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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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National-Zeitung in diesem Schritt das Anzeichen einer Krisis, in welche
Preußen und das Reich gekommen, deren Ausgang sich noch nicht übersehen
läßt. Unerwartet, wie die National-Zeitung meint, kommt diese Krisis jedoch
selbst dem nichteingeweihten denkenden Beobachter nicht. Ein solcher Beo¬
bachter hat sich längst sagen müssen, daß es nicht bleiben kann bei dem bis¬
herigen Nebeneinander der obersten Reichsbehörden und der obersten Behörden
des preußischen Staats. Die Verbindung zwischen beiden lag nur in der
Person des Fürsten Bismarck, in seiner gleichzeitigen Stellung an der Spitze
beider Behörden. Aber die wenig durchgreifenden Befugnisse eines preußischen
Ministerpräsidenten gestatteten dem Fürsten die Herstellung des nöthigen Zu¬
sammenwirkens und Jneinandergreifens nur mittels eines persönlichen Kraft¬
aufwandes, dem keine menschliche Natur auf die Dauer gewachsen sein kann.
Es war also längst klar, daß der Zeitpunkt einmal kommen mußte, wo der
Fürst erklären würde, die ungleichartige Doppellast auf keine Weise mehr
tragen zu können. Auch das war schon seit längerer Zeit vorauszusehen,
daß dieser Zeitpunkt nicht mehr fern sein könne. Die zunehmende Kränklich¬
keit des Fürsten und die zunehmenden Dimensionen der Doppelaufgabe
drängten gebieterisch zur Beschleunigung. Es kann nicht überraschen, daß der
Fürst den Moment seines Wiedereintritts in die Geschäfte dazu gewählt hat
um zu verlangen, daß seine geschäftliche Aufgabe in einer Weise regulirt werden
müsse, wodurch die Last derselben für eine menschliche Kraft überhaupt trag¬
bar wird.

Da giebt es nun viele kluge Leute, theils wohlmeinend, theils übelwollend,
welche beweisen, daß dem Fürsten die Abgabe des Vorsitzes im preußischen
Staatsministerium nicht Ernst sein könne. Man schlägt die Sammlungen der
Reden des Grafen Bismarck nach und findet, daß er einmal, nämlich bei Be¬
rathung der norddeutschen Bundesverfassung, ausgeführt hat, daß der Bundes¬
kanzler nothwendig vom preußischen Ministerpräsidenten abhängen müsse. Man
schlägt weiter nach und findet, daß der Bundeskanzler, als im norddeutschen
Reichstag verantwortliche Bundesminister an der Spitze der verschiedenen Ge¬
schäftszweige verlangt wurden, dieses Verlangen bekämpft und dabei gesagt
hat, daß die collegiale Ministerverfassung ein Fehler sei, von dem auch
Preußen so bald als möglich loszukommen suchen sollte. Man schließt aus
diesen beiden Reden, daß der Fürst jetzt seine Absicht auf die Reform der
preußischen Ministerialverfassung, insbesondere auf Beseitigung ihres collegia-
len Charakters gerichtet, und das Verlangen, den Vorsitz bei dieser Ministe¬
rialverfassung niederzulegen nur gestellt habe, um den Fortbestand derselben
unmöglich zu machen.

Man darf nun nicht vergessen, daß die bestehende Ministerialverfassung
dem Ministerpräsidenten nicht blos Schwierigkeiten bereitet durch die collegiale
Beschlußfassung über gewisse wichtige Staatsangelegenheiten. Wohl noch


National-Zeitung in diesem Schritt das Anzeichen einer Krisis, in welche
Preußen und das Reich gekommen, deren Ausgang sich noch nicht übersehen
läßt. Unerwartet, wie die National-Zeitung meint, kommt diese Krisis jedoch
selbst dem nichteingeweihten denkenden Beobachter nicht. Ein solcher Beo¬
bachter hat sich längst sagen müssen, daß es nicht bleiben kann bei dem bis¬
herigen Nebeneinander der obersten Reichsbehörden und der obersten Behörden
des preußischen Staats. Die Verbindung zwischen beiden lag nur in der
Person des Fürsten Bismarck, in seiner gleichzeitigen Stellung an der Spitze
beider Behörden. Aber die wenig durchgreifenden Befugnisse eines preußischen
Ministerpräsidenten gestatteten dem Fürsten die Herstellung des nöthigen Zu¬
sammenwirkens und Jneinandergreifens nur mittels eines persönlichen Kraft¬
aufwandes, dem keine menschliche Natur auf die Dauer gewachsen sein kann.
Es war also längst klar, daß der Zeitpunkt einmal kommen mußte, wo der
Fürst erklären würde, die ungleichartige Doppellast auf keine Weise mehr
tragen zu können. Auch das war schon seit längerer Zeit vorauszusehen,
daß dieser Zeitpunkt nicht mehr fern sein könne. Die zunehmende Kränklich¬
keit des Fürsten und die zunehmenden Dimensionen der Doppelaufgabe
drängten gebieterisch zur Beschleunigung. Es kann nicht überraschen, daß der
Fürst den Moment seines Wiedereintritts in die Geschäfte dazu gewählt hat
um zu verlangen, daß seine geschäftliche Aufgabe in einer Weise regulirt werden
müsse, wodurch die Last derselben für eine menschliche Kraft überhaupt trag¬
bar wird.

