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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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angesehen werde, worauf Paul denselben zurückkommen und als einen Wahn¬
sinnigen ins Irrenhaus sperren ließ, Paul's Nachfolger, Alexander, schickte
ihn 1802 in eine Strafanstalt. Die reichen Anhänger des Propheten aber
wußten ihm nach kurzer Zeit die Freiheit zu verschaffen, und nun lebte er
mehrere Jahre umgeben von Glanz und Pracht in den Häusern der Peters¬
burger Millionäre, die der Secte beigetreten waren. 1820 indeß schritt die
Behörde abermals gegen sein Treiben ein und sandte ihn in das Kloster von
Suzdal, wo er zu Ende der zwanziger Jahre gestorben ist.

Die Akulina Jwanowna, welche als Gottesmutter und zugleich als ehe¬
malige Kaiserin Elisabeth verehrt wurde, ist eine Person, deren Vergangen¬
heit nicht aufgehellt worden ist. Vielleicht ist sie eine und dieselbe Persön¬
lichkeit mit der, welche im Jahre 1844 von den Skopzen zu Morschansk im
Gouvernement Tamboff als Gottesmutter angesehen wurde. Ihr Alter läßt
diese Vermuthung zu; denn Anna Sachanoff, wie die Heilige sich hier nannte,
zählte damals fast hundert Jahre.

Ein dritter hochgeehrter Heiliger der Sekte ist der Bauer Schiloff; denn
in ihm erblickt dieselbe den Fürsten Daschkoff, der zu den Günstlingen Peter's
des Dritten gehörte und nach der Mythologie der Skopzen nichts geringeres
als die Wiederkunft des Lieblingsjüngers Jesu, Johannes, war. Die Kaiserin
Katharina ließ ihn in Dünaburg einsperren. Paul schickte ihn nach Schlüssel¬
burg, wo er 1799 als Gefangener starb. Sein dort befindliches Grab ist eins
von den Heiligthümern der Secte, deren Mitglieder zu ihm wallfahrten.

Unter dem vorletzten Czaren wurde mehrmals gegen die Secte eingeschritten,
und eine Anzahl ihrer Angehörigen ging in die Verbannung nach Sibirien.
Andere flüchteten sich nach den Donaufürstenthümern, wo sie sich seitdem vor¬
züglich in Galacz und Bukarest, vor Allem aber in Jassy stark verbreitet
haben. Beinahe alle Droschkenkutscher sollen hier der Secte angehören. Die
Regierung läßt sie gewähren, und sie bemühen sich eifrig um Proselyten,
nehmen jedoch nur Russen auf. Charakteristisch ist in dieser Beziehung die
Antwort, die Andreas Kuzin. ihr Prophet und Vorsteher in Jassy, einem
Zigeuner ertheilte, der sich bereit erklärte, gegen Zahlung von hundert Ducaten
sich der Feuertaufe der Skopzen zu unterwerfen. "Einem Russen," so sagte
jener zu dem sich Meldenden trocken, "würden wir gern zweihundert Ducaten
geben, auch mehr, wenn er's verlangte; Du aber bekommst nicht einmal zwei;
denn Du hast für uns keinen Werth, Dich können wir nicht brauchen."

Im Allgemeinen kam bei den früheren Processen gegen die Skopzen nicht
viel heraus. Die Angeklagten waren, so einfältig sie sonst auch sein mochten,
auf das Leugnen und Verdrehen der Thatsachen gut eingeschult. Die alte
Gerichtsverfassung kam ihnen zu Statten. Die Polizei hatte in vielen Fällen
blöde Augen und ein schlechtes Gedächtniß, da die reichen Mitglieder der Secte


angesehen werde, worauf Paul denselben zurückkommen und als einen Wahn¬
sinnigen ins Irrenhaus sperren ließ, Paul's Nachfolger, Alexander, schickte
ihn 1802 in eine Strafanstalt. Die reichen Anhänger des Propheten aber
wußten ihm nach kurzer Zeit die Freiheit zu verschaffen, und nun lebte er
mehrere Jahre umgeben von Glanz und Pracht in den Häusern der Peters¬
burger Millionäre, die der Secte beigetreten waren. 1820 indeß schritt die
Behörde abermals gegen sein Treiben ein und sandte ihn in das Kloster von
Suzdal, wo er zu Ende der zwanziger Jahre gestorben ist.

Die Akulina Jwanowna, welche als Gottesmutter und zugleich als ehe¬
malige Kaiserin Elisabeth verehrt wurde, ist eine Person, deren Vergangen¬
heit nicht aufgehellt worden ist. Vielleicht ist sie eine und dieselbe Persön¬
lichkeit mit der, welche im Jahre 1844 von den Skopzen zu Morschansk im
Gouvernement Tamboff als Gottesmutter angesehen wurde. Ihr Alter läßt
diese Vermuthung zu; denn Anna Sachanoff, wie die Heilige sich hier nannte,
zählte damals fast hundert Jahre.

Ein dritter hochgeehrter Heiliger der Sekte ist der Bauer Schiloff; denn
in ihm erblickt dieselbe den Fürsten Daschkoff, der zu den Günstlingen Peter's
des Dritten gehörte und nach der Mythologie der Skopzen nichts geringeres
als die Wiederkunft des Lieblingsjüngers Jesu, Johannes, war. Die Kaiserin
Katharina ließ ihn in Dünaburg einsperren. Paul schickte ihn nach Schlüssel¬
burg, wo er 1799 als Gefangener starb. Sein dort befindliches Grab ist eins
von den Heiligthümern der Secte, deren Mitglieder zu ihm wallfahrten.

