt
daß es dem Großwessir gelungen ist, sehr erhebliche Ersparnisse im Staats¬
haushalt einzuführen. Der Sultan wird künftig nicht mehr wie bisher den
extravaganten Gelüsten seines Harems nachgeben und das Geld millionen¬
weise zum Fenster seines Palastes in Dolmabagdsche hinauswerfen, die
Minister werden seinem Beispiel folgen, die Paschas sich nicht mehr be¬
stechen lassen und nicht im Mindesten mehr plündern und veruntreuen, sondern
Schiffe und Wagen voll Geld aus den Zöllen und Steuern einschicken, auf
daß der Schatz voll werde.

Die Woche darauf schreibt man dem Blatte aus Skutari, daß der böse
Czernagorze in sich gegangen und zu der Einsicht gelangt ist, daß es ihm
dienlicher, mit dem benachbarten Vali zusammen die Friedenspfeife zu rauchen,
als Pulverrauch aufsteigen zu lassen. Tags nachher Brief aus Belgrad, die
Zwornikfrage ist so gut wie entschieden, und es giebt im Norden keinerlei
schwarze Punkte mehr, und zu gleicher Zeit Brief aus Bagdad, das Mlayrt
ist völlig beruhigt, es blüht wie ein Garten, der intelligente Gouverneur
geht mit großartigen und verheißungsvoller Plänen um, es noch viel
blühender zu machen.

Dritte Woche: Großer Leitartikel über Freiheit, Selbstbestimmung der
Völker, Recht zur Revolution gegenüber schlechten Fürsten. Beispiel der
Thronwechsel in Griechenland. Was war Otto der Baier? EwigeL Genörgel
gegen die Pforte, Räuberunwesen, Bedrohung des europäischen Friedens im
Großen und Kleinen. Was ist der neue Basileus der Hellenen? Ruhe, ewiger
Friede, herzliches Einvernehmen mit dem Nachbar Pascha, die Räuber hüten
fortan Ziegen und Lämmer mit rosenrothen Bändern um den Hals, dazu,
wie billig und selbstverständlich, reiche Olivenernte, ditto Korinthenlese, gute
Weinjahre.

Vierte und fünfte Wache: Türken und immer wieder Türken, vorn im
Leitartikel, hinten im volkswirthschaftlichen Theil, oben in den Correspondenzen
und unten im Feuilleton, und überall nichts als gute Nachrichten, nicht bloß
in Prosa, sogar in Versen, die ein alter türkischer Poet, für die Gelegenheit
wieder ausgegraben, zum Beweis, wie behaglich sichs in der Fülle orientalischen
Lebens schwelgt, liefern muß.

Sechste Woche: Vorn in Telegramm, hinten noch einmal unter der
Rubrik "Türkei" großes Ereigniß: Nagelneuer Großwessir, der Alles auf den
Kopf stellen, alle Mißbräuche, die noch übrig, sofort abschaffen wird. Der
Handelsminister ein Talent ersten Ranges, wo nicht Genie, der Finanzminister
eminenter Volkswirth, der Adam Smiths "Reichthum der Völker" ins tür¬
kische übersetzt hat.


Wieder ein paar Tage, und ein anderer „Wohlunterrichteter" schreibt
daß es dem Großwessir gelungen ist, sehr erhebliche Ersparnisse im Staats¬
haushalt einzuführen. Der Sultan wird künftig nicht mehr wie bisher den
extravaganten Gelüsten seines Harems nachgeben und das Geld millionen¬
weise zum Fenster seines Palastes in Dolmabagdsche hinauswerfen, die
Minister werden seinem Beispiel folgen, die Paschas sich nicht mehr be¬
stechen lassen und nicht im Mindesten mehr plündern und veruntreuen, sondern
Schiffe und Wagen voll Geld aus den Zöllen und Steuern einschicken, auf
daß der Schatz voll werde.

Die Woche darauf schreibt man dem Blatte aus Skutari, daß der böse
Czernagorze in sich gegangen und zu der Einsicht gelangt ist, daß es ihm
dienlicher, mit dem benachbarten Vali zusammen die Friedenspfeife zu rauchen,
als Pulverrauch aufsteigen zu lassen. Tags nachher Brief aus Belgrad, die
Zwornikfrage ist so gut wie entschieden, und es giebt im Norden keinerlei
schwarze Punkte mehr, und zu gleicher Zeit Brief aus Bagdad, das Mlayrt
ist völlig beruhigt, es blüht wie ein Garten, der intelligente Gouverneur
geht mit großartigen und verheißungsvoller Plänen um, es noch viel
blühender zu machen.

