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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Das neue Empire leitete sich in der That sehr friedlich ein. Bei der
Eröffnung der großen Staatskörper hielt Napoleon eine Rede, in welcher es
in Bezug auf das Budget von 18S3 hieß- "Sie werden ersehen, daß unsere
Finanzlage niemals besser gewesen ist . . . Nichtsdestoweniger wird der Esfec-
tivbestand der Armee, der schon im Lauf der letzten Jahre um 30,000 Mann
verringert worden ist, noch eine weitere Reduction von 20,000 Mann erfah¬
ren." Die Regierung brauchte eben Geld und Friedensglauben und sie selbst,
wie alle Welt war durch 37 Friedensjahre und die leichten Erfolge in Afrika
in den festen Glauben eingewiegt worden, daß die militärischen Kräfte Frank¬
reichs vollauf seiner europäischen Rolle entsprächen. Bald sollte sich diese An¬
schauung als ein Irrthum zeigen. -- Die orientalische Frage trat an
Europa heran. Am 10. April 18S4 wurde zwischen Frankreich, England und der
Türkei das als enteilte ovräialö bezeichnete Einvernehmen hergestellt. Die
Nation sah dem Kriege ohne Begeisterung aber mit selbstgefälliger Siegesge¬
wißheit entgegen; das Heer wünschte den Krieg glühend, um endlich etwas
anderes zu sein, als "die Armee des 2. Decembers." Hierin stimmte es mit
den äußersten Radicalen überein, welche durch Barbe's Mund*) die Schwächung
des kriegerischen Geistes in Frankreich für einen unersetzlichen Verlust erklärten.
Die Armee sei das Volk; was werde aber aus diesem Volke, wenn es nicht
einmal mehr gut genug sei, eine Lunte abzubrennen! --

Am 26. Mai 1854 landeten die Verbündeten im Piräus und an dem¬
selben Tage rief Napoleon die kaiserliche Garde wieder ins Leben. Seit
seiner Jugend hatte ihm dies als Traumbild vorgeschwebt. Es ist bekannt,
wieviel die Traditionen der Garde zur Popularität des ersten Kaiserreichs
beigetragen hatten. Veteranen haben keine andere Erinnerung als ihre Fahne.
Die Soldaten der napoleonischen Garde hatten daher überall im Lande eine
Legion von Rhapsoden gebildet und fünfzehn Jahre hindurch den Ruhm des
Kaiserreichs gesungen. Das wußte Napoleon III. sehr wol, und schon in
seiner Erstlingsarbeit, den "Rkveriss politiquss" (1832) verlangte er in seiner
.Konstitution der Republik" die Wiederherstellung der kaiserlichen Garde. Jetzt
war der Augenblick da, den Traum zur Wirklichkeit zu machen, und obgleich
ein zur Discussion dieser Maßregel niedergesetztes Comite von Stabsoffieieren
sich entschieden gegen dieselbe aussprach und auf die Unzuträglichkeiten auf¬
merksam machte, welche das Bestehen einer privilegirten Truppe selbst während
der großen Kriege des ersten Kaiserreichs gehabt, so setzte Napoleon dennoch
seinen Jugendtraum durch. Die neue Garde bildete eine gemischte Division
aller Waffen und umfaßte in 2 Infanterie-Brigaden: 2 Grenadier- und 2



") Brief des tollen Revolutionärs aus seinem Gefängniß aus Belle-Jsle en Mer, auf
welchen hin der Kaiser ihm die Freiheit schenkte.

Das neue Empire leitete sich in der That sehr friedlich ein. Bei der
Eröffnung der großen Staatskörper hielt Napoleon eine Rede, in welcher es
in Bezug auf das Budget von 18S3 hieß- „Sie werden ersehen, daß unsere
Finanzlage niemals besser gewesen ist . . . Nichtsdestoweniger wird der Esfec-
tivbestand der Armee, der schon im Lauf der letzten Jahre um 30,000 Mann
verringert worden ist, noch eine weitere Reduction von 20,000 Mann erfah¬
ren." Die Regierung brauchte eben Geld und Friedensglauben und sie selbst,
wie alle Welt war durch 37 Friedensjahre und die leichten Erfolge in Afrika
in den festen Glauben eingewiegt worden, daß die militärischen Kräfte Frank¬
reichs vollauf seiner europäischen Rolle entsprächen. Bald sollte sich diese An¬
schauung als ein Irrthum zeigen. — Die orientalische Frage trat an
Europa heran. Am 10. April 18S4 wurde zwischen Frankreich, England und der
Türkei das als enteilte ovräialö bezeichnete Einvernehmen hergestellt. Die
Nation sah dem Kriege ohne Begeisterung aber mit selbstgefälliger Siegesge¬
wißheit entgegen; das Heer wünschte den Krieg glühend, um endlich etwas
anderes zu sein, als „die Armee des 2. Decembers." Hierin stimmte es mit
den äußersten Radicalen überein, welche durch Barbe's Mund*) die Schwächung
des kriegerischen Geistes in Frankreich für einen unersetzlichen Verlust erklärten.
Die Armee sei das Volk; was werde aber aus diesem Volke, wenn es nicht
einmal mehr gut genug sei, eine Lunte abzubrennen! —

