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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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der politischen und parlamentarischen Talente. Es möchte unter den neuen
Pairs kein einziger sein, der im Stande wäre, mit einer gewissen populären
Kraft, mit dem Nachdruck einer hohen Stellung und gediegenen Bildung die
wahrhaft staatsmännisch-conservativen Anschauungen zu vertreten, welche nach
dem Beruf, wie er dem Herrenhaus zugedacht ist, daselbst immer die Majo¬
rität haben sollten. Aber wenn es auch nur Eine solche Persönlichkeit gäbe,
so wäre die Regierung an derselben sicherlich nicht vorbeigegangen.

Die Sitzung am 6. December, wo die Kreisordnung wiederum zur
ersten Berathung stand, wurde im Uebrigen von der alten Majorität zwar
reichlich benutzt ihr Herz auszuschütten, aber staatsmännische Gesichtspunkte
fanden sich nur in den Vorträgen des Ministers des Innern. Wie oft ist
nicht der Rücktritt des Grafen Eulenburg als eine Nothwendigkeit grade für
die Reform der Kreisverfassung erklärt worden! -- Das sei ein Werk, hieß
es, welches einen ganz anderen Mann erfordere. Wir möchten wohl wissen,
wo der Mann zu finden sein soll, der geeigneter gewesen wäre, die gesunden
und nothwendigen Gedanken der Kreisverfassungsreform an allen in Betracht
kommenden Stellen mit gleichem Glück und mit gleichem Erfolg der Ueber¬
zeugung zu vertheidigen, wie Graf Eulenburg. Noch körperlich unwohl, ent-
gegnete er auch in der Sitzung vom 6. December den aufgebrachten Rednern
der alten Majorität nicht nur mit Schlagfertigkeit, sondern überdies, wie es
einem Minister in der Regel zukommt, ohne zu verletzen und, wie es auch
dem bedeutenden Redner nicht immer glückt, unter treffender Herbeiziehung
allgemein gültiger Wahrheiten. Von den Rednern der alten Majorität da¬
gegen erstieg der Herr v. Kleist-Retzow den Gipfel der Komik, indem er den
Grafen Eulenburg darstellte: inmitten des durch die Kreisordnung herbeige¬
führten Chaos, auf Trümmern seine Cigarre rauchend. Der Kladderadatsch
wird sich dieses Bild nicht entgehen lassen und seine besondere Dankbarkeit dem
Herrn von Kleist-Retzow zu bezeigen nicht verfehlen.

In der Sitzung des Herrenhauses vom 7. December wurde die Special-
verhandlung über die Kreisordnung begonnen und zu Ende geführt. Das
Ergebniß war die unveränderte Annahme des Gesetzes. Eine namentliche
Abstimmung, welche die zuverlässige Constatirung der Majorität gestattet,
fand nur bei einem Paragraphen statt. Danach betrug die Majorität für
die Regierungsvorlage 114 gegen 87 Stimmen. Die Abstimmung über das
Gesetz im Ganzen ist auf den 9. December angesetzt, und wird wahrscheinlich
die definitive Annahme des Gesetzes, vielleicht mit einer etwas kleineren Majo¬
rität ergeben, wenn, wie angenommen wird, noch einige Herren anlangen
sollten, die das Gesetz zu verwerfen entschlossen sind. Aber schon heute kann
man behaupten, daß die Berufung von 24 neuen Herren völlig ausreichend
gewesen ist. die Annahme der Kreisordnung zu sichern. Die Regierung hat


der politischen und parlamentarischen Talente. Es möchte unter den neuen
Pairs kein einziger sein, der im Stande wäre, mit einer gewissen populären
Kraft, mit dem Nachdruck einer hohen Stellung und gediegenen Bildung die
wahrhaft staatsmännisch-conservativen Anschauungen zu vertreten, welche nach
dem Beruf, wie er dem Herrenhaus zugedacht ist, daselbst immer die Majo¬
rität haben sollten. Aber wenn es auch nur Eine solche Persönlichkeit gäbe,
so wäre die Regierung an derselben sicherlich nicht vorbeigegangen.

Die Sitzung am 6. December, wo die Kreisordnung wiederum zur
ersten Berathung stand, wurde im Uebrigen von der alten Majorität zwar
reichlich benutzt ihr Herz auszuschütten, aber staatsmännische Gesichtspunkte
fanden sich nur in den Vorträgen des Ministers des Innern. Wie oft ist
nicht der Rücktritt des Grafen Eulenburg als eine Nothwendigkeit grade für
die Reform der Kreisverfassung erklärt worden! — Das sei ein Werk, hieß
es, welches einen ganz anderen Mann erfordere. Wir möchten wohl wissen,
wo der Mann zu finden sein soll, der geeigneter gewesen wäre, die gesunden
und nothwendigen Gedanken der Kreisverfassungsreform an allen in Betracht
kommenden Stellen mit gleichem Glück und mit gleichem Erfolg der Ueber¬
zeugung zu vertheidigen, wie Graf Eulenburg. Noch körperlich unwohl, ent-
gegnete er auch in der Sitzung vom 6. December den aufgebrachten Rednern
der alten Majorität nicht nur mit Schlagfertigkeit, sondern überdies, wie es
einem Minister in der Regel zukommt, ohne zu verletzen und, wie es auch
dem bedeutenden Redner nicht immer glückt, unter treffender Herbeiziehung
allgemein gültiger Wahrheiten. Von den Rednern der alten Majorität da¬
gegen erstieg der Herr v. Kleist-Retzow den Gipfel der Komik, indem er den
Grafen Eulenburg darstellte: inmitten des durch die Kreisordnung herbeige¬
führten Chaos, auf Trümmern seine Cigarre rauchend. Der Kladderadatsch
wird sich dieses Bild nicht entgehen lassen und seine besondere Dankbarkeit dem
Herrn von Kleist-Retzow zu bezeigen nicht verfehlen.