Dritte Woche: Großer Leitartikel über Freiheit, Selbstbestimmung der
Völker, Recht zur Revolution gegenüber schlechten Fürsten. Beispiel der
Thronwechsel in Griechenland. Was war Otto der Baier? EwigeL Genörgel
gegen die Pforte, Räuberunwesen, Bedrohung des europäischen Friedens im
Großen und Kleinen. Was ist der neue Basileus der Hellenen? Ruhe, ewiger
Friede, herzliches Einvernehmen mit dem Nachbar Pascha, die Räuber hüten
fortan Ziegen und Lämmer mit rosenrothen Bändern um den Hals, dazu,
wie billig und selbstverständlich, reiche Olivenernte, ditto Korinthenlese, gute
Weinjahre.

Vierte und fünfte Wache: Türken und immer wieder Türken, vorn im
Leitartikel, hinten im volkswirthschaftlichen Theil, oben in den Correspondenzen
und unten im Feuilleton, und überall nichts als gute Nachrichten, nicht bloß
in Prosa, sogar in Versen, die ein alter türkischer Poet, für die Gelegenheit
wieder ausgegraben, zum Beweis, wie behaglich sichs in der Fülle orientalischen
Lebens schwelgt, liefern muß.

Sechste Woche: Vorn in Telegramm, hinten noch einmal unter der
Rubrik „Türkei" großes Ereigniß: Nagelneuer Großwessir, der Alles auf den
Kopf stellen, alle Mißbräuche, die noch übrig, sofort abschaffen wird. Der
Handelsminister ein Talent ersten Ranges, wo nicht Genie, der Finanzminister
eminenter Volkswirth, der Adam Smiths „Reichthum der Völker" ins tür¬
kische übersetzt hat.


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[0112] Wieder ein paar Tage, und ein anderer „Wohlunterrichteter" schreibt daß es dem Großwessir gelungen ist, sehr erhebliche Ersparnisse im Staats¬ haushalt einzuführen. Der Sultan wird künftig nicht mehr wie bisher den extravaganten Gelüsten seines Harems nachgeben und das Geld millionen¬ weise zum Fenster seines Palastes in Dolmabagdsche hinauswerfen, die Minister werden seinem Beispiel folgen, die Paschas sich nicht mehr be¬ stechen lassen und nicht im Mindesten mehr plündern und veruntreuen, sondern Schiffe und Wagen voll Geld aus den Zöllen und Steuern einschicken, auf daß der Schatz voll werde. Die Woche darauf schreibt man dem Blatte aus Skutari, daß der böse Czernagorze in sich gegangen und zu der Einsicht gelangt ist, daß es ihm dienlicher, mit dem benachbarten Vali zusammen die Friedenspfeife zu rauchen, als Pulverrauch aufsteigen zu lassen. Tags nachher Brief aus Belgrad, die Zwornikfrage ist so gut wie entschieden, und es giebt im Norden keinerlei schwarze Punkte mehr, und zu gleicher Zeit Brief aus Bagdad, das Mlayrt ist völlig beruhigt, es blüht wie ein Garten, der intelligente Gouverneur geht mit großartigen und verheißungsvoller Plänen um, es noch viel blühender zu machen. Dritte Woche: Großer Leitartikel über Freiheit, Selbstbestimmung der Völker, Recht zur Revolution gegenüber schlechten Fürsten. Beispiel der Thronwechsel in Griechenland. Was war Otto der Baier? EwigeL Genörgel gegen die Pforte, Räuberunwesen, Bedrohung des europäischen Friedens im Großen und Kleinen. Was ist der neue Basileus der Hellenen? Ruhe, ewiger Friede, herzliches Einvernehmen mit dem Nachbar Pascha, die Räuber hüten fortan Ziegen und Lämmer mit rosenrothen Bändern um den Hals, dazu, wie billig und selbstverständlich, reiche Olivenernte, ditto Korinthenlese, gute Weinjahre. Vierte und fünfte Wache: Türken und immer wieder Türken, vorn im Leitartikel, hinten im volkswirthschaftlichen Theil, oben in den Correspondenzen und unten im Feuilleton, und überall nichts als gute Nachrichten, nicht bloß in Prosa, sogar in Versen, die ein alter türkischer Poet, für die Gelegenheit wieder ausgegraben, zum Beweis, wie behaglich sichs in der Fülle orientalischen Lebens schwelgt, liefern muß. Sechste Woche: Vorn in Telegramm, hinten noch einmal unter der Rubrik „Türkei" großes Ereigniß: Nagelneuer Großwessir, der Alles auf den Kopf stellen, alle Mißbräuche, die noch übrig, sofort abschaffen wird. Der Handelsminister ein Talent ersten Ranges, wo nicht Genie, der Finanzminister eminenter Volkswirth, der Adam Smiths „Reichthum der Völker" ins tür¬ kische übersetzt hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/112>, abgerufen am 25.08.2024.