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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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muß sagen, daß die Wahl der Personen durchaus tactvoll getroffen wurde.
Es waren dabei mehr Klippen zu vermeiden, als man sich gewöhnlich klar
macht. So wurde z, B> die Berufung einer Anzahl hervorragender Abgeord¬
neten vermuthet. Nun steht es aber so, daß das Abgeordnetenhaus von den
hervorragenden Befähigungen in seiner Mitte keine einzige entbehren kann,
während es zweifelhaft ist, wo in den außerparlamentarischen Kreisen der
Ersatz nöthigenfalls zu finden wäre. Politisches wie parlamentarisches Talent
sind bei uns noch auffallend selten, am seltensten aber die Verbindung beider.
Dem größten parlamentarischen Talent, das wir seit dem Vereinigten Land¬
tag auftreten sahen, fehlte jede Spur politischer Fähigkeit, und der größte
politische Redner und Denker, den unsere heutigen parlamentarischen Versamm¬
lungen zählen, ist kein parlamentarischer Taktiker, d. h. kein Talent, das sich
bei festem praktischen Wollen zu accomodiren versteht und dadurch zu lenken
und die parlamentarischen Situationen für die Erfolge zu verwerthen. Sehen
wir aber auch von den höchsten Ansprüchen ab, so zählt das Abgeordnetenhaus
dennoch keine entbehrlichen Kräfte, wenn man nicht etwa an solche Namen
sich hätte wenden sollen, die nur bei den Abstimmungen zum Vorschein
kommen. Diese Klippe ist vermieden worden. Allein es gab noch andere
genug. So lange man noch nicht weiß, wie das Herrenhaus zu reformiren
und bezw. zu ersetzen ist, darf keine Berufung von Elementen in dasselbe
stattfinden, die mit seinem Character völlig unverträglich sind. Auch dies
vermieden zu haben, ist ein Verdienst der Regierung, welches mit großer
Wärme ein Redner der bisherigen Majorität des Herrenhauses, der Graf
Schulenburg-Beetzendorf anerkannte. Er begrüßte die neu eingetretenen Mit¬
glieder folgendermaßen: "Ich begrüße Sie wegen der Zartheit, mit welcher
die Wahl Ihrer Personen dem Character dieses Hauses angepaßt ist; ich be¬
grüße Sie wegen der treuen Dienste, welche Sie der Krone und dem Lande
geleistet haben; ich begrüße Sie in Ehrfurcht wegen Ihres Alters." So
konnte ein eifriger Kämpfer der alten Majorität angesichts der neuen Pairs
nicht umhin zu sprechen. Der Ausbruch seines Gefühls war zwar von leb¬
hafter Heiterkeit des Hauses begleitet, aber es war die Wahrheit und nicht
die Unrichtigkeit der Worte, welche diese Heiterkeit hervorrief. Uebrigens
konnte der Redner nicht unterlassen, der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß die
neuen Pairs zwar der Kreisordnung, aber doch nicht der Reform des Herren¬
hauses ihre Dienste leihen würden. Dieser Hoffnung gegenüber ist wohl zu
sagen, daß die Haltung der neuen Pairs bei einer etwaigen Reform des Her¬
renhauses von dem Geist dieser Reform abhängen wird, wie es von Rechts¬
wegen bei allen Herren der Fall sein sollte.

Die einzige Ausstellung, die an den neuen Berufungen zu machen wäre,
trifft nicht die Regierung, sondern das schon bemerkte sparsame Vorkommen


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muß sagen, daß die Wahl der Personen durchaus tactvoll getroffen wurde.
Es waren dabei mehr Klippen zu vermeiden, als man sich gewöhnlich klar
macht. So wurde z, B> die Berufung einer Anzahl hervorragender Abgeord¬
neten vermuthet. Nun steht es aber so, daß das Abgeordnetenhaus von den
hervorragenden Befähigungen in seiner Mitte keine einzige entbehren kann,
während es zweifelhaft ist, wo in den außerparlamentarischen Kreisen der
Ersatz nöthigenfalls zu finden wäre. Politisches wie parlamentarisches Talent
sind bei uns noch auffallend selten, am seltensten aber die Verbindung beider.
Dem größten parlamentarischen Talent, das wir seit dem Vereinigten Land¬
tag auftreten sahen, fehlte jede Spur politischer Fähigkeit, und der größte
politische Redner und Denker, den unsere heutigen parlamentarischen Versamm¬
lungen zählen, ist kein parlamentarischer Taktiker, d. h. kein Talent, das sich
bei festem praktischen Wollen zu accomodiren versteht und dadurch zu lenken
und die parlamentarischen Situationen für die Erfolge zu verwerthen. Sehen
wir aber auch von den höchsten Ansprüchen ab, so zählt das Abgeordnetenhaus
dennoch keine entbehrlichen Kräfte, wenn man nicht etwa an solche Namen
sich hätte wenden sollen, die nur bei den Abstimmungen zum Vorschein
kommen. Diese Klippe ist vermieden worden. Allein es gab noch andere
genug. So lange man noch nicht weiß, wie das Herrenhaus zu reformiren
und bezw. zu ersetzen ist, darf keine Berufung von Elementen in dasselbe
stattfinden, die mit seinem Character völlig unverträglich sind. Auch dies
vermieden zu haben, ist ein Verdienst der Regierung, welches mit großer
Wärme ein Redner der bisherigen Majorität des Herrenhauses, der Graf
Schulenburg-Beetzendorf anerkannte. Er begrüßte die neu eingetretenen Mit¬
glieder folgendermaßen: „Ich begrüße Sie wegen der Zartheit, mit welcher
die Wahl Ihrer Personen dem Character dieses Hauses angepaßt ist; ich be¬
grüße Sie wegen der treuen Dienste, welche Sie der Krone und dem Lande
geleistet haben; ich begrüße Sie in Ehrfurcht wegen Ihres Alters." So
konnte ein eifriger Kämpfer der alten Majorität angesichts der neuen Pairs
nicht umhin zu sprechen. Der Ausbruch seines Gefühls war zwar von leb¬
hafter Heiterkeit des Hauses begleitet, aber es war die Wahrheit und nicht
die Unrichtigkeit der Worte, welche diese Heiterkeit hervorrief. Uebrigens
konnte der Redner nicht unterlassen, der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß die
neuen Pairs zwar der Kreisordnung, aber doch nicht der Reform des Herren¬
hauses ihre Dienste leihen würden. Dieser Hoffnung gegenüber ist wohl zu
sagen, daß die Haltung der neuen Pairs bei einer etwaigen Reform des Her¬
renhauses von dem Geist dieser Reform abhängen wird, wie es von Rechts¬
wegen bei allen Herren der Fall sein sollte.

Die einzige Ausstellung, die an den neuen Berufungen zu machen wäre,
trifft nicht die Regierung, sondern das schon bemerkte sparsame Vorkommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/481>, abgerufen am 22.07.2024.