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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Zustände hatte jene Schule von Algier offenbar einen nachtheiligen Einfluß
ausgeübt, in welcher rohe Gewaltthat, freches Sichgehenlassen, ungestrafte
Plünderung, weithin bekannte Käuflichkeit hoher Officiere die Mannszucht
untergraben hatten, die dann die Befehlshaber vergebens durch cynische
Härte, namentlich gegen die ihnen untergeordneten Officiere, wieder herzustellen
suchten. In letzterer Hinsicht ercellirte vor Allen Pelissier, welcher in der Krim
die Officiere in empörender Weise behandelte, ja mit Schimpfworten über¬
schüttete, sodaß es zuweilen zu furchtbaren Auftritten kam. Geschah es doch,
daß ihn ein beschimpfter Lieutenant einmal beim Kragen packte und arg zu¬
sammenschüttelte, ja ein anderer Mißhandelter zog, rasend vor Erbitterung,
das Pistol aus der Schärpe und drückte auf Pelissier ab. Die Waffe versagte,
und der General verfügte mit glücklicher Wendung und ohne eine Miene zu
verziehen: "Fünf Tage Arrest für diesen Herrn, weil er seine Waffe in so
schlechtem Stande hat." -- Solche Auftritte gewähren Einblick in die tieferen
Strömungen im Innern der Armee.

Ernster aber noch als diese disciplinarischen waren die organisato¬
rischen Schwächen der Armee, welche der Krimfeldzug enthüllte. Man
hatte erst 20, dann 40,000 Mann in den Orient senden wollen, aber man
sah bald ein, daß diese geringe Macht zu den Zielen, welche man erreichen
wollte, in gar keinem Verhältniß stand und der Krieg, einmal begonnen,
nahm Proportionen an, die ganz andere, sehr unerwartete Opfer forderten. Die
in ihm aufgewendete Truppenmacht erreichte sogar in Folge der Nachschübe
nach und nach die Höhe von 200,000 Mann, und um sie während der Be¬
lagerung von Sebastopol auf dieser Höhe zu halten, hatte der Kriegsminister
große Schwierigkeiten zu überwinden. Drei Jahre lang mußte das ursprüng¬
lich nur 80,000 Mann betragende Recrutencontingent auf 140,000 Mann er¬
höht werden. Aber damit war es nicht gethan. Canrobert und nicht min¬
der Pelissier sendeten nämlich immer aufs Neue an den Minister drängende
Depeschen folgenden Inhalts:

"Es ist unerläßlich, die Lücken unserer Effeetivs zu füllen; wenn Sie
aber fortfahren, uns Kinder von zwanzig Jahren zu schicken, die wenig in-
struirt sind, so werfen Sie das Geld unnütz fort; diese bevölkern nur die Hos¬
pitäler, ohne gute Dienste zu leisten. Wir brauchen fertige Männer und exer-
cirte Soldaten."

Die Generale wollten also keine neuausgebildeten Conseribirten, sondern
gediente Mannschaft als Nachschub haben, und daher entschloß man sich end¬
lich zu einem Schritt, der die Mangelhaftigkeit der militärischen Institutionen
in schlagender Weise darthat: man ließ sich nämlich herbei, aus jedem in
Frankreich gebliebenen Regiment eine Elite auszusondern und diese nach und
nach in die Krim zu senden. Man rekrutirte also eine Feldarmee von nicht


Zustände hatte jene Schule von Algier offenbar einen nachtheiligen Einfluß
ausgeübt, in welcher rohe Gewaltthat, freches Sichgehenlassen, ungestrafte
Plünderung, weithin bekannte Käuflichkeit hoher Officiere die Mannszucht
untergraben hatten, die dann die Befehlshaber vergebens durch cynische
Härte, namentlich gegen die ihnen untergeordneten Officiere, wieder herzustellen
suchten. In letzterer Hinsicht ercellirte vor Allen Pelissier, welcher in der Krim
die Officiere in empörender Weise behandelte, ja mit Schimpfworten über¬
schüttete, sodaß es zuweilen zu furchtbaren Auftritten kam. Geschah es doch,
daß ihn ein beschimpfter Lieutenant einmal beim Kragen packte und arg zu¬
sammenschüttelte, ja ein anderer Mißhandelter zog, rasend vor Erbitterung,
das Pistol aus der Schärpe und drückte auf Pelissier ab. Die Waffe versagte,
und der General verfügte mit glücklicher Wendung und ohne eine Miene zu
verziehen: „Fünf Tage Arrest für diesen Herrn, weil er seine Waffe in so
schlechtem Stande hat." — Solche Auftritte gewähren Einblick in die tieferen
Strömungen im Innern der Armee.

Ernster aber noch als diese disciplinarischen waren die organisato¬
rischen Schwächen der Armee, welche der Krimfeldzug enthüllte. Man
hatte erst 20, dann 40,000 Mann in den Orient senden wollen, aber man
sah bald ein, daß diese geringe Macht zu den Zielen, welche man erreichen
wollte, in gar keinem Verhältniß stand und der Krieg, einmal begonnen,
nahm Proportionen an, die ganz andere, sehr unerwartete Opfer forderten. Die
in ihm aufgewendete Truppenmacht erreichte sogar in Folge der Nachschübe
nach und nach die Höhe von 200,000 Mann, und um sie während der Be¬
lagerung von Sebastopol auf dieser Höhe zu halten, hatte der Kriegsminister
große Schwierigkeiten zu überwinden. Drei Jahre lang mußte das ursprüng¬
lich nur 80,000 Mann betragende Recrutencontingent auf 140,000 Mann er¬
höht werden. Aber damit war es nicht gethan. Canrobert und nicht min¬
der Pelissier sendeten nämlich immer aufs Neue an den Minister drängende
Depeschen folgenden Inhalts:

„Es ist unerläßlich, die Lücken unserer Effeetivs zu füllen; wenn Sie
aber fortfahren, uns Kinder von zwanzig Jahren zu schicken, die wenig in-
struirt sind, so werfen Sie das Geld unnütz fort; diese bevölkern nur die Hos¬
pitäler, ohne gute Dienste zu leisten. Wir brauchen fertige Männer und exer-
cirte Soldaten."

Die Generale wollten also keine neuausgebildeten Conseribirten, sondern
gediente Mannschaft als Nachschub haben, und daher entschloß man sich end¬
lich zu einem Schritt, der die Mangelhaftigkeit der militärischen Institutionen
in schlagender Weise darthat: man ließ sich nämlich herbei, aus jedem in
Frankreich gebliebenen Regiment eine Elite auszusondern und diese nach und
nach in die Krim zu senden. Man rekrutirte also eine Feldarmee von nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/62>, abgerufen am 22.07.2024.