Unter dem vorletzten Czaren wurde mehrmals gegen die Secte eingeschritten,
und eine Anzahl ihrer Angehörigen ging in die Verbannung nach Sibirien.
Andere flüchteten sich nach den Donaufürstenthümern, wo sie sich seitdem vor¬
züglich in Galacz und Bukarest, vor Allem aber in Jassy stark verbreitet
haben. Beinahe alle Droschkenkutscher sollen hier der Secte angehören. Die
Regierung läßt sie gewähren, und sie bemühen sich eifrig um Proselyten,
nehmen jedoch nur Russen auf. Charakteristisch ist in dieser Beziehung die
Antwort, die Andreas Kuzin. ihr Prophet und Vorsteher in Jassy, einem
Zigeuner ertheilte, der sich bereit erklärte, gegen Zahlung von hundert Ducaten
sich der Feuertaufe der Skopzen zu unterwerfen. „Einem Russen," so sagte
jener zu dem sich Meldenden trocken, „würden wir gern zweihundert Ducaten
geben, auch mehr, wenn er's verlangte; Du aber bekommst nicht einmal zwei;
denn Du hast für uns keinen Werth, Dich können wir nicht brauchen."

Im Allgemeinen kam bei den früheren Processen gegen die Skopzen nicht
viel heraus. Die Angeklagten waren, so einfältig sie sonst auch sein mochten,
auf das Leugnen und Verdrehen der Thatsachen gut eingeschult. Die alte
Gerichtsverfassung kam ihnen zu Statten. Die Polizei hatte in vielen Fällen
blöde Augen und ein schlechtes Gedächtniß, da die reichen Mitglieder der Secte


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[0494] angesehen werde, worauf Paul denselben zurückkommen und als einen Wahn¬ sinnigen ins Irrenhaus sperren ließ, Paul's Nachfolger, Alexander, schickte ihn 1802 in eine Strafanstalt. Die reichen Anhänger des Propheten aber wußten ihm nach kurzer Zeit die Freiheit zu verschaffen, und nun lebte er mehrere Jahre umgeben von Glanz und Pracht in den Häusern der Peters¬ burger Millionäre, die der Secte beigetreten waren. 1820 indeß schritt die Behörde abermals gegen sein Treiben ein und sandte ihn in das Kloster von Suzdal, wo er zu Ende der zwanziger Jahre gestorben ist. Die Akulina Jwanowna, welche als Gottesmutter und zugleich als ehe¬ malige Kaiserin Elisabeth verehrt wurde, ist eine Person, deren Vergangen¬ heit nicht aufgehellt worden ist. Vielleicht ist sie eine und dieselbe Persön¬ lichkeit mit der, welche im Jahre 1844 von den Skopzen zu Morschansk im Gouvernement Tamboff als Gottesmutter angesehen wurde. Ihr Alter läßt diese Vermuthung zu; denn Anna Sachanoff, wie die Heilige sich hier nannte, zählte damals fast hundert Jahre. Ein dritter hochgeehrter Heiliger der Sekte ist der Bauer Schiloff; denn in ihm erblickt dieselbe den Fürsten Daschkoff, der zu den Günstlingen Peter's des Dritten gehörte und nach der Mythologie der Skopzen nichts geringeres als die Wiederkunft des Lieblingsjüngers Jesu, Johannes, war. Die Kaiserin Katharina ließ ihn in Dünaburg einsperren. Paul schickte ihn nach Schlüssel¬ burg, wo er 1799 als Gefangener starb. Sein dort befindliches Grab ist eins von den Heiligthümern der Secte, deren Mitglieder zu ihm wallfahrten. Unter dem vorletzten Czaren wurde mehrmals gegen die Secte eingeschritten, und eine Anzahl ihrer Angehörigen ging in die Verbannung nach Sibirien. Andere flüchteten sich nach den Donaufürstenthümern, wo sie sich seitdem vor¬ züglich in Galacz und Bukarest, vor Allem aber in Jassy stark verbreitet haben. Beinahe alle Droschkenkutscher sollen hier der Secte angehören. Die Regierung läßt sie gewähren, und sie bemühen sich eifrig um Proselyten, nehmen jedoch nur Russen auf. Charakteristisch ist in dieser Beziehung die Antwort, die Andreas Kuzin. ihr Prophet und Vorsteher in Jassy, einem Zigeuner ertheilte, der sich bereit erklärte, gegen Zahlung von hundert Ducaten sich der Feuertaufe der Skopzen zu unterwerfen. „Einem Russen," so sagte jener zu dem sich Meldenden trocken, „würden wir gern zweihundert Ducaten geben, auch mehr, wenn er's verlangte; Du aber bekommst nicht einmal zwei; denn Du hast für uns keinen Werth, Dich können wir nicht brauchen." Im Allgemeinen kam bei den früheren Processen gegen die Skopzen nicht viel heraus. Die Angeklagten waren, so einfältig sie sonst auch sein mochten, auf das Leugnen und Verdrehen der Thatsachen gut eingeschult. Die alte Gerichtsverfassung kam ihnen zu Statten. Die Polizei hatte in vielen Fällen blöde Augen und ein schlechtes Gedächtniß, da die reichen Mitglieder der Secte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/494>, abgerufen am 25.08.2024.