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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Theile der Verschuldung, an der allerdings auch noch andere Persönlichkeiten
partieipiren.

Es war einmal gleichsam die Parole ausgegeben, daß nach den Er¬
schütterungen der Revolutionszeit die conservative Politik der Regierungen
möglichst eng der Kirche sich anzuschließen habe. Und eine Belebung kirch¬
lichen Sinnes und kirchlicher Institute wurde innerhalb der katholischen eben¬
sowohl als innerhalb der evangelischen Kirche für wünschenswerth erachtet.
Auch den protestantischen Mächten galt es als ihre Pflicht und Aufgabe, An¬
sehen, Bedeutung und Macht des katholischen Clerus zu fördern. Wir dürfen
uns das heute nicht verbergen, Papstthum und Jesuitismus hätten seit 1815
unmöglich zur heutigen Stellung sich entwickeln können ohne Connivenz und
Gunst der Staatsregierungen. Aus der damaligen Lage der Dinge, aus dem
Sinne der damaligen Menschen läßt sich psychologisch dieser Zug der Ent¬
wickelung erklären, begreiflich machen, -- ihn zu rechtfertigen vor den Ge¬
richten der deutschen Geschichte wäre ein vergebliches Bemühen. Es ist wohl
der wundeste Punkt vielleicht die einzig und allein verwundbare Stelle in der
sonst so reinen, herrlichen und großen Gestalt Niebuhr's, diese seine kirch¬
liche Politik gegenüber dem römischen Papstthume. So viel wir sehen, ist
für die schwächliche und unstaatliche Haltung Preußens in Rom gerade Nie¬
buhr's Einfluß zuerst maßgebend gewesen. Bunsen ist dann im Großen und
Ganzen in die Niebuhr'sche Erbschaft in Rom nur eingetreten. Zwar konnte
er sich nicht immer die Augen gegen die Folgen und Früchte verschließen
welche das preußische System zeitigen mußte; er hat dann einzelne Versuche
gemacht, der Abhülfe, der Vorkehr weiteren Uebels, und doch nach solchen
Intervallen besserer Einsicht arbeitete er nach dem einmal angenommenen
Systeme weiter. In allen controverser Fragen, soweit es eben möglich
schien, nachzugeben, mit der jesuitischen Curie immer und immer wieder güt¬
liche Verhandlungen zu pflegen, -- von dieser Methode konnte auch Bunsen
nicht abkommen. Und in wunderbarer Selbstverblendung hielt er sich für
den Mann, der dazu im Stande wäre, in Rom Concessionen zu erhandeln
und der Schroffheit clericalen Uebermuthes die Krallen zu beschneiden. Als
ob jemals etwas anderes als das verständliche quos vM den Priester im
Zaume gehalten hätte! --

Im Jahre 1827 war Bunsen von seiner Regierung über die kirchlichen
Zerwürfnisse zu Rathe gezogen und ihm war die Verhandlung in Rom auf¬
getragen worden. Er schmeichelte sich in der Frage der gemischten Ehen ein
Compronuß erhandelt zu haben. Geschäftig und thätig bemühte er sich,
nach allen Seiten hin einen passenden moäns vivomli durchzusetzen, welcher
den kirchlichen Forderungen die schärfsten Spitzen abnehmen und das staat¬
liche Recht wenigstens leidlich aufrecht erhalten könnte. scheinbar gelang


Theile der Verschuldung, an der allerdings auch noch andere Persönlichkeiten
partieipiren.

Es war einmal gleichsam die Parole ausgegeben, daß nach den Er¬
schütterungen der Revolutionszeit die conservative Politik der Regierungen
möglichst eng der Kirche sich anzuschließen habe. Und eine Belebung kirch¬
lichen Sinnes und kirchlicher Institute wurde innerhalb der katholischen eben¬
sowohl als innerhalb der evangelischen Kirche für wünschenswerth erachtet.
Auch den protestantischen Mächten galt es als ihre Pflicht und Aufgabe, An¬
sehen, Bedeutung und Macht des katholischen Clerus zu fördern. Wir dürfen
uns das heute nicht verbergen, Papstthum und Jesuitismus hätten seit 1815
unmöglich zur heutigen Stellung sich entwickeln können ohne Connivenz und
Gunst der Staatsregierungen. Aus der damaligen Lage der Dinge, aus dem
Sinne der damaligen Menschen läßt sich psychologisch dieser Zug der Ent¬
wickelung erklären, begreiflich machen, — ihn zu rechtfertigen vor den Ge¬
richten der deutschen Geschichte wäre ein vergebliches Bemühen. Es ist wohl
der wundeste Punkt vielleicht die einzig und allein verwundbare Stelle in der
sonst so reinen, herrlichen und großen Gestalt Niebuhr's, diese seine kirch¬
liche Politik gegenüber dem römischen Papstthume. So viel wir sehen, ist
für die schwächliche und unstaatliche Haltung Preußens in Rom gerade Nie¬
buhr's Einfluß zuerst maßgebend gewesen. Bunsen ist dann im Großen und
Ganzen in die Niebuhr'sche Erbschaft in Rom nur eingetreten. Zwar konnte
er sich nicht immer die Augen gegen die Folgen und Früchte verschließen
welche das preußische System zeitigen mußte; er hat dann einzelne Versuche
gemacht, der Abhülfe, der Vorkehr weiteren Uebels, und doch nach solchen
Intervallen besserer Einsicht arbeitete er nach dem einmal angenommenen
Systeme weiter. In allen controverser Fragen, soweit es eben möglich
schien, nachzugeben, mit der jesuitischen Curie immer und immer wieder güt¬
liche Verhandlungen zu pflegen, — von dieser Methode konnte auch Bunsen
nicht abkommen. Und in wunderbarer Selbstverblendung hielt er sich für
den Mann, der dazu im Stande wäre, in Rom Concessionen zu erhandeln
und der Schroffheit clericalen Uebermuthes die Krallen zu beschneiden. Als
ob jemals etwas anderes als das verständliche quos vM den Priester im
Zaume gehalten hätte! —

