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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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fort, wo er allenthalben die Feuertaufe predigte, Viele bekehrte und eine
Menge von Wundern verrichtete. In seine Heimath zurückgekehrt, wurde er
im Gouvernement Tula wegen Proselytenmacherei festgenommen, vor Gericht
gestellt und dann im Dorfe Sosnowka mit Knutenhieben bestraft, worauf
man ihn nach Jrkutsk in Sibirien deportirte.

So wird uns in seinen "Leiden", einer plumpen Nachahmung der
evangelischen Passionsgeschichte, erzählt. Kaiser Paul, so berichten die Skopzen
weiter, ließ Seliwanoff, als er von seiner Lehre gehört, aus der Verbannung
zurückkommen und gewährte ihm eine Audienz, in der er sich von ihm die
Feuertaufe predigen ließ, doch nahm er den Glauben nicht an. Unter Czar
Alexander dem Ersten lebte Seliwanoff unbehelligt zu Petersburg, wo
ihm der Skopze Sladownikoff eine stattliche Wohnung eingerichtet hatte,
und wo es ihm gelang, eine große Anzahl Personen nachhaltig zu
überzeugen, daß er "Christus, der wahrhaftige Gott" sei. Auf dem Gipfel
der Herrlichkeit gelangt und von höchster Verehrung umgeben, wurde er, als
man endlich außerhalb der Gemeinde innegeworden, daß die Feuertaufe doch
etwas mehr als eine bloße Verstümmelung zu bedeuten habe, von Neuem
verfolgt. Indeß begnügte man sich bei dem duldsamer Charakter der Regie¬
rung Alexander's, ihn in das Kloster von Suzdal zu bringen, wo er noch
heutigen Tages lebt. Wenn er das Gericht über die Lebendigen und die
Todten noch nicht gehalten hat, so wird er seine Gründe haben. Denn er
könnte "nach seinem göttlichen Dafürhalten" in jedem Augenblick dazu schreiten,
und wenn es ihm belieben wird, so "werden sich vor ihm alle Kaiser und
Fürsten der Erde mit solcher Inbrunst beugen, daß man vielleicht das Rasir-
messer bei Seite thun und wie vor Alters nur mit dem rothen Eisen ope-
riren wird."

Ueber diese Erlebnisse und VerWandelungen Seliwanoff's und namentlich
über dessen vollständige Identität mit dem Czaren Peter besitzen die Skopzen
die sichersten Nachrichten und Zeugnisse, unter denen vorzüglich die Mittheilungen
von hohem Werthe sind, welche der vertrauteste Jünger ihres Messias, der
Hoflakai Semjon Kobeljoff hinterlassen hat.

Die profane Geschichte des heiligen Mannes jedoch lautet einfacher und
glaubwürdiger. Sie ist in Kurzem folgende. Unter dem Kaiser Paul trat
der Bauer Seliwanoff auf dem Dorfe Stolbowo im Gouvernement Orel als
Prophet auf, predigte die geschlechtliche Verstümmelung als Mittel zur Selig¬
keit, gewann für diese Lehre eine Anzahl reiche Leute, die ihm ihr Vermögen
zur Verfügung stellten, wurde aber endlich von den Gerichten gefaßt und zu
Knutenstrafe und Verbannung nach Sibirien verurtheilt. Ein von dort
zurückgekehrter Skopez, der moskauer Kaufmann Kolesnikoff, berichtete einige
Zeit nachher dem Czaren, daß Seliwanosf in Jrkutsk als Peter der dritte


fort, wo er allenthalben die Feuertaufe predigte, Viele bekehrte und eine
Menge von Wundern verrichtete. In seine Heimath zurückgekehrt, wurde er
im Gouvernement Tula wegen Proselytenmacherei festgenommen, vor Gericht
gestellt und dann im Dorfe Sosnowka mit Knutenhieben bestraft, worauf
man ihn nach Jrkutsk in Sibirien deportirte.

So wird uns in seinen „Leiden", einer plumpen Nachahmung der
evangelischen Passionsgeschichte, erzählt. Kaiser Paul, so berichten die Skopzen
weiter, ließ Seliwanoff, als er von seiner Lehre gehört, aus der Verbannung
zurückkommen und gewährte ihm eine Audienz, in der er sich von ihm die
Feuertaufe predigen ließ, doch nahm er den Glauben nicht an. Unter Czar
Alexander dem Ersten lebte Seliwanoff unbehelligt zu Petersburg, wo
ihm der Skopze Sladownikoff eine stattliche Wohnung eingerichtet hatte,
und wo es ihm gelang, eine große Anzahl Personen nachhaltig zu
überzeugen, daß er „Christus, der wahrhaftige Gott" sei. Auf dem Gipfel
der Herrlichkeit gelangt und von höchster Verehrung umgeben, wurde er, als
man endlich außerhalb der Gemeinde innegeworden, daß die Feuertaufe doch
etwas mehr als eine bloße Verstümmelung zu bedeuten habe, von Neuem
verfolgt. Indeß begnügte man sich bei dem duldsamer Charakter der Regie¬
rung Alexander's, ihn in das Kloster von Suzdal zu bringen, wo er noch
heutigen Tages lebt. Wenn er das Gericht über die Lebendigen und die
Todten noch nicht gehalten hat, so wird er seine Gründe haben. Denn er
könnte „nach seinem göttlichen Dafürhalten" in jedem Augenblick dazu schreiten,
und wenn es ihm belieben wird, so „werden sich vor ihm alle Kaiser und
Fürsten der Erde mit solcher Inbrunst beugen, daß man vielleicht das Rasir-
messer bei Seite thun und wie vor Alters nur mit dem rothen Eisen ope-
riren wird."

Ueber diese Erlebnisse und VerWandelungen Seliwanoff's und namentlich
über dessen vollständige Identität mit dem Czaren Peter besitzen die Skopzen
die sichersten Nachrichten und Zeugnisse, unter denen vorzüglich die Mittheilungen
von hohem Werthe sind, welche der vertrauteste Jünger ihres Messias, der
Hoflakai Semjon Kobeljoff hinterlassen hat.

Die profane Geschichte des heiligen Mannes jedoch lautet einfacher und
glaubwürdiger. Sie ist in Kurzem folgende. Unter dem Kaiser Paul trat
der Bauer Seliwanoff auf dem Dorfe Stolbowo im Gouvernement Orel als
Prophet auf, predigte die geschlechtliche Verstümmelung als Mittel zur Selig¬
keit, gewann für diese Lehre eine Anzahl reiche Leute, die ihm ihr Vermögen
zur Verfügung stellten, wurde aber endlich von den Gerichten gefaßt und zu
Knutenstrafe und Verbannung nach Sibirien verurtheilt. Ein von dort
zurückgekehrter Skopez, der moskauer Kaufmann Kolesnikoff, berichtete einige
Zeit nachher dem Czaren, daß Seliwanosf in Jrkutsk als Peter der dritte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/493>, abgerufen am 22.07.2024.