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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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zur Rettung des Vaterlandes verlangten. Versprechungen und Schmeicheleien
folgten:


"Im Jahre 1830 und im Jahre 1848 hat man Euch wie Besiegte behandelt.
Nachdem man Euere heldenmüthige Uneigennützigkeit geschändet hatte, verschmähte man
es, nach Eueren Sympathien und Wünschen zu fragen und dennoch seid Ihr die Elite
der Nation. Heute, in diesem feierlichen Augenblicke will ich, daß die Armee ihre
Stimme hören lasse. stimmet frei als Bürger, doch vergeßt als Soldaten nicht, daß
die strengste Pflicht der Armee vom General bis zum Soldaten der passive Gehorsam
für die Befehle des Oberhauptes der Negierung ist . . . Soldaten, ich spreche Euch
nicht von den Erinnerungen, die mein Name mach ruft; sie sind tief eingegraben in
Euer Herz. Wir sind durch unauflösliche Bande aneinander geknüpft. Euere Ge¬
schichte ist die meinige. Die Vergangenheit hat für uns eine Gemeinsamkeit des Ruhms
und der Unglücksfälle; die Zukunft wird für uns eine Gemeinsamkeit der Gesinnungen
und der Größe Frankreichs haben!"

Die Truppen, ohne von dieser Proklamation begeistert zu werden, zeigten
sich bereit, zu gehorchen. Als die Bevölkerung erwachte, fand sie die Ver¬
fassung gestürzt und die Militärregierung aufgerichtet. Der Widerstand, der
sich am 2. December zeigte, war, Dank der großen Entschiedenheit der Exe-
cutivgewo.le, gering. Oberst Lauriston machte zwar einen Versuch, die ihm
untergebene Legion der Nationalgarde zu versammeln; die Bekanntmachung,
daß jeder Nationalgardist, der sich in Uniform auf der Straße zeige, ohne
Weiteres erschossen werde, kreuzte ihn jedoch. Ein Theil der Nationalver¬
sammlung versuchte, seine Sitzungen in einer Mairie aufzunehmen und er¬
nannte den General Oudinot zum Befehlshaber in Paris. Einen Augenblick
schien es wirklich, als ob dieser Rumpf der Nationalversammlung noch etwas
bedeute; die ersten gegen ihn abgesandten Detachements zögerten, ihn ausein¬
anderzutreiben, und es entspannen sich zwischen den Volksvertretern und den
Soldaten förmliche Verhandlungen. Die Officiere verriethen eine gewisse Scheu
vor unmittelbarer Anwendung der Gewalt gegen die Deputirten; die Unter-
officiere aber sprachen im arrogantesten Ton in die Unterhandlung hinein
und drängten ihren Vorgesetzten die in ihnen selbst entflammten Leidenschaften
auf. Bald war denn auch dieses Rumpfparlament gesprengt, und der Prinz-
Präsident hielt einen Umritt durch die Stadt. Zu seiner Rechten ritt der
ehemalige König von Westfalen als Marschall von Frankreich,- dann folgten
die Generale Excelman's, Se. Arnaud, Magnam, de Flahaut, Daumas, La-
voestine, der Oberst Murat u. A. -- eine glänzende Suite. -- Ganz ohne
Kampf sollte sich aber auch diese Revolution nicht vollziehen. Obgleich Se.
Arnaud den Befehl bekannt machte, daß jede Person, welche beim Bau oder
bei Vertheidigung von Barrikaden oder mit den Waffen in der Hand betroffen
Würde, erschossen werden solle, so wurden, zumal in der Vorstadt Se. An-
toine, dennoch Barrikaden errichtet, und am 4. December nahm der Aufstand


zur Rettung des Vaterlandes verlangten. Versprechungen und Schmeicheleien
folgten:


„Im Jahre 1830 und im Jahre 1848 hat man Euch wie Besiegte behandelt.
Nachdem man Euere heldenmüthige Uneigennützigkeit geschändet hatte, verschmähte man
es, nach Eueren Sympathien und Wünschen zu fragen und dennoch seid Ihr die Elite
der Nation. Heute, in diesem feierlichen Augenblicke will ich, daß die Armee ihre
Stimme hören lasse. stimmet frei als Bürger, doch vergeßt als Soldaten nicht, daß
die strengste Pflicht der Armee vom General bis zum Soldaten der passive Gehorsam
für die Befehle des Oberhauptes der Negierung ist . . . Soldaten, ich spreche Euch
nicht von den Erinnerungen, die mein Name mach ruft; sie sind tief eingegraben in
Euer Herz. Wir sind durch unauflösliche Bande aneinander geknüpft. Euere Ge¬
schichte ist die meinige. Die Vergangenheit hat für uns eine Gemeinsamkeit des Ruhms
und der Unglücksfälle; die Zukunft wird für uns eine Gemeinsamkeit der Gesinnungen
und der Größe Frankreichs haben!"

Die Truppen, ohne von dieser Proklamation begeistert zu werden, zeigten
sich bereit, zu gehorchen. Als die Bevölkerung erwachte, fand sie die Ver¬
fassung gestürzt und die Militärregierung aufgerichtet. Der Widerstand, der
sich am 2. December zeigte, war, Dank der großen Entschiedenheit der Exe-
cutivgewo.le, gering. Oberst Lauriston machte zwar einen Versuch, die ihm
untergebene Legion der Nationalgarde zu versammeln; die Bekanntmachung,
daß jeder Nationalgardist, der sich in Uniform auf der Straße zeige, ohne
Weiteres erschossen werde, kreuzte ihn jedoch. Ein Theil der Nationalver¬
sammlung versuchte, seine Sitzungen in einer Mairie aufzunehmen und er¬
nannte den General Oudinot zum Befehlshaber in Paris. Einen Augenblick
schien es wirklich, als ob dieser Rumpf der Nationalversammlung noch etwas
bedeute; die ersten gegen ihn abgesandten Detachements zögerten, ihn ausein¬
anderzutreiben, und es entspannen sich zwischen den Volksvertretern und den
Soldaten förmliche Verhandlungen. Die Officiere verriethen eine gewisse Scheu
vor unmittelbarer Anwendung der Gewalt gegen die Deputirten; die Unter-
officiere aber sprachen im arrogantesten Ton in die Unterhandlung hinein
und drängten ihren Vorgesetzten die in ihnen selbst entflammten Leidenschaften
auf. Bald war denn auch dieses Rumpfparlament gesprengt, und der Prinz-
Präsident hielt einen Umritt durch die Stadt. Zu seiner Rechten ritt der
ehemalige König von Westfalen als Marschall von Frankreich,- dann folgten
die Generale Excelman's, Se. Arnaud, Magnam, de Flahaut, Daumas, La-
voestine, der Oberst Murat u. A. — eine glänzende Suite. — Ganz ohne
Kampf sollte sich aber auch diese Revolution nicht vollziehen. Obgleich Se.
Arnaud den Befehl bekannt machte, daß jede Person, welche beim Bau oder
bei Vertheidigung von Barrikaden oder mit den Waffen in der Hand betroffen
Würde, erschossen werden solle, so wurden, zumal in der Vorstadt Se. An-
toine, dennoch Barrikaden errichtet, und am 4. December nahm der Aufstand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/56>, abgerufen am 22.07.2024.