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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Dienstaustritt baar gezahlt. Später legte man, um den Mann schärfer zu
fesseln und mehr Geld in der Hand zu behalten, auch die erste Hälfte in
Rentenbriefen an und händigte dem Manne nur die Zinsen ein. -- Der große
Ueberschuß in der Dotationscasse der Armee, welcher auch Vermächtnisse und
Geschenke zufließen durften, und der Gewinn, den sie etwa durch vortheilhafte
Bewirthschaftung erzielte, durfte ausschließlich dem Heere zu Gute kommen
und gestattete daher, namentlich die Pensionsansprüche der Wiedergeworbenen
außerordentlich günstig zu gestalten. Mit diesen Mitteln bildete sich die Ne¬
gierung einen bedeutenden Stamm von Berufssoldaten.*) Wenn das nun
augenblicklich als ein Vortheil scheinen mochte, so muß man es von einem
höheren Standpunkte doch entschieden als Unzuträglichkeit betrachten, daß der
Staat die sehr wenig populäre Industrie übernahm, militärische Stellvertreter
zu beschaffen. Der Staat ward wieder zum Werber**) und unwillkürlich leistete
er der Rekrutirung schlechter, schon bestrafter Soldaten Vorschub, deren Zahl
in der Armee immer größer ward. -- Herr von Montalembert und andere
Redner, welche das Gesetz vom 26. April 1855 in der Kammer bekämpften,
beschränkten sich indeß darauf, die financiellen Nachtheile desselben zu kenn¬
zeichnen, und es ging trotz ihres Widerspruchs mit 204 gegen 64 Stimmen
durch."*) Worauf sie nicht hingewiesen hatten, was aber weit ernstere und
schwerere Gründe gegen die Eroneration und Dotation hätte abgeben können,
das waren neben den schon unter der Republik geltend gemachten politi¬
schen Bedenken (vergl. Seite 42) die moralischen Schatten, welche das Ge¬
setz theils auf die Armee selbst, theils auf die ganze Nation warf. -- Ein
sittlicher Nachtheil von hervorragender Bedeutung war namentlich die ge¬
setzliche Ehelosigkeit aller Pflichtigen, auch die Wiederangeworbenen und
selbst die ältesten Unteroffiziere nicht ausgenommen. Diese Einführung des
Cölibats in die Armee trennte sie natürlich in ähnlicher Weise vom Volk wie
den Mönch von der Gemeinde. Grade die kräftigsten Männer des Volkes
und zwar in bedeutender Anzahl wurden bis zu ihrem 45. Lebensjahre von
der Begründung eines Haushaltes, von der Vaterschaft abgehalten und zu
einem wüsten Leben genöthigt. Die unwürdige Einrichtung der Militär¬
bordelle, welche die Folge davon war und das physische Uebel durch Vor¬
beugung vor verheerenden Ansteckungen mindern sollte, legte zugleich den
Keim zu größerem sittlichem Verderben, indem sie auch in dem jungen Sol-





Zu den Epauletten gelangten übrigens diese Leute fast nie. Wenn man früher Un-
terofficiere, welche Nemplayauts waren, ihres Ursprungs wegen nicht zu Officieren beförderte,
so vermied man es seit 1855 besonders ihres vorgerückten Alters wegen, da die Stellvertreter,
wenn sie die zweite Capitulation eingingen, bereits 27 Jahr alt sein mußten.
") Und "Werber" -- "r-wolon,'!" ist "och heut ein Schimpfwort in Frankreich.
Taxilc Delord a. a. O.
Grenzboten IV. 1872. H

Dienstaustritt baar gezahlt. Später legte man, um den Mann schärfer zu
fesseln und mehr Geld in der Hand zu behalten, auch die erste Hälfte in
Rentenbriefen an und händigte dem Manne nur die Zinsen ein. — Der große
Ueberschuß in der Dotationscasse der Armee, welcher auch Vermächtnisse und
Geschenke zufließen durften, und der Gewinn, den sie etwa durch vortheilhafte
Bewirthschaftung erzielte, durfte ausschließlich dem Heere zu Gute kommen
und gestattete daher, namentlich die Pensionsansprüche der Wiedergeworbenen
außerordentlich günstig zu gestalten. Mit diesen Mitteln bildete sich die Ne¬
gierung einen bedeutenden Stamm von Berufssoldaten.*) Wenn das nun
augenblicklich als ein Vortheil scheinen mochte, so muß man es von einem
höheren Standpunkte doch entschieden als Unzuträglichkeit betrachten, daß der
Staat die sehr wenig populäre Industrie übernahm, militärische Stellvertreter
zu beschaffen. Der Staat ward wieder zum Werber**) und unwillkürlich leistete
er der Rekrutirung schlechter, schon bestrafter Soldaten Vorschub, deren Zahl
in der Armee immer größer ward. — Herr von Montalembert und andere
Redner, welche das Gesetz vom 26. April 1855 in der Kammer bekämpften,
beschränkten sich indeß darauf, die financiellen Nachtheile desselben zu kenn¬
zeichnen, und es ging trotz ihres Widerspruchs mit 204 gegen 64 Stimmen
durch."*) Worauf sie nicht hingewiesen hatten, was aber weit ernstere und
schwerere Gründe gegen die Eroneration und Dotation hätte abgeben können,
das waren neben den schon unter der Republik geltend gemachten politi¬
schen Bedenken (vergl. Seite 42) die moralischen Schatten, welche das Ge¬
setz theils auf die Armee selbst, theils auf die ganze Nation warf. — Ein
sittlicher Nachtheil von hervorragender Bedeutung war namentlich die ge¬
setzliche Ehelosigkeit aller Pflichtigen, auch die Wiederangeworbenen und
selbst die ältesten Unteroffiziere nicht ausgenommen. Diese Einführung des
Cölibats in die Armee trennte sie natürlich in ähnlicher Weise vom Volk wie
den Mönch von der Gemeinde. Grade die kräftigsten Männer des Volkes
und zwar in bedeutender Anzahl wurden bis zu ihrem 45. Lebensjahre von
der Begründung eines Haushaltes, von der Vaterschaft abgehalten und zu
einem wüsten Leben genöthigt. Die unwürdige Einrichtung der Militär¬
bordelle, welche die Folge davon war und das physische Uebel durch Vor¬
beugung vor verheerenden Ansteckungen mindern sollte, legte zugleich den
Keim zu größerem sittlichem Verderben, indem sie auch in dem jungen Sol-





