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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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einem Stück russischen Geldes und mit einem Heiligenbilde zu thun. Das
Geldstück versinnbildet den Staat, das Bild wird mit Füßen getreten, um an¬
zudeuten, daß der Betreffende der orthodoxen Kirche entsagt.

Die Skopzen bilden nämlich einen eigenen geheimen Staat und eine un¬
sichtbare Kirche, die ihre besonderen Heiligen hat. Diese Heiligen, nicht die
Czaren, sind auch ihre Fürsten, und wenn sie dieselben nicht sehen, so ist die
Zeit nicht fern, wo sie hervortreten und die öffentliche Gewalt in die Hand
nehmen werden. Inzwischen wird die stille Gemeinde von Stellvertretern der¬
selben, wie Ploticyn einer war, regiert. Kaiser Peter der Dritte war die im
Evangelium verheißene und im Glaubensbekenntniß ausgesprochene Wieder¬
kunft Christi oder vielmehr, er ist diese Wiederkunft noch. Es ist nicht wahr,
daß jener Seliwanoff, in dessen Gestalt er nach seiner angeblichen Ermordung
zu Ropscha die Lehre von der seligmachenden Feuertaufe predigte, im Suzdal-
schen Kloster gestorben sei. Der wiedergekehrte Christus ist niemals gestorben,
weder als Peter der Dritte in Ropscha noch als Seliwanoff in Suzdal. Er
ist nur von hier nach der Gegend von Jrkutsk versetzt worden, wo er noch
heute in der Verborgenheit lebt. Er hat zwölf Apostel, die mit den zwölf
Jüngern Christi die vierundzwanzig Aeltesten bilden, welche nach dem fünften
Hauptstück der Offenbarung Johannis mit den wunderbaren vier Thieren voll
Augen um den Stuhl des Lammes sitzen, "Harfen und goldene Schalen voll
Rauchwerk in den Händen, welches sind die Gebete der Heiligen." Als Mit-
regentin in diesem mystischen Staate, diesem auf die Erde herniedergesunkenen
Himmelreich ist die ebenfalls bereits erwähnte und gleichermaßen noch lebende
Mutina Jwanowna, jene Gottesmutter, die als Kaiserin Elisabeth Petrowna
hieß. Endlich verehrt die Seele auch in dem Czaren Paul und dessen Sohn
Alexander große Heilige, und es scheint, daß auch diese nach der Meinung
der Skopzen sich vor ihrem Scheiden aus der sichtbaren Welt der Feuertaufe
unterzogen haben.

Die rechtgläubige, morgenländische Kirche ist das Reich des Antichrists,
welches die Apokalypse in ihrem siebzehnten Kapitel unter dem Bilde einer
großen Buhlerin beschreibt. "Und ich sah das Weib sitzen auf einem rosen¬
farbenen Thier, das war voll Namen der Lästerung und hatte sieben Häupter
und zehn Hörner. Und das Weib war bekleidet mit Scharlach und Rosin-
farb und übergoldet mit Gold und Edelsteinen und Perlen und hatte einen
goldenen Becher in der Hand voll Greuels und Unsauberkeit . . .
Und an ihrer Stirne stand geschrieben der Name: das Geheimniß, die große
Babylon, die Mutter . . . aller Greuel auf Erden. Und ich sah das
Weib trunken von dem Blut der Heiligen und von dem Blut der Zeugen
Jesu. Und ich verwunderte mich sehr, da ich sie sah." Die Priester dieser
Kirche sind demzufolge nicht mehr werth als die Priester der Heiden, und die


einem Stück russischen Geldes und mit einem Heiligenbilde zu thun. Das
Geldstück versinnbildet den Staat, das Bild wird mit Füßen getreten, um an¬
zudeuten, daß der Betreffende der orthodoxen Kirche entsagt.

Die Skopzen bilden nämlich einen eigenen geheimen Staat und eine un¬
sichtbare Kirche, die ihre besonderen Heiligen hat. Diese Heiligen, nicht die
Czaren, sind auch ihre Fürsten, und wenn sie dieselben nicht sehen, so ist die
Zeit nicht fern, wo sie hervortreten und die öffentliche Gewalt in die Hand
nehmen werden. Inzwischen wird die stille Gemeinde von Stellvertretern der¬
selben, wie Ploticyn einer war, regiert. Kaiser Peter der Dritte war die im
Evangelium verheißene und im Glaubensbekenntniß ausgesprochene Wieder¬
kunft Christi oder vielmehr, er ist diese Wiederkunft noch. Es ist nicht wahr,
daß jener Seliwanoff, in dessen Gestalt er nach seiner angeblichen Ermordung
zu Ropscha die Lehre von der seligmachenden Feuertaufe predigte, im Suzdal-
schen Kloster gestorben sei. Der wiedergekehrte Christus ist niemals gestorben,
weder als Peter der Dritte in Ropscha noch als Seliwanoff in Suzdal. Er
ist nur von hier nach der Gegend von Jrkutsk versetzt worden, wo er noch
heute in der Verborgenheit lebt. Er hat zwölf Apostel, die mit den zwölf
Jüngern Christi die vierundzwanzig Aeltesten bilden, welche nach dem fünften
Hauptstück der Offenbarung Johannis mit den wunderbaren vier Thieren voll
Augen um den Stuhl des Lammes sitzen, „Harfen und goldene Schalen voll
Rauchwerk in den Händen, welches sind die Gebete der Heiligen." Als Mit-
regentin in diesem mystischen Staate, diesem auf die Erde herniedergesunkenen
Himmelreich ist die ebenfalls bereits erwähnte und gleichermaßen noch lebende
Mutina Jwanowna, jene Gottesmutter, die als Kaiserin Elisabeth Petrowna
hieß. Endlich verehrt die Seele auch in dem Czaren Paul und dessen Sohn
Alexander große Heilige, und es scheint, daß auch diese nach der Meinung
der Skopzen sich vor ihrem Scheiden aus der sichtbaren Welt der Feuertaufe
unterzogen haben.

Die rechtgläubige, morgenländische Kirche ist das Reich des Antichrists,
welches die Apokalypse in ihrem siebzehnten Kapitel unter dem Bilde einer
großen Buhlerin beschreibt. „Und ich sah das Weib sitzen auf einem rosen¬
farbenen Thier, das war voll Namen der Lästerung und hatte sieben Häupter
und zehn Hörner. Und das Weib war bekleidet mit Scharlach und Rosin-
farb und übergoldet mit Gold und Edelsteinen und Perlen und hatte einen
goldenen Becher in der Hand voll Greuels und Unsauberkeit . . .
Und an ihrer Stirne stand geschrieben der Name: das Geheimniß, die große
Babylon, die Mutter . . . aller Greuel auf Erden. Und ich sah das
Weib trunken von dem Blut der Heiligen und von dem Blut der Zeugen
Jesu. Und ich verwunderte mich sehr, da ich sie sah." Die Priester dieser
Kirche sind demzufolge nicht mehr werth als die Priester der Heiden, und die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/499>, abgerufen am 25.08.2024.