Da giebt es nun viele kluge Leute, theils wohlmeinend, theils übelwollend,
welche beweisen, daß dem Fürsten die Abgabe des Vorsitzes im preußischen
Staatsministerium nicht Ernst sein könne. Man schlägt die Sammlungen der
Reden des Grafen Bismarck nach und findet, daß er einmal, nämlich bei Be¬
rathung der norddeutschen Bundesverfassung, ausgeführt hat, daß der Bundes¬
kanzler nothwendig vom preußischen Ministerpräsidenten abhängen müsse. Man
schlägt weiter nach und findet, daß der Bundeskanzler, als im norddeutschen
Reichstag verantwortliche Bundesminister an der Spitze der verschiedenen Ge¬
schäftszweige verlangt wurden, dieses Verlangen bekämpft und dabei gesagt
hat, daß die collegiale Ministerverfassung ein Fehler sei, von dem auch
Preußen so bald als möglich loszukommen suchen sollte. Man schließt aus
diesen beiden Reden, daß der Fürst jetzt seine Absicht auf die Reform der
preußischen Ministerialverfassung, insbesondere auf Beseitigung ihres collegia-
len Charakters gerichtet, und das Verlangen, den Vorsitz bei dieser Ministe¬
rialverfassung niederzulegen nur gestellt habe, um den Fortbestand derselben
unmöglich zu machen.

Man darf nun nicht vergessen, daß die bestehende Ministerialverfassung
dem Ministerpräsidenten nicht blos Schwierigkeiten bereitet durch die collegiale
Beschlußfassung über gewisse wichtige Staatsangelegenheiten. Wohl noch


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[0520] National-Zeitung in diesem Schritt das Anzeichen einer Krisis, in welche Preußen und das Reich gekommen, deren Ausgang sich noch nicht übersehen läßt. Unerwartet, wie die National-Zeitung meint, kommt diese Krisis jedoch selbst dem nichteingeweihten denkenden Beobachter nicht. Ein solcher Beo¬ bachter hat sich längst sagen müssen, daß es nicht bleiben kann bei dem bis¬ herigen Nebeneinander der obersten Reichsbehörden und der obersten Behörden des preußischen Staats. Die Verbindung zwischen beiden lag nur in der Person des Fürsten Bismarck, in seiner gleichzeitigen Stellung an der Spitze beider Behörden. Aber die wenig durchgreifenden Befugnisse eines preußischen Ministerpräsidenten gestatteten dem Fürsten die Herstellung des nöthigen Zu¬ sammenwirkens und Jneinandergreifens nur mittels eines persönlichen Kraft¬ aufwandes, dem keine menschliche Natur auf die Dauer gewachsen sein kann. Es war also längst klar, daß der Zeitpunkt einmal kommen mußte, wo der Fürst erklären würde, die ungleichartige Doppellast auf keine Weise mehr tragen zu können. Auch das war schon seit längerer Zeit vorauszusehen, daß dieser Zeitpunkt nicht mehr fern sein könne. Die zunehmende Kränklich¬ keit des Fürsten und die zunehmenden Dimensionen der Doppelaufgabe drängten gebieterisch zur Beschleunigung. Es kann nicht überraschen, daß der Fürst den Moment seines Wiedereintritts in die Geschäfte dazu gewählt hat um zu verlangen, daß seine geschäftliche Aufgabe in einer Weise regulirt werden müsse, wodurch die Last derselben für eine menschliche Kraft überhaupt trag¬ bar wird. Da giebt es nun viele kluge Leute, theils wohlmeinend, theils übelwollend, welche beweisen, daß dem Fürsten die Abgabe des Vorsitzes im preußischen Staatsministerium nicht Ernst sein könne. Man schlägt die Sammlungen der Reden des Grafen Bismarck nach und findet, daß er einmal, nämlich bei Be¬ rathung der norddeutschen Bundesverfassung, ausgeführt hat, daß der Bundes¬ kanzler nothwendig vom preußischen Ministerpräsidenten abhängen müsse. Man schlägt weiter nach und findet, daß der Bundeskanzler, als im norddeutschen Reichstag verantwortliche Bundesminister an der Spitze der verschiedenen Ge¬ schäftszweige verlangt wurden, dieses Verlangen bekämpft und dabei gesagt hat, daß die collegiale Ministerverfassung ein Fehler sei, von dem auch Preußen so bald als möglich loszukommen suchen sollte. Man schließt aus diesen beiden Reden, daß der Fürst jetzt seine Absicht auf die Reform der preußischen Ministerialverfassung, insbesondere auf Beseitigung ihres collegia- len Charakters gerichtet, und das Verlangen, den Vorsitz bei dieser Ministe¬ rialverfassung niederzulegen nur gestellt habe, um den Fortbestand derselben unmöglich zu machen. Man darf nun nicht vergessen, daß die bestehende Ministerialverfassung dem Ministerpräsidenten nicht blos Schwierigkeiten bereitet durch die collegiale Beschlußfassung über gewisse wichtige Staatsangelegenheiten. Wohl noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/520>, abgerufen am 22.07.2024.