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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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etwas mehr Popularität zu verschaffen, wurde, trotz des Widerstrebens der
gesetzgebenden Versammlung, eine Expedition nach Kabylien unternommen,
deren Kommando der zum künftigen Kriegsminister bestimmte General Se.
Arnaud erhielt. Die großen und seltenen Dienste, welche er in Kabylien
leisten werde, wurden schon vorher von den bonapartistischen Journalen ver¬
herrlicht, und wenn die Vorstellung, daß man einen "großen" General so
wie einen "großen" Schauspieler durch Reclame creiren könne, auch nicht zu¬
traf, und trotz aller Anstrengung in Kabylien Se. Arnaud nur einen sueeök;
ä'estime errang, so genügte doch auch dieser schon, um ihn für die Zukunft
brauchbar zu machen.

Wenn man sich in solcher Weise eines ergebenen Officiercorps, zumal
einer ergebenen Generalität zu versichern bestrebt war, so hatte man schon
früher Schritte gethan, sich auch die Sympathien des so wichtigen Unter of¬
ficiercorps zu erwerben, indem man bei der Nationalversammlung einen
Gesetzesvorschlag zur Erhöhung des Unterofficiergehalts einbrachte. Der Kriegs¬
minister begründete die Proposition mit der gewiß sehr richtigen Erfahrung,
daß die Unterofficiere, sobald sie die Hoffnung verloren hätten, die Epauletten
zu bekommen, sich beeilten, den Dienst zu verlassen. Napoleon I. habe bereits
gesagt: "Man muß durch alle Mittel die Soldaten zu bewegen suchen, bei
der Fahne zu bleiben, und man wird das leicht erreichen, wenn man den alten
Soldaten große Achtung erweist. Man sollte die Gage nach Verhältniß der
Dienstjahre erhöhen; denn es liegt eine große Ungerechtigkeit darin, einen Ve¬
teranen nicht höher zu besolden, als einen jungen Menschen." Statt auf
diesen sachgemäßen Vorschlag einzugehn, brachte die Opposition einen Gegen¬
entwurf ein, welcher, um sich bei der Armee nicht unpopulär zu machen, aller¬
dings ebenfalls die Erhöhung der Löhnung proponirte, aber auf Kosten des
Effectivbestandes. Die Majorität endlich, die es weder mit der Regierung
noch mit der Armee verderben wollte, schlug vor, statt der Gehaltserhöhung
eine Prämie für das Rengagement zu zahlen.*) So entstand das
System der "Prime", welches wesentlich dazu beigetragen hat, die Masse der
Kapitulanten in der französischen Armee zu erhöhen, eine Erscheinung, die
übrigens der Abneigung der Franzosen gegen den persönlichen Dienst und
ihrem lebhaften Vorurtheil für "of visux", für die alten Soldaten, gleich¬
mäßig entgegenkam.**)




-) l^xile völorä- llistoirs Su seoonS IZMM'<Z. (1848--18K9).
") General Trochu sagt- "Das Glas, durch welches das Publicum die Armee betrachtet,
ist poetisch gefärbt, sodaß die Fehler der Armee verblassen. Daher jene eigenthümliche Art des
militärischen Enthusiasmus, die man vu-mvimswö nennt und der sich zum Waffengeist (zum
ächten militärischen Sinn) ebenso verhält wie der Fanatismus zum Geist ächter Religiosität.
So begeistern wir uns in Frankreich für die alten Soldaten. Die Tradition und die Bücher

etwas mehr Popularität zu verschaffen, wurde, trotz des Widerstrebens der
gesetzgebenden Versammlung, eine Expedition nach Kabylien unternommen,
deren Kommando der zum künftigen Kriegsminister bestimmte General Se.
Arnaud erhielt. Die großen und seltenen Dienste, welche er in Kabylien
leisten werde, wurden schon vorher von den bonapartistischen Journalen ver¬
herrlicht, und wenn die Vorstellung, daß man einen „großen" General so
wie einen „großen" Schauspieler durch Reclame creiren könne, auch nicht zu¬
traf, und trotz aller Anstrengung in Kabylien Se. Arnaud nur einen sueeök;
ä'estime errang, so genügte doch auch dieser schon, um ihn für die Zukunft
brauchbar zu machen.

Wenn man sich in solcher Weise eines ergebenen Officiercorps, zumal
einer ergebenen Generalität zu versichern bestrebt war, so hatte man schon
früher Schritte gethan, sich auch die Sympathien des so wichtigen Unter of¬
ficiercorps zu erwerben, indem man bei der Nationalversammlung einen
Gesetzesvorschlag zur Erhöhung des Unterofficiergehalts einbrachte. Der Kriegs¬
minister begründete die Proposition mit der gewiß sehr richtigen Erfahrung,
daß die Unterofficiere, sobald sie die Hoffnung verloren hätten, die Epauletten
zu bekommen, sich beeilten, den Dienst zu verlassen. Napoleon I. habe bereits
gesagt: „Man muß durch alle Mittel die Soldaten zu bewegen suchen, bei
der Fahne zu bleiben, und man wird das leicht erreichen, wenn man den alten
Soldaten große Achtung erweist. Man sollte die Gage nach Verhältniß der
Dienstjahre erhöhen; denn es liegt eine große Ungerechtigkeit darin, einen Ve¬
teranen nicht höher zu besolden, als einen jungen Menschen." Statt auf
diesen sachgemäßen Vorschlag einzugehn, brachte die Opposition einen Gegen¬
entwurf ein, welcher, um sich bei der Armee nicht unpopulär zu machen, aller¬
dings ebenfalls die Erhöhung der Löhnung proponirte, aber auf Kosten des
Effectivbestandes. Die Majorität endlich, die es weder mit der Regierung
noch mit der Armee verderben wollte, schlug vor, statt der Gehaltserhöhung
eine Prämie für das Rengagement zu zahlen.*) So entstand das
System der „Prime", welches wesentlich dazu beigetragen hat, die Masse der
Kapitulanten in der französischen Armee zu erhöhen, eine Erscheinung, die
übrigens der Abneigung der Franzosen gegen den persönlichen Dienst und
ihrem lebhaften Vorurtheil für „of visux", für die alten Soldaten, gleich¬
mäßig entgegenkam.**)




-) l^xile völorä- llistoirs Su seoonS IZMM'<Z. (1848—18K9).
") General Trochu sagt- „Das Glas, durch welches das Publicum die Armee betrachtet,
ist poetisch gefärbt, sodaß die Fehler der Armee verblassen. Daher jene eigenthümliche Art des
militärischen Enthusiasmus, die man vu-mvimswö nennt und der sich zum Waffengeist (zum
ächten militärischen Sinn) ebenso verhält wie der Fanatismus zum Geist ächter Religiosität.
So begeistern wir uns in Frankreich für die alten Soldaten. Die Tradition und die Bücher
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/53>, abgerufen am 22.07.2024.