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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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und an einzelne Glieder derselben, besonders an solche, die neu beigetreten
waren.

Das eine Mal deutete die Babanin gewisse Kapitel und Verse der Apo¬
kalypse aus, indem sie darin die letzten Regierungsperioden und Regenten
Rußlands geweissagt fand. Den zweiten Vers des sechsten Kapitels: "Und
siehe ein weißes Pferd, und der darauf saß, hatte einen Bogen, und ihm ward
gegeben eine Krone, und er zog aus, zu überwinden, daß er siegete," bezog
sie auf den Kaiser Peter den Dritten, welcher nach ihrer Meinung gesiegt
hatte, weil er ein Verschnittener gewesen war. Der vierte Vers jenes Kapitels
der Offenbarung lautet bekanntlich: "Und es ging heraus ein anderes Pferd,
das war roth,, und dem, der darauf saß, ward gegeben, daß er den Frieden
nehme von der Erde, und daß sie sich unter einander würgeten, und ihm
ward ein großes Schwert gegeben'. Damit ist aber nach der Auslegung der
Skopzenprophetin niemand anders als der Czar Alexander der Erste gemeint,
der den großen Krieg gegen die Heiden im Westen führte. Vers fünf und
sechs bezog die Babanin auf sich und ihre Glaubensgenossen selbst. Man
liest da: "Und da das Lamm das dritte Siegel aufthat, hörte ich das dritte
Thier sagen: Komm und siehe zu! Und ich sahe, und siehe, ein schwarzes
Pferd, und der darauf saß, hatte eine Wage in der Hand. Und ich hörte
eine Stimme unter den vier Thieren sagen: Eine Maß einen Groschen, und
drei Maß Weizen um einen Groschen, und dem Oel und Wein thue kein Leid
an." Dies deutete die Babanin in folgender abgeschmackter Weise: die Maß
Weizen versinnbildet die Verschneidung der Heiligen, die drei Maß Gerste, die
auch blos einen Groschen werth sind, wollen besagen, daß ein Gläubiger
welcher noch nicht verschnitten ist, für seiner Seelen Heil dreimal mehr arbeiten
muß als ein Verschnittener. Das Oel stellt die göttliche Gnade und der
Wein die selige Freude dar, die Dem, welcher die Feuertaufe erhalten hat,
nicht gestört werden soll.

Den achten Vers, welcher lautet: "Siehe, ein falbes Pferd, und der daraus
saß, deß Name hieß Tod, und die Hölle folgte ihm nach, und ihnen ward
Macht gegeben, zu tödten das vierte Theil auf Erden mit dem Schwert und
Hunger und durch die Thiere auf Erden", behandelte die Auslegerin als eine
Weissagung vom Kaiser Nicolaus, der das Volk des Herrn, die Skopzen, den
wilden Thieren, nämlich den Bischöfen der orthodoxen Kirchen und den un¬
reinen Gerichtspersonen überantwortet habe.

Das "Siegel Gottes", endlich, von dem im neunten Kapitel gesagt ist,
es werde die Menschen vor den aus den Brunnen des Abgrundes aufgestiegenen
Heuschrecken mit Skorpionenschwänzen bewahren, ist nach der Deutung der
Babanin nichts Anderes als die Operation der Verschneidung, die von der
Seete auch "das kaiserliche Siegel" genannt wird.


und an einzelne Glieder derselben, besonders an solche, die neu beigetreten
waren.

Das eine Mal deutete die Babanin gewisse Kapitel und Verse der Apo¬
kalypse aus, indem sie darin die letzten Regierungsperioden und Regenten
Rußlands geweissagt fand. Den zweiten Vers des sechsten Kapitels: „Und
siehe ein weißes Pferd, und der darauf saß, hatte einen Bogen, und ihm ward
gegeben eine Krone, und er zog aus, zu überwinden, daß er siegete," bezog
sie auf den Kaiser Peter den Dritten, welcher nach ihrer Meinung gesiegt
hatte, weil er ein Verschnittener gewesen war. Der vierte Vers jenes Kapitels
der Offenbarung lautet bekanntlich: „Und es ging heraus ein anderes Pferd,
das war roth,, und dem, der darauf saß, ward gegeben, daß er den Frieden
nehme von der Erde, und daß sie sich unter einander würgeten, und ihm
ward ein großes Schwert gegeben'. Damit ist aber nach der Auslegung der
Skopzenprophetin niemand anders als der Czar Alexander der Erste gemeint,
der den großen Krieg gegen die Heiden im Westen führte. Vers fünf und
sechs bezog die Babanin auf sich und ihre Glaubensgenossen selbst. Man
liest da: „Und da das Lamm das dritte Siegel aufthat, hörte ich das dritte
Thier sagen: Komm und siehe zu! Und ich sahe, und siehe, ein schwarzes
Pferd, und der darauf saß, hatte eine Wage in der Hand. Und ich hörte
eine Stimme unter den vier Thieren sagen: Eine Maß einen Groschen, und
drei Maß Weizen um einen Groschen, und dem Oel und Wein thue kein Leid
an." Dies deutete die Babanin in folgender abgeschmackter Weise: die Maß
Weizen versinnbildet die Verschneidung der Heiligen, die drei Maß Gerste, die
auch blos einen Groschen werth sind, wollen besagen, daß ein Gläubiger
welcher noch nicht verschnitten ist, für seiner Seelen Heil dreimal mehr arbeiten
muß als ein Verschnittener. Das Oel stellt die göttliche Gnade und der
Wein die selige Freude dar, die Dem, welcher die Feuertaufe erhalten hat,
nicht gestört werden soll.

Den achten Vers, welcher lautet: „Siehe, ein falbes Pferd, und der daraus
saß, deß Name hieß Tod, und die Hölle folgte ihm nach, und ihnen ward
Macht gegeben, zu tödten das vierte Theil auf Erden mit dem Schwert und
Hunger und durch die Thiere auf Erden", behandelte die Auslegerin als eine
Weissagung vom Kaiser Nicolaus, der das Volk des Herrn, die Skopzen, den
wilden Thieren, nämlich den Bischöfen der orthodoxen Kirchen und den un¬
reinen Gerichtspersonen überantwortet habe.

Das „Siegel Gottes", endlich, von dem im neunten Kapitel gesagt ist,
es werde die Menschen vor den aus den Brunnen des Abgrundes aufgestiegenen
Heuschrecken mit Skorpionenschwänzen bewahren, ist nach der Deutung der
Babanin nichts Anderes als die Operation der Verschneidung, die von der
Seete auch „das kaiserliche Siegel" genannt wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/503>, abgerufen am 22.07.2024.