Im Jahre 1827 war Bunsen von seiner Regierung über die kirchlichen
Zerwürfnisse zu Rathe gezogen und ihm war die Verhandlung in Rom auf¬
getragen worden. Er schmeichelte sich in der Frage der gemischten Ehen ein
Compronuß erhandelt zu haben. Geschäftig und thätig bemühte er sich,
nach allen Seiten hin einen passenden moäns vivomli durchzusetzen, welcher
den kirchlichen Forderungen die schärfsten Spitzen abnehmen und das staat¬
liche Recht wenigstens leidlich aufrecht erhalten könnte. scheinbar gelang


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[0093] Theile der Verschuldung, an der allerdings auch noch andere Persönlichkeiten partieipiren. Es war einmal gleichsam die Parole ausgegeben, daß nach den Er¬ schütterungen der Revolutionszeit die conservative Politik der Regierungen möglichst eng der Kirche sich anzuschließen habe. Und eine Belebung kirch¬ lichen Sinnes und kirchlicher Institute wurde innerhalb der katholischen eben¬ sowohl als innerhalb der evangelischen Kirche für wünschenswerth erachtet. Auch den protestantischen Mächten galt es als ihre Pflicht und Aufgabe, An¬ sehen, Bedeutung und Macht des katholischen Clerus zu fördern. Wir dürfen uns das heute nicht verbergen, Papstthum und Jesuitismus hätten seit 1815 unmöglich zur heutigen Stellung sich entwickeln können ohne Connivenz und Gunst der Staatsregierungen. Aus der damaligen Lage der Dinge, aus dem Sinne der damaligen Menschen läßt sich psychologisch dieser Zug der Ent¬ wickelung erklären, begreiflich machen, — ihn zu rechtfertigen vor den Ge¬ richten der deutschen Geschichte wäre ein vergebliches Bemühen. Es ist wohl der wundeste Punkt vielleicht die einzig und allein verwundbare Stelle in der sonst so reinen, herrlichen und großen Gestalt Niebuhr's, diese seine kirch¬ liche Politik gegenüber dem römischen Papstthume. So viel wir sehen, ist für die schwächliche und unstaatliche Haltung Preußens in Rom gerade Nie¬ buhr's Einfluß zuerst maßgebend gewesen. Bunsen ist dann im Großen und Ganzen in die Niebuhr'sche Erbschaft in Rom nur eingetreten. Zwar konnte er sich nicht immer die Augen gegen die Folgen und Früchte verschließen welche das preußische System zeitigen mußte; er hat dann einzelne Versuche gemacht, der Abhülfe, der Vorkehr weiteren Uebels, und doch nach solchen Intervallen besserer Einsicht arbeitete er nach dem einmal angenommenen Systeme weiter. In allen controverser Fragen, soweit es eben möglich schien, nachzugeben, mit der jesuitischen Curie immer und immer wieder güt¬ liche Verhandlungen zu pflegen, — von dieser Methode konnte auch Bunsen nicht abkommen. Und in wunderbarer Selbstverblendung hielt er sich für den Mann, der dazu im Stande wäre, in Rom Concessionen zu erhandeln und der Schroffheit clericalen Uebermuthes die Krallen zu beschneiden. Als ob jemals etwas anderes als das verständliche quos vM den Priester im Zaume gehalten hätte! — Im Jahre 1827 war Bunsen von seiner Regierung über die kirchlichen Zerwürfnisse zu Rathe gezogen und ihm war die Verhandlung in Rom auf¬ getragen worden. Er schmeichelte sich in der Frage der gemischten Ehen ein Compronuß erhandelt zu haben. Geschäftig und thätig bemühte er sich, nach allen Seiten hin einen passenden moäns vivomli durchzusetzen, welcher den kirchlichen Forderungen die schärfsten Spitzen abnehmen und das staat¬ liche Recht wenigstens leidlich aufrecht erhalten könnte. scheinbar gelang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/93>, abgerufen am 22.07.2024.