In der Sitzung des Herrenhauses vom 7. December wurde die Special-
verhandlung über die Kreisordnung begonnen und zu Ende geführt. Das
Ergebniß war die unveränderte Annahme des Gesetzes. Eine namentliche
Abstimmung, welche die zuverlässige Constatirung der Majorität gestattet,
fand nur bei einem Paragraphen statt. Danach betrug die Majorität für
die Regierungsvorlage 114 gegen 87 Stimmen. Die Abstimmung über das
Gesetz im Ganzen ist auf den 9. December angesetzt, und wird wahrscheinlich
die definitive Annahme des Gesetzes, vielleicht mit einer etwas kleineren Majo¬
rität ergeben, wenn, wie angenommen wird, noch einige Herren anlangen
sollten, die das Gesetz zu verwerfen entschlossen sind. Aber schon heute kann
man behaupten, daß die Berufung von 24 neuen Herren völlig ausreichend
gewesen ist. die Annahme der Kreisordnung zu sichern. Die Regierung hat


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[0482] der politischen und parlamentarischen Talente. Es möchte unter den neuen Pairs kein einziger sein, der im Stande wäre, mit einer gewissen populären Kraft, mit dem Nachdruck einer hohen Stellung und gediegenen Bildung die wahrhaft staatsmännisch-conservativen Anschauungen zu vertreten, welche nach dem Beruf, wie er dem Herrenhaus zugedacht ist, daselbst immer die Majo¬ rität haben sollten. Aber wenn es auch nur Eine solche Persönlichkeit gäbe, so wäre die Regierung an derselben sicherlich nicht vorbeigegangen. Die Sitzung am 6. December, wo die Kreisordnung wiederum zur ersten Berathung stand, wurde im Uebrigen von der alten Majorität zwar reichlich benutzt ihr Herz auszuschütten, aber staatsmännische Gesichtspunkte fanden sich nur in den Vorträgen des Ministers des Innern. Wie oft ist nicht der Rücktritt des Grafen Eulenburg als eine Nothwendigkeit grade für die Reform der Kreisverfassung erklärt worden! — Das sei ein Werk, hieß es, welches einen ganz anderen Mann erfordere. Wir möchten wohl wissen, wo der Mann zu finden sein soll, der geeigneter gewesen wäre, die gesunden und nothwendigen Gedanken der Kreisverfassungsreform an allen in Betracht kommenden Stellen mit gleichem Glück und mit gleichem Erfolg der Ueber¬ zeugung zu vertheidigen, wie Graf Eulenburg. Noch körperlich unwohl, ent- gegnete er auch in der Sitzung vom 6. December den aufgebrachten Rednern der alten Majorität nicht nur mit Schlagfertigkeit, sondern überdies, wie es einem Minister in der Regel zukommt, ohne zu verletzen und, wie es auch dem bedeutenden Redner nicht immer glückt, unter treffender Herbeiziehung allgemein gültiger Wahrheiten. Von den Rednern der alten Majorität da¬ gegen erstieg der Herr v. Kleist-Retzow den Gipfel der Komik, indem er den Grafen Eulenburg darstellte: inmitten des durch die Kreisordnung herbeige¬ führten Chaos, auf Trümmern seine Cigarre rauchend. Der Kladderadatsch wird sich dieses Bild nicht entgehen lassen und seine besondere Dankbarkeit dem Herrn von Kleist-Retzow zu bezeigen nicht verfehlen. In der Sitzung des Herrenhauses vom 7. December wurde die Special- verhandlung über die Kreisordnung begonnen und zu Ende geführt. Das Ergebniß war die unveränderte Annahme des Gesetzes. Eine namentliche Abstimmung, welche die zuverlässige Constatirung der Majorität gestattet, fand nur bei einem Paragraphen statt. Danach betrug die Majorität für die Regierungsvorlage 114 gegen 87 Stimmen. Die Abstimmung über das Gesetz im Ganzen ist auf den 9. December angesetzt, und wird wahrscheinlich die definitive Annahme des Gesetzes, vielleicht mit einer etwas kleineren Majo¬ rität ergeben, wenn, wie angenommen wird, noch einige Herren anlangen sollten, die das Gesetz zu verwerfen entschlossen sind. Aber schon heute kann man behaupten, daß die Berufung von 24 neuen Herren völlig ausreichend gewesen ist. die Annahme der Kreisordnung zu sichern. Die Regierung hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/482>, abgerufen am 22.07.2024.