Zu den Epauletten gelangten übrigens diese Leute fast nie. Wenn man früher Un-
terofficiere, welche Nemplayauts waren, ihres Ursprungs wegen nicht zu Officieren beförderte,
so vermied man es seit 1855 besonders ihres vorgerückten Alters wegen, da die Stellvertreter,
wenn sie die zweite Capitulation eingingen, bereits 27 Jahr alt sein mußten.
") Und „Werber" — „r-wolon,'!" ist »och heut ein Schimpfwort in Frankreich.
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[0065] Dienstaustritt baar gezahlt. Später legte man, um den Mann schärfer zu fesseln und mehr Geld in der Hand zu behalten, auch die erste Hälfte in Rentenbriefen an und händigte dem Manne nur die Zinsen ein. — Der große Ueberschuß in der Dotationscasse der Armee, welcher auch Vermächtnisse und Geschenke zufließen durften, und der Gewinn, den sie etwa durch vortheilhafte Bewirthschaftung erzielte, durfte ausschließlich dem Heere zu Gute kommen und gestattete daher, namentlich die Pensionsansprüche der Wiedergeworbenen außerordentlich günstig zu gestalten. Mit diesen Mitteln bildete sich die Ne¬ gierung einen bedeutenden Stamm von Berufssoldaten.*) Wenn das nun augenblicklich als ein Vortheil scheinen mochte, so muß man es von einem höheren Standpunkte doch entschieden als Unzuträglichkeit betrachten, daß der Staat die sehr wenig populäre Industrie übernahm, militärische Stellvertreter zu beschaffen. Der Staat ward wieder zum Werber**) und unwillkürlich leistete er der Rekrutirung schlechter, schon bestrafter Soldaten Vorschub, deren Zahl in der Armee immer größer ward. — Herr von Montalembert und andere Redner, welche das Gesetz vom 26. April 1855 in der Kammer bekämpften, beschränkten sich indeß darauf, die financiellen Nachtheile desselben zu kenn¬ zeichnen, und es ging trotz ihres Widerspruchs mit 204 gegen 64 Stimmen durch."*) Worauf sie nicht hingewiesen hatten, was aber weit ernstere und schwerere Gründe gegen die Eroneration und Dotation hätte abgeben können, das waren neben den schon unter der Republik geltend gemachten politi¬ schen Bedenken (vergl. Seite 42) die moralischen Schatten, welche das Ge¬ setz theils auf die Armee selbst, theils auf die ganze Nation warf. — Ein sittlicher Nachtheil von hervorragender Bedeutung war namentlich die ge¬ setzliche Ehelosigkeit aller Pflichtigen, auch die Wiederangeworbenen und selbst die ältesten Unteroffiziere nicht ausgenommen. Diese Einführung des Cölibats in die Armee trennte sie natürlich in ähnlicher Weise vom Volk wie den Mönch von der Gemeinde. Grade die kräftigsten Männer des Volkes und zwar in bedeutender Anzahl wurden bis zu ihrem 45. Lebensjahre von der Begründung eines Haushaltes, von der Vaterschaft abgehalten und zu einem wüsten Leben genöthigt. Die unwürdige Einrichtung der Militär¬ bordelle, welche die Folge davon war und das physische Uebel durch Vor¬ beugung vor verheerenden Ansteckungen mindern sollte, legte zugleich den Keim zu größerem sittlichem Verderben, indem sie auch in dem jungen Sol- Zu den Epauletten gelangten übrigens diese Leute fast nie. Wenn man früher Un- terofficiere, welche Nemplayauts waren, ihres Ursprungs wegen nicht zu Officieren beförderte, so vermied man es seit 1855 besonders ihres vorgerückten Alters wegen, da die Stellvertreter, wenn sie die zweite Capitulation eingingen, bereits 27 Jahr alt sein mußten. ") Und „Werber" — „r-wolon,'!" ist »och heut ein Schimpfwort in Frankreich. Taxilc Delord a. a. O. Grenzboten IV. 1872. H

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/65>, abgerufen am 25.08.2024.