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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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dürfe, sie im gegebenen Augenblicke, selbst wenn das Vaterland in Gefahr sei,
zurückzuziehn,*) -- Diese interessanten Verhandlungen zeigen auf alle Fälle,
daß der später der Regierung Napoleon's mit so großem Recht vorgeworfene
Gedanke der Exoneration keineswegs ihr specifisch angehört, sondern bereits
unter der Republik debattirr worden ist, die es übrigens in militärischen
Dingen nirgends über Projecte hinaufgebracht hat.

Für Louis Napoleon waren zur Zeit alle solche Prinzipienfragen gleich-
giltig; für ihn handelte es sich jetzt lediglich um Fragen der Macht.

Da es in Paris so gute Wirkung gehabt, daß der Präsident gleich bei
Uebernahme seines Amtes ungewöhnlicherweise die ganze Militärgewalt der
Hauptstadt, d. h. das Commando über Truppen und Nationalgarde, in Einer
Hand, der Changarnier's, vereinigt hatte, so beeilte er sich nun, auch im
Süden und Westen Frankreichs die Militärmacht dadurch zu stärken, daß er
das Commando über 8 Militärdivisionen in die Hände dreier Generale, der
Befehlshaber zu Lyon, Montpellier und Bordeaux, zusammenfaßte. Das
Verhältniß zu Changarnier freilich erfuhr bald darauf eine Erschütterung,
die endlich zum völligen Bruche führte. Gelegentlich der Lagerübungen und
Revuen in den Ebenen von Satory und bei Se. Maur, denen Louis Na¬
poleon im Herbst 18S0 beiwohnte, hatte nämlich die Partei des Präsidenten
mit allen möglichen Mitteln, namentlich aber durch reichliche Libationen
geistiger Getränke, das "heilige Feuer" des Bonapartismus bei den.Truppen
geschürt. Der in Strömen fließende Wein hatte seine Wirkung nicht verfehlt
und in den Knall der Champagnerflaschen mischte sich überall der Ruf: Vivs
Xapolöon, vivs ! -- Die Nationalversammlung hatte das übel
vermerkt, und General Changarnier sah sich in Folge dessen veranlaßt, als
Oberbefehlshaber gegen die plumpen Bestechrwgsversuche einzuschreiten und
durch einen Tagesbefehl jene Lebehochs zu tadeln und zu verbieten. Louis
Napoleon wagte nicht, hiergegen aufzutreten; die Schuld blieb auf dem Kriegs¬
minister sitzen und General Hautpoul nahm in Folge dessen als solcher seine
Entlassung^), wurde aber zum Gouverneur von Algier ernannt. Sein Nach¬
folger wurde General Schramm. -- Changarnier spielte unterdessen eine
sehr zweideutige Rolle. Bei Gelegenheit eines an sich unbedeutenden und
gleichgiltigen Zwischenfalles, erließ er einen Tagesbefehl, der das unbedingte
Verbot enthielt, irgend welchen Aufforderungen zur Hilfleistung zu gehorchen,
die etwa von Seiten der Nationalversammlung oder andern civilen Behörden
an die Truppen gerichtet würden. In der Versammlung interpellirt, leugnete
er jedoch diesen Inhalt des Tagesbefehls ab und gab zu verstehn, seine Ordre




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dürfe, sie im gegebenen Augenblicke, selbst wenn das Vaterland in Gefahr sei,
zurückzuziehn,*) — Diese interessanten Verhandlungen zeigen auf alle Fälle,
daß der später der Regierung Napoleon's mit so großem Recht vorgeworfene
Gedanke der Exoneration keineswegs ihr specifisch angehört, sondern bereits
unter der Republik debattirr worden ist, die es übrigens in militärischen
Dingen nirgends über Projecte hinaufgebracht hat.

Für Louis Napoleon waren zur Zeit alle solche Prinzipienfragen gleich-
giltig; für ihn handelte es sich jetzt lediglich um Fragen der Macht.

Da es in Paris so gute Wirkung gehabt, daß der Präsident gleich bei
Uebernahme seines Amtes ungewöhnlicherweise die ganze Militärgewalt der
Hauptstadt, d. h. das Commando über Truppen und Nationalgarde, in Einer
Hand, der Changarnier's, vereinigt hatte, so beeilte er sich nun, auch im
Süden und Westen Frankreichs die Militärmacht dadurch zu stärken, daß er
das Commando über 8 Militärdivisionen in die Hände dreier Generale, der
Befehlshaber zu Lyon, Montpellier und Bordeaux, zusammenfaßte. Das
Verhältniß zu Changarnier freilich erfuhr bald darauf eine Erschütterung,
die endlich zum völligen Bruche führte. Gelegentlich der Lagerübungen und
Revuen in den Ebenen von Satory und bei Se. Maur, denen Louis Na¬
poleon im Herbst 18S0 beiwohnte, hatte nämlich die Partei des Präsidenten
mit allen möglichen Mitteln, namentlich aber durch reichliche Libationen
geistiger Getränke, das „heilige Feuer" des Bonapartismus bei den.Truppen
geschürt. Der in Strömen fließende Wein hatte seine Wirkung nicht verfehlt
und in den Knall der Champagnerflaschen mischte sich überall der Ruf: Vivs
Xapolöon, vivs ! — Die Nationalversammlung hatte das übel
vermerkt, und General Changarnier sah sich in Folge dessen veranlaßt, als
Oberbefehlshaber gegen die plumpen Bestechrwgsversuche einzuschreiten und
durch einen Tagesbefehl jene Lebehochs zu tadeln und zu verbieten. Louis
Napoleon wagte nicht, hiergegen aufzutreten; die Schuld blieb auf dem Kriegs¬
minister sitzen und General Hautpoul nahm in Folge dessen als solcher seine
Entlassung^), wurde aber zum Gouverneur von Algier ernannt. Sein Nach¬
folger wurde General Schramm. — Changarnier spielte unterdessen eine
sehr zweideutige Rolle. Bei Gelegenheit eines an sich unbedeutenden und
gleichgiltigen Zwischenfalles, erließ er einen Tagesbefehl, der das unbedingte
Verbot enthielt, irgend welchen Aufforderungen zur Hilfleistung zu gehorchen,
die etwa von Seiten der Nationalversammlung oder andern civilen Behörden
an die Truppen gerichtet würden. In der Versammlung interpellirt, leugnete
er jedoch diesen Inhalt des Tagesbefehls ab und gab zu verstehn, seine Ordre




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/51>, abgerufen am 22.07.2024.