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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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baten, der später in das Dorf heimkehrte, das Gefühl der Scham ertödtete.^)
Und außer diesem Schaden zog noch so mancher andere im Gefolge der Ero-
neration und Dotation heran. Tarile Delord sagt: "Die Prämie setzte den
Soldaten zahlreichen Versuchungen aus, da er sich in Rücksicht auf sie allerlei
Lurus, namentlich aber Branntwein und Tabak in reichlichen Dosen gestattete
und sich nach und nach in einen Automaten verwandelte, der mechanisch alle
Exercitien machte. Der Soldatenstand bedarf der Illusionen, ja des Ideals,
welches in der Hingabe an die Fahne, in der Achtung vor den Anführern
lebt. Das neue Gesetz aber drohte Frankreich eine permanente Armee im
übelsten Sinne des Wortes zu geben, d. h. eine Armee, die sich nicht durch
die Nation erneuert, nicht in die Nation zurückkehrt, die sich im Gegentheil
von Tag zu Tag mehr von ihr absondert, eine Armee, welche aus Soldaten
besteht, die ihre Renten haben, die die starken und schwachen Seiten des Ruhmes
kennen, die statt des Marschallstabes eine Branntweinflasche im Tornister
tragen, über ihre Führer schlechte Witze reißen, jeder schöneren Empfindung
unzugänglich sind, ja sie verhöhnen, eine Armee, in welcher statt der Dis¬
ciplin die Gewohnheit herrscht -- mit einem Worte eine Söldner-Armee."
-- General Trochu aber beurtheilte das Gesetz von 1855. nachdem er die
Folgen desselben ein Jahrzehend lang beobachtet, folgendermaßen: "Durch die
Eronerations- und Dotationsdecrete ist das Gefühl der persönlichen Pflicht
und des Gemeinsinns erloschen. Alle Anstrengungen richten sich darauf, die
Loskaufssumme aufzubringen. Bald wird nur noch das unterste Proletariat
genöthigt sein zu dienen. Schon kann man den Moment berechnen, wo
die französische Armee fast nur noch aus bezahlten Stellvertretern bestehn
wird; denn beständig etabliren sich jetzt Versicherungsgesellschaften zu
Gunsten der Eroneration und große Journale laden den Staat ein, an die
Spitze derselben zu treten. Wie muß es um die Moralität, die Achtung, die
Würde der französischen Waffen stehn, wenn man als verschiedene Formen
schweren Unglücks, gegen das man sich zu versichern strebt, nebeneinanderstellt.-
Feuersbrunst, Ueberschwemmung, Hagelschlag und Waffendienst!"

Niemals war die französische Nation weiter entfernt von der allgemeinen
Wehrpflicht, niemals hatte sie sich von dem Gedanken derselben theoretisch und
praktisch entschiedener abgekehrt, als zu der Zeit, da das zweite Kaiserreich auf
seiner Höhe stand.

In den Jahren von 1854 bis 1859 vermehrte der Kaiser die französische
Armee, indem er die Zahl der Linienregimenter auf 102, die der Jäger¬
bataillone auf 20 brachte und außerdem ein neues Zuaven- und ein neues
Turco-Regiment errichtete. Die Kavallerie-Regimenter wurden von 5 aus



') Hauptmann H. Pfister- "Das französische HecNvcscn." Kassel 18"i7.

baten, der später in das Dorf heimkehrte, das Gefühl der Scham ertödtete.^)
Und außer diesem Schaden zog noch so mancher andere im Gefolge der Ero-
neration und Dotation heran. Tarile Delord sagt: „Die Prämie setzte den
Soldaten zahlreichen Versuchungen aus, da er sich in Rücksicht auf sie allerlei
Lurus, namentlich aber Branntwein und Tabak in reichlichen Dosen gestattete
und sich nach und nach in einen Automaten verwandelte, der mechanisch alle
Exercitien machte. Der Soldatenstand bedarf der Illusionen, ja des Ideals,
welches in der Hingabe an die Fahne, in der Achtung vor den Anführern
lebt. Das neue Gesetz aber drohte Frankreich eine permanente Armee im
übelsten Sinne des Wortes zu geben, d. h. eine Armee, die sich nicht durch
die Nation erneuert, nicht in die Nation zurückkehrt, die sich im Gegentheil
von Tag zu Tag mehr von ihr absondert, eine Armee, welche aus Soldaten
besteht, die ihre Renten haben, die die starken und schwachen Seiten des Ruhmes
kennen, die statt des Marschallstabes eine Branntweinflasche im Tornister
tragen, über ihre Führer schlechte Witze reißen, jeder schöneren Empfindung
unzugänglich sind, ja sie verhöhnen, eine Armee, in welcher statt der Dis¬
ciplin die Gewohnheit herrscht — mit einem Worte eine Söldner-Armee."
— General Trochu aber beurtheilte das Gesetz von 1855. nachdem er die
Folgen desselben ein Jahrzehend lang beobachtet, folgendermaßen: „Durch die
Eronerations- und Dotationsdecrete ist das Gefühl der persönlichen Pflicht
und des Gemeinsinns erloschen. Alle Anstrengungen richten sich darauf, die
Loskaufssumme aufzubringen. Bald wird nur noch das unterste Proletariat
genöthigt sein zu dienen. Schon kann man den Moment berechnen, wo
die französische Armee fast nur noch aus bezahlten Stellvertretern bestehn
wird; denn beständig etabliren sich jetzt Versicherungsgesellschaften zu
Gunsten der Eroneration und große Journale laden den Staat ein, an die
Spitze derselben zu treten. Wie muß es um die Moralität, die Achtung, die
Würde der französischen Waffen stehn, wenn man als verschiedene Formen
schweren Unglücks, gegen das man sich zu versichern strebt, nebeneinanderstellt.-
Feuersbrunst, Ueberschwemmung, Hagelschlag und Waffendienst!"

Niemals war die französische Nation weiter entfernt von der allgemeinen
Wehrpflicht, niemals hatte sie sich von dem Gedanken derselben theoretisch und
praktisch entschiedener abgekehrt, als zu der Zeit, da das zweite Kaiserreich auf
seiner Höhe stand.

In den Jahren von 1854 bis 1859 vermehrte der Kaiser die französische
Armee, indem er die Zahl der Linienregimenter auf 102, die der Jäger¬
bataillone auf 20 brachte und außerdem ein neues Zuaven- und ein neues
Turco-Regiment errichtete. Die Kavallerie-Regimenter wurden von 5 aus



') Hauptmann H. Pfister- „Das französische HecNvcscn." Kassel 18«i7.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/66>, abgerufen am 22.07.2024.