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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Tagesblättern mit den Netzen dieser Vogelsteller überspannt waren, nicht weniger
bekannt das Schema und Recept, nach welchem die Lockspeise im Wesentlichen
zubereitet zu werden pflegt. Dagegen möchte dem größeren Publicum minder
bekannt sein, daß eine nicht geringe Anzahl der Blätter, die sich in den Händen
von einzelnen Börsenmännern oder Gesellschaften solcher befinden, auch im re-
dactionellen Theile ihrer Zeitung für die Zwecke ihrer Besitzer, die Unter¬
bringung von Antheilen an industriellen Unternehmungen, von Eisenbcchnaetien,
von Anleihen u. d. mehr oder weniger verschämt Reclame zu machen und
die Curse in die Höhe zu treiben sich bemüht.

Nie hätte der Schwindel mit der Spitzeder-Bank eine so ungeheure Aus¬
dehnung gewinnen und so viel Unglück unter den kleinen Leuten in Stadt
und Land anrichten können, wenn das Fräulein, welches die betreffende Bank
gründete und leitete, sich nicht in vortrefflichster Weise auf die Kunst verstan¬
den hätte, ihr Geschäft der arglosen Welt zu empfehlen.

Zunächst hatte sie von dem belgischen Schwindler Langrand-Dumonceau
gelernt, der "das Capital christianisiren" wollte und mit dieser Phrase eine
Menge sehr vornehmer Ultramontaner bethörte, ihm ihre Gelder anzuvertrauen,
zuletzt aber kläglich -- vielleicht auch klüglich -- Bankerott machte. Der Un¬
terschied zwischen dem Herrn und der Dame war nur, daß jener die Reichen
der Partei zu Passagieren auf seinem Glücküschiffe gewann, während die Spitz-
eder die niedere Classe zu bewegen wußte, auf dem ihren Fahrbillets zu neh¬
men. Sie besorgte das auf recht geschickte Manier. Geistliche der Partei
mußten verbreiten, daß sie eine wahre Heilige sei, und wenn die Heiligkeit
darin besteht, daß man seine Zimmer mit frommen Sprüchen, Bildern und
Kruzifixen schmückt, daß man sich selbst ein sechs Zoll langes goldnes Kreuz
vor die Brust hängt und damit selbst im Theater erscheint, daß man die Wall¬
fahrten zur schwarzen Mutter Gottes in Altötting mitmacht, zu Kirchenbauten
und zu Errichtung von katholischen Gesellcnhäusern erkleckliche Summen bei¬
steuert und diese Spenden an die große Glocke hängt, statt die linke Hand
nicht wissen zu lassen, was die rechte thut, so war sie eine ganz exemplarische
Heilige.

Dabei vernachlässigte sie aber auch nicht, was andere Speculcinten zur
Förderung ihrer Absichten thaten: sie gründete selbst eine Zeitung, kaufte sich
durch Geschenke und Darlehen zwei andere Blätter und ließ sich von diesen
mit Gedichten an die "Mutter der Armen", an die "gütige Fee" u. d., mit
Leitartikeln und Entresilets aufs Kräftigste beweihräuchern.

Natürlich hielt das Volk jene frommen Allüren und diesen Zeitungsweih¬
rauch für echt, wie es die Urnana der medicinischen Charlatane für heilsam
und preiswürdig hielt. Ungeheure Zinsen, die ihm nicht sowohl für seine
Einlagen in die Bank, als von denselben gezahlt wurden, halfen bei dem


Tagesblättern mit den Netzen dieser Vogelsteller überspannt waren, nicht weniger
bekannt das Schema und Recept, nach welchem die Lockspeise im Wesentlichen
zubereitet zu werden pflegt. Dagegen möchte dem größeren Publicum minder
bekannt sein, daß eine nicht geringe Anzahl der Blätter, die sich in den Händen
von einzelnen Börsenmännern oder Gesellschaften solcher befinden, auch im re-
dactionellen Theile ihrer Zeitung für die Zwecke ihrer Besitzer, die Unter¬
bringung von Antheilen an industriellen Unternehmungen, von Eisenbcchnaetien,
von Anleihen u. d. mehr oder weniger verschämt Reclame zu machen und
die Curse in die Höhe zu treiben sich bemüht.

Nie hätte der Schwindel mit der Spitzeder-Bank eine so ungeheure Aus¬
dehnung gewinnen und so viel Unglück unter den kleinen Leuten in Stadt
und Land anrichten können, wenn das Fräulein, welches die betreffende Bank
gründete und leitete, sich nicht in vortrefflichster Weise auf die Kunst verstan¬
den hätte, ihr Geschäft der arglosen Welt zu empfehlen.

