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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Trischatny zeigte zunächst Brief und Geld der Abendgesellschaft drinnen, über¬
gab sie dann der Behörde und schritt schließlich zur Verhaftung Ploticyn's.

Soweit wäre die Sache in der Ordnung. Nun aber wird die Erzählung
einigermaßen fabelhaft. Man fand, nachdem eine gründliche Untersuchung an¬
geordnet worden, die wunderbarsten Dinge. Die Häuser, welche der Verhaf¬
tete in Morschansk besaß, bildeten ein zusammenhängendes Stadtviertel- Die
Fenster nach der Außenseite hin waren verhängt und zum Theil verrammelt.
Das Innere glich einem Labyrinth von Kammern und Gängen. Zuletzt
entdeckte man unter dem Erdgeschoß vier tellerartige Räume, in die ein ver¬
borgener Gang führte, und hier stieß man auf einen ungeheuren Schatz:
Rollen von Jmperialen in Schubladen, Haufen von Silbermünzen, die in
halbvermoderten Säcken unter den Steinplatten des Fußbodens oder hinter
den Eisenthüren in den Wänden lagen, endlich hundert Reichsbankbillete,
jedes zu hunderttausend Rubeln.

Ploticyn war, so lautet unsere Erzählung weiter, nichts Geringeres als
das jetzige Oberhaupt der Skopzenseete in ganz Rußland. Der Schatz in
seinen Kellern, ungefähr dreißig Millionen Rubel, war ohne Zweifel ein Theil
der Mittel, mit denen vie Skopzen in früheren Jahren, wo es noch keine
ehrlichen und pflichtgetreuen Trischatnys gab, die Bemühungen der Regierung,
ihr den Schleier abzureißen und sie zur Bestrafung zu bringen, vereitelt hatte.
Zugleich aber schienen diese Millionen nach den bei Ploticyn mit Beschlag
belegten Schriftstücken noch zu einem bedenklicheren Zwecke aufgehäuft worden
zu sein. Die Skopzen hatten diesen und vermuthlich noch andere Schätze an¬
gesammelt, um damit zu gegebner Zeit -- Einige fügten hinzu: im Einver-
ständniß mit der geheimen polnischen Nationalregierung -- die dermalige
Staatsordnung des russischen Reiches zu Falle zu bringen um auf deren
Trümmern einen Staat nach dem Gesetz der Feuertäufer zu errichten.

Wieviel hiervon wahr ist, läßt sich mit Sicherheit nicht sagen. Daß die
dreißig Millionen, von denen während der Untersuchung mehrere im Hand¬
umdrehen verschwunden sein sollen, und daß die Verbindungen der Skopzen
mit den Polen Mythe sind, ist als ausgemacht zu betrachten. Ploticyn war
ein sehr reicher Mann, und daß die Skopzen Gegner der jetzigen Staatsord¬
nung sind, wird später gezeigt werden. Aber sie sind eine zu weichliche Seele,
um den Umsturz derselben selbst in die Hand nehmen zu wollen, erwarten
ihn vielmehr auf dem Wege des Wunders. Ohne Zweifel hat man in den
Kellern Ploticyn's viel Geld, vielleicht ein paar Millionen gefunden. Gewiß
ist sodann, daß man in dessen Hause nicht weniger als neun verstümmelte
Frauen antraf, und daß sich darunter die leibliche Schwester desselben befand.
Endlich ist sicher, daß die dort saisirte Korrespondenz eine weite Verzweigung
der Secte erkennen ließ, und daß durch sie verschiedene reiche und angesehene


Trischatny zeigte zunächst Brief und Geld der Abendgesellschaft drinnen, über¬
gab sie dann der Behörde und schritt schließlich zur Verhaftung Ploticyn's.

Soweit wäre die Sache in der Ordnung. Nun aber wird die Erzählung
einigermaßen fabelhaft. Man fand, nachdem eine gründliche Untersuchung an¬
geordnet worden, die wunderbarsten Dinge. Die Häuser, welche der Verhaf¬
tete in Morschansk besaß, bildeten ein zusammenhängendes Stadtviertel- Die
Fenster nach der Außenseite hin waren verhängt und zum Theil verrammelt.
Das Innere glich einem Labyrinth von Kammern und Gängen. Zuletzt
entdeckte man unter dem Erdgeschoß vier tellerartige Räume, in die ein ver¬
borgener Gang führte, und hier stieß man auf einen ungeheuren Schatz:
Rollen von Jmperialen in Schubladen, Haufen von Silbermünzen, die in
halbvermoderten Säcken unter den Steinplatten des Fußbodens oder hinter
den Eisenthüren in den Wänden lagen, endlich hundert Reichsbankbillete,
jedes zu hunderttausend Rubeln.