Am 26. Mai 1854 landeten die Verbündeten im Piräus und an dem¬
selben Tage rief Napoleon die kaiserliche Garde wieder ins Leben. Seit
seiner Jugend hatte ihm dies als Traumbild vorgeschwebt. Es ist bekannt,
wieviel die Traditionen der Garde zur Popularität des ersten Kaiserreichs
beigetragen hatten. Veteranen haben keine andere Erinnerung als ihre Fahne.
Die Soldaten der napoleonischen Garde hatten daher überall im Lande eine
Legion von Rhapsoden gebildet und fünfzehn Jahre hindurch den Ruhm des
Kaiserreichs gesungen. Das wußte Napoleon III. sehr wol, und schon in
seiner Erstlingsarbeit, den „Rkveriss politiquss" (1832) verlangte er in seiner
.Konstitution der Republik" die Wiederherstellung der kaiserlichen Garde. Jetzt
war der Augenblick da, den Traum zur Wirklichkeit zu machen, und obgleich
ein zur Discussion dieser Maßregel niedergesetztes Comite von Stabsoffieieren
sich entschieden gegen dieselbe aussprach und auf die Unzuträglichkeiten auf¬
merksam machte, welche das Bestehen einer privilegirten Truppe selbst während
der großen Kriege des ersten Kaiserreichs gehabt, so setzte Napoleon dennoch
seinen Jugendtraum durch. Die neue Garde bildete eine gemischte Division
aller Waffen und umfaßte in 2 Infanterie-Brigaden: 2 Grenadier- und 2



") Brief des tollen Revolutionärs aus seinem Gefängniß aus Belle-Jsle en Mer, auf
welchen hin der Kaiser ihm die Freiheit schenkte.
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[0059] Das neue Empire leitete sich in der That sehr friedlich ein. Bei der Eröffnung der großen Staatskörper hielt Napoleon eine Rede, in welcher es in Bezug auf das Budget von 18S3 hieß- „Sie werden ersehen, daß unsere Finanzlage niemals besser gewesen ist . . . Nichtsdestoweniger wird der Esfec- tivbestand der Armee, der schon im Lauf der letzten Jahre um 30,000 Mann verringert worden ist, noch eine weitere Reduction von 20,000 Mann erfah¬ ren." Die Regierung brauchte eben Geld und Friedensglauben und sie selbst, wie alle Welt war durch 37 Friedensjahre und die leichten Erfolge in Afrika in den festen Glauben eingewiegt worden, daß die militärischen Kräfte Frank¬ reichs vollauf seiner europäischen Rolle entsprächen. Bald sollte sich diese An¬ schauung als ein Irrthum zeigen. — Die orientalische Frage trat an Europa heran. Am 10. April 18S4 wurde zwischen Frankreich, England und der Türkei das als enteilte ovräialö bezeichnete Einvernehmen hergestellt. Die Nation sah dem Kriege ohne Begeisterung aber mit selbstgefälliger Siegesge¬ wißheit entgegen; das Heer wünschte den Krieg glühend, um endlich etwas anderes zu sein, als „die Armee des 2. Decembers." Hierin stimmte es mit den äußersten Radicalen überein, welche durch Barbe's Mund*) die Schwächung des kriegerischen Geistes in Frankreich für einen unersetzlichen Verlust erklärten. Die Armee sei das Volk; was werde aber aus diesem Volke, wenn es nicht einmal mehr gut genug sei, eine Lunte abzubrennen! — Am 26. Mai 1854 landeten die Verbündeten im Piräus und an dem¬ selben Tage rief Napoleon die kaiserliche Garde wieder ins Leben. Seit seiner Jugend hatte ihm dies als Traumbild vorgeschwebt. Es ist bekannt, wieviel die Traditionen der Garde zur Popularität des ersten Kaiserreichs beigetragen hatten. Veteranen haben keine andere Erinnerung als ihre Fahne. Die Soldaten der napoleonischen Garde hatten daher überall im Lande eine Legion von Rhapsoden gebildet und fünfzehn Jahre hindurch den Ruhm des Kaiserreichs gesungen. Das wußte Napoleon III. sehr wol, und schon in seiner Erstlingsarbeit, den „Rkveriss politiquss" (1832) verlangte er in seiner .Konstitution der Republik" die Wiederherstellung der kaiserlichen Garde. Jetzt war der Augenblick da, den Traum zur Wirklichkeit zu machen, und obgleich ein zur Discussion dieser Maßregel niedergesetztes Comite von Stabsoffieieren sich entschieden gegen dieselbe aussprach und auf die Unzuträglichkeiten auf¬ merksam machte, welche das Bestehen einer privilegirten Truppe selbst während der großen Kriege des ersten Kaiserreichs gehabt, so setzte Napoleon dennoch seinen Jugendtraum durch. Die neue Garde bildete eine gemischte Division aller Waffen und umfaßte in 2 Infanterie-Brigaden: 2 Grenadier- und 2 ") Brief des tollen Revolutionärs aus seinem Gefängniß aus Belle-Jsle en Mer, auf welchen hin der Kaiser ihm die Freiheit schenkte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/59>, abgerufen am 22.07.2024.