Zunächst hatte sie von dem belgischen Schwindler Langrand-Dumonceau
gelernt, der „das Capital christianisiren" wollte und mit dieser Phrase eine
Menge sehr vornehmer Ultramontaner bethörte, ihm ihre Gelder anzuvertrauen,
zuletzt aber kläglich — vielleicht auch klüglich — Bankerott machte. Der Un¬
terschied zwischen dem Herrn und der Dame war nur, daß jener die Reichen
der Partei zu Passagieren auf seinem Glücküschiffe gewann, während die Spitz-
eder die niedere Classe zu bewegen wußte, auf dem ihren Fahrbillets zu neh¬
men. Sie besorgte das auf recht geschickte Manier. Geistliche der Partei
mußten verbreiten, daß sie eine wahre Heilige sei, und wenn die Heiligkeit
darin besteht, daß man seine Zimmer mit frommen Sprüchen, Bildern und
Kruzifixen schmückt, daß man sich selbst ein sechs Zoll langes goldnes Kreuz
vor die Brust hängt und damit selbst im Theater erscheint, daß man die Wall¬
fahrten zur schwarzen Mutter Gottes in Altötting mitmacht, zu Kirchenbauten
und zu Errichtung von katholischen Gesellcnhäusern erkleckliche Summen bei¬
steuert und diese Spenden an die große Glocke hängt, statt die linke Hand
nicht wissen zu lassen, was die rechte thut, so war sie eine ganz exemplarische
Heilige.

Dabei vernachlässigte sie aber auch nicht, was andere Speculcinten zur
Förderung ihrer Absichten thaten: sie gründete selbst eine Zeitung, kaufte sich
durch Geschenke und Darlehen zwei andere Blätter und ließ sich von diesen
mit Gedichten an die „Mutter der Armen", an die „gütige Fee" u. d., mit
Leitartikeln und Entresilets aufs Kräftigste beweihräuchern.

Natürlich hielt das Volk jene frommen Allüren und diesen Zeitungsweih¬
rauch für echt, wie es die Urnana der medicinischen Charlatane für heilsam
und preiswürdig hielt. Ungeheure Zinsen, die ihm nicht sowohl für seine
Einlagen in die Bank, als von denselben gezahlt wurden, halfen bei dem


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[0110] Tagesblättern mit den Netzen dieser Vogelsteller überspannt waren, nicht weniger bekannt das Schema und Recept, nach welchem die Lockspeise im Wesentlichen zubereitet zu werden pflegt. Dagegen möchte dem größeren Publicum minder bekannt sein, daß eine nicht geringe Anzahl der Blätter, die sich in den Händen von einzelnen Börsenmännern oder Gesellschaften solcher befinden, auch im re- dactionellen Theile ihrer Zeitung für die Zwecke ihrer Besitzer, die Unter¬ bringung von Antheilen an industriellen Unternehmungen, von Eisenbcchnaetien, von Anleihen u. d. mehr oder weniger verschämt Reclame zu machen und die Curse in die Höhe zu treiben sich bemüht. Nie hätte der Schwindel mit der Spitzeder-Bank eine so ungeheure Aus¬ dehnung gewinnen und so viel Unglück unter den kleinen Leuten in Stadt und Land anrichten können, wenn das Fräulein, welches die betreffende Bank gründete und leitete, sich nicht in vortrefflichster Weise auf die Kunst verstan¬ den hätte, ihr Geschäft der arglosen Welt zu empfehlen. Zunächst hatte sie von dem belgischen Schwindler Langrand-Dumonceau gelernt, der „das Capital christianisiren" wollte und mit dieser Phrase eine Menge sehr vornehmer Ultramontaner bethörte, ihm ihre Gelder anzuvertrauen, zuletzt aber kläglich — vielleicht auch klüglich — Bankerott machte. Der Un¬ terschied zwischen dem Herrn und der Dame war nur, daß jener die Reichen der Partei zu Passagieren auf seinem Glücküschiffe gewann, während die Spitz- eder die niedere Classe zu bewegen wußte, auf dem ihren Fahrbillets zu neh¬ men. Sie besorgte das auf recht geschickte Manier. Geistliche der Partei mußten verbreiten, daß sie eine wahre Heilige sei, und wenn die Heiligkeit darin besteht, daß man seine Zimmer mit frommen Sprüchen, Bildern und Kruzifixen schmückt, daß man sich selbst ein sechs Zoll langes goldnes Kreuz vor die Brust hängt und damit selbst im Theater erscheint, daß man die Wall¬ fahrten zur schwarzen Mutter Gottes in Altötting mitmacht, zu Kirchenbauten und zu Errichtung von katholischen Gesellcnhäusern erkleckliche Summen bei¬ steuert und diese Spenden an die große Glocke hängt, statt die linke Hand nicht wissen zu lassen, was die rechte thut, so war sie eine ganz exemplarische Heilige. Dabei vernachlässigte sie aber auch nicht, was andere Speculcinten zur Förderung ihrer Absichten thaten: sie gründete selbst eine Zeitung, kaufte sich durch Geschenke und Darlehen zwei andere Blätter und ließ sich von diesen mit Gedichten an die „Mutter der Armen", an die „gütige Fee" u. d., mit Leitartikeln und Entresilets aufs Kräftigste beweihräuchern. Natürlich hielt das Volk jene frommen Allüren und diesen Zeitungsweih¬ rauch für echt, wie es die Urnana der medicinischen Charlatane für heilsam und preiswürdig hielt. Ungeheure Zinsen, die ihm nicht sowohl für seine Einlagen in die Bank, als von denselben gezahlt wurden, halfen bei dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/110>, abgerufen am 25.08.2024.