Ploticyn war, so lautet unsere Erzählung weiter, nichts Geringeres als
das jetzige Oberhaupt der Skopzenseete in ganz Rußland. Der Schatz in
seinen Kellern, ungefähr dreißig Millionen Rubel, war ohne Zweifel ein Theil
der Mittel, mit denen vie Skopzen in früheren Jahren, wo es noch keine
ehrlichen und pflichtgetreuen Trischatnys gab, die Bemühungen der Regierung,
ihr den Schleier abzureißen und sie zur Bestrafung zu bringen, vereitelt hatte.
Zugleich aber schienen diese Millionen nach den bei Ploticyn mit Beschlag
belegten Schriftstücken noch zu einem bedenklicheren Zwecke aufgehäuft worden
zu sein. Die Skopzen hatten diesen und vermuthlich noch andere Schätze an¬
gesammelt, um damit zu gegebner Zeit — Einige fügten hinzu: im Einver-
ständniß mit der geheimen polnischen Nationalregierung — die dermalige
Staatsordnung des russischen Reiches zu Falle zu bringen um auf deren
Trümmern einen Staat nach dem Gesetz der Feuertäufer zu errichten.

Wieviel hiervon wahr ist, läßt sich mit Sicherheit nicht sagen. Daß die
dreißig Millionen, von denen während der Untersuchung mehrere im Hand¬
umdrehen verschwunden sein sollen, und daß die Verbindungen der Skopzen
mit den Polen Mythe sind, ist als ausgemacht zu betrachten. Ploticyn war
ein sehr reicher Mann, und daß die Skopzen Gegner der jetzigen Staatsord¬
nung sind, wird später gezeigt werden. Aber sie sind eine zu weichliche Seele,
um den Umsturz derselben selbst in die Hand nehmen zu wollen, erwarten
ihn vielmehr auf dem Wege des Wunders. Ohne Zweifel hat man in den
Kellern Ploticyn's viel Geld, vielleicht ein paar Millionen gefunden. Gewiß
ist sodann, daß man in dessen Hause nicht weniger als neun verstümmelte
Frauen antraf, und daß sich darunter die leibliche Schwester desselben befand.
Endlich ist sicher, daß die dort saisirte Korrespondenz eine weite Verzweigung
der Secte erkennen ließ, und daß durch sie verschiedene reiche und angesehene


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[0496] Trischatny zeigte zunächst Brief und Geld der Abendgesellschaft drinnen, über¬ gab sie dann der Behörde und schritt schließlich zur Verhaftung Ploticyn's. Soweit wäre die Sache in der Ordnung. Nun aber wird die Erzählung einigermaßen fabelhaft. Man fand, nachdem eine gründliche Untersuchung an¬ geordnet worden, die wunderbarsten Dinge. Die Häuser, welche der Verhaf¬ tete in Morschansk besaß, bildeten ein zusammenhängendes Stadtviertel- Die Fenster nach der Außenseite hin waren verhängt und zum Theil verrammelt. Das Innere glich einem Labyrinth von Kammern und Gängen. Zuletzt entdeckte man unter dem Erdgeschoß vier tellerartige Räume, in die ein ver¬ borgener Gang führte, und hier stieß man auf einen ungeheuren Schatz: Rollen von Jmperialen in Schubladen, Haufen von Silbermünzen, die in halbvermoderten Säcken unter den Steinplatten des Fußbodens oder hinter den Eisenthüren in den Wänden lagen, endlich hundert Reichsbankbillete, jedes zu hunderttausend Rubeln. Ploticyn war, so lautet unsere Erzählung weiter, nichts Geringeres als das jetzige Oberhaupt der Skopzenseete in ganz Rußland. Der Schatz in seinen Kellern, ungefähr dreißig Millionen Rubel, war ohne Zweifel ein Theil der Mittel, mit denen vie Skopzen in früheren Jahren, wo es noch keine ehrlichen und pflichtgetreuen Trischatnys gab, die Bemühungen der Regierung, ihr den Schleier abzureißen und sie zur Bestrafung zu bringen, vereitelt hatte. Zugleich aber schienen diese Millionen nach den bei Ploticyn mit Beschlag belegten Schriftstücken noch zu einem bedenklicheren Zwecke aufgehäuft worden zu sein. Die Skopzen hatten diesen und vermuthlich noch andere Schätze an¬ gesammelt, um damit zu gegebner Zeit — Einige fügten hinzu: im Einver- ständniß mit der geheimen polnischen Nationalregierung — die dermalige Staatsordnung des russischen Reiches zu Falle zu bringen um auf deren Trümmern einen Staat nach dem Gesetz der Feuertäufer zu errichten. Wieviel hiervon wahr ist, läßt sich mit Sicherheit nicht sagen. Daß die dreißig Millionen, von denen während der Untersuchung mehrere im Hand¬ umdrehen verschwunden sein sollen, und daß die Verbindungen der Skopzen mit den Polen Mythe sind, ist als ausgemacht zu betrachten. Ploticyn war ein sehr reicher Mann, und daß die Skopzen Gegner der jetzigen Staatsord¬ nung sind, wird später gezeigt werden. Aber sie sind eine zu weichliche Seele, um den Umsturz derselben selbst in die Hand nehmen zu wollen, erwarten ihn vielmehr auf dem Wege des Wunders. Ohne Zweifel hat man in den Kellern Ploticyn's viel Geld, vielleicht ein paar Millionen gefunden. Gewiß ist sodann, daß man in dessen Hause nicht weniger als neun verstümmelte Frauen antraf, und daß sich darunter die leibliche Schwester desselben befand. Endlich ist sicher, daß die dort saisirte Korrespondenz eine weite Verzweigung der Secte erkennen ließ, und daß durch sie verschiedene reiche und angesehene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/496>, abgerufen am 22.07.2024.