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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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die Einfügung der Zusätze an den betreffenden Stellen gewesen, wo sie sachlich
hingehören.

Wir glauben hier das äußere Leben Bunsen's als bekannt voraussetzen
zu dürfen. Auch über seine wissenschaftlichen und seine kirchlichen Bemühun¬
gen beabsichtigen wir nicht viel zu sagen. Bon früh an hatte er die verglei¬
chende Religionsgeschichte von weiten und umfassenden Gesichtspuncten aus
ins Auge gefaßt und unter allen wechselnden Verhältnissen seines Lebens ist
er dieser Aufgabe treu geblieben. Ueber den Werth, den seine Beiträge zu
ihrer Lösung haben mögen, wird man sehr verschieden urtheilen können; einer¬
lei, auch wer nicht viel von seinen Resultaten hält, muß den Eifer und die
Ausdauer des Studiums in Vunsen anerkennen. Er war dabei ein Mann
von entschieden ächter Religiosität, ein persönlich warmer überzeugungstreuer
Bekenner des evangelischen Glaubens. Auch an eigentlich theologischen Dingen
nahm er ein gewisses persönliches Interesse; nicht gerade zu den "liberalen"
Theologen könnte man ihn rechnen, (dazu ist seine biblische Kritik viel zu
zahm) aber einer gewissen mittleren Richtung schloß er sich an, der Partei der
positiven Unionstheologie oder dem rechten Centrum unserer kirchlichen Gegen¬
sätze oder wie man sonst diese Richtung noch beschreibend nennen könnte.
Mit der kirchlichen Verfassungsfrage hat er sich viel zu schaffen gemacht.
Allerlei hat er darüber geschrieben, allerlei auch dafür gethan, viel und an¬
haltend darüber correspondirt. Wir können uns nicht rühmen, daß wir aus
der Lectüre der betreffenden Papiere ein klares Bild gewonnen, was eigentlich
er angestrebt. Ein unbedingter Bewunderer Bunsen's könnte nun vielleicht
meinen, daß in uns, dem Leser, der Grund dieser Unklarheit läge, -- das
müßten wir uns gefallen lassen. Aber wir hegen die unbescheidene Ver¬
muthung, daß es wohl den meisten seiner Leser so ergehen dürfte. Ja, wir
erlauben uns sogar den Satz aufzustellen: auch darin ist Bunsen ein Geistes¬
verwandter seines königlichen Freundes, daß er ebenso wenig wie jener gewußt,
was sie eigentlich gewollt haben mit allen ihren Projecten und Versuchen auf
kirchlichem Gebiete. Die Unklarheit und Verschwommenheit des Gedankens
haben Beide, der König und Bunsen, zu selten erreichter Virtuosität aus¬
gebildet.

In der Erinnerung der Menschen wird Bunsen vornehmlich leben als
Genosse und Freund Friedrich Wilhelm des Vierten. Wir glauben nicht, daß
heutzutage schon ein irgendwie unbefangenes Urtheil über den wunderlichen
Charakter dieses Königs wird gesprochen werden können. Wir heutigen, die
wir unter den Folgen dieser unseligen Regierung theilweise noch immer
leiden und erst kürzlich von dem Alpdrucke jener traurigen Zeit freier zu
werden anfangen, wir urtheilen leicht zu bitter und zu gereizt über die Per¬
sönlichkeit jenes Monarchen. Und zu einer einigermaßen objectiven Erwägung


die Einfügung der Zusätze an den betreffenden Stellen gewesen, wo sie sachlich
hingehören.

Wir glauben hier das äußere Leben Bunsen's als bekannt voraussetzen
zu dürfen. Auch über seine wissenschaftlichen und seine kirchlichen Bemühun¬
gen beabsichtigen wir nicht viel zu sagen. Bon früh an hatte er die verglei¬
chende Religionsgeschichte von weiten und umfassenden Gesichtspuncten aus
ins Auge gefaßt und unter allen wechselnden Verhältnissen seines Lebens ist
er dieser Aufgabe treu geblieben. Ueber den Werth, den seine Beiträge zu
ihrer Lösung haben mögen, wird man sehr verschieden urtheilen können; einer¬
lei, auch wer nicht viel von seinen Resultaten hält, muß den Eifer und die
Ausdauer des Studiums in Vunsen anerkennen. Er war dabei ein Mann
von entschieden ächter Religiosität, ein persönlich warmer überzeugungstreuer
Bekenner des evangelischen Glaubens. Auch an eigentlich theologischen Dingen
nahm er ein gewisses persönliches Interesse; nicht gerade zu den „liberalen"
Theologen könnte man ihn rechnen, (dazu ist seine biblische Kritik viel zu
zahm) aber einer gewissen mittleren Richtung schloß er sich an, der Partei der
positiven Unionstheologie oder dem rechten Centrum unserer kirchlichen Gegen¬
sätze oder wie man sonst diese Richtung noch beschreibend nennen könnte.
Mit der kirchlichen Verfassungsfrage hat er sich viel zu schaffen gemacht.
Allerlei hat er darüber geschrieben, allerlei auch dafür gethan, viel und an¬
haltend darüber correspondirt. Wir können uns nicht rühmen, daß wir aus
der Lectüre der betreffenden Papiere ein klares Bild gewonnen, was eigentlich
er angestrebt. Ein unbedingter Bewunderer Bunsen's könnte nun vielleicht
meinen, daß in uns, dem Leser, der Grund dieser Unklarheit läge, — das
müßten wir uns gefallen lassen. Aber wir hegen die unbescheidene Ver¬
muthung, daß es wohl den meisten seiner Leser so ergehen dürfte. Ja, wir
erlauben uns sogar den Satz aufzustellen: auch darin ist Bunsen ein Geistes¬
verwandter seines königlichen Freundes, daß er ebenso wenig wie jener gewußt,
was sie eigentlich gewollt haben mit allen ihren Projecten und Versuchen auf
kirchlichem Gebiete. Die Unklarheit und Verschwommenheit des Gedankens
haben Beide, der König und Bunsen, zu selten erreichter Virtuosität aus¬
gebildet.

In der Erinnerung der Menschen wird Bunsen vornehmlich leben als
Genosse und Freund Friedrich Wilhelm des Vierten. Wir glauben nicht, daß
heutzutage schon ein irgendwie unbefangenes Urtheil über den wunderlichen
Charakter dieses Königs wird gesprochen werden können. Wir heutigen, die
wir unter den Folgen dieser unseligen Regierung theilweise noch immer
leiden und erst kürzlich von dem Alpdrucke jener traurigen Zeit freier zu
werden anfangen, wir urtheilen leicht zu bitter und zu gereizt über die Per¬
sönlichkeit jenes Monarchen. Und zu einer einigermaßen objectiven Erwägung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/90>, abgerufen am 22.07.2024.