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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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wissen, daß man am besten den Protestantismus gegen den Kaiser verthei¬
dige, indem man den Kaiser angreife. Den Schritt von der reinen Defensive
zu einer offensiven Action kostete Moritz viel Mühe seinen Genossen begreiflich
zu machen. Und auch ohne Frankreich vorzugehen, hielt Moritz für unmöglich.
Bet den Unterhandlungen stellte sich heraus, daß man den Franzosen einen
Preis für ihre Unterstützung^zu zahlen habe, -- die lothringischen Bisthümer-
Man gab sie weg.

Für uns Spätere ist das einer der schwersten Vorwürfe, daß die deutschen
Protestanten deutsches Gebiet an Frankreich ausgeliefert haben. Und in der
That, es ist und bleibt immer eine Schmach für eine Nation, wenn sie vom
eigenen Leibe Stücke losreißen muß, des Fremden Hülfe zu bezahlen. Es
frommt nicht, diese Wunde zu verkleistern oder zu verdecken. Aber erklären
und verstehen können wir die historische Thatsache auch hier. Es war das
nationale Gefühl durch das Vorwalten der.kirchlichen Interessen in jener
Zeit bedeutend abgeschwächt: die protestantischen Kirchen zu retten, galt als
das wichtigste, für das man auch schweren Preis zu zahlen sich entschloß. Und
die Hervigkeit unseres Urtheils mildert sich vielleicht auch durch den Hinblick
auf eine ganz ähnliche Abtretung, welche in unserer Gegenwart Italiens
größter Staatsmann demselben Frankreich für eine ähnliche Aufgabe zu ge¬
währen sich hat überwinden müssen.

Wie dem auch sei, Moritz entschloß sich dazu, den Preis zu zahlen für die
Hülfe, die ihm nöthig schien. Seine Sache war es, nicht mehr als eben nöthig
den Franzosen gewinnen zu lassen.

Mit Energie und Rücksichtslosigkeit den Krieg zu führen, war ein weiteres,
zu dem Moritz sich entschlossen. 1546 hatten die Schmalkäldener sich vielfach
mit halben Zusagen ihrer Nachbarn begnügt, die Neutralität wichtiger Terri¬
torien anerkannt. Jetzt hieß es, wer sich widersetzen wolle, den werde man
als Gegner treffen und sein Gebiet als Entschädigungsmaterial für die Kriegs¬
kosten behandeln. Abgesehen war es dabei vorzugsweise auf die gut kaiser¬
lichen geistlichen Fürsten in Mittel- und Süddeutschland. Wer sich aber an¬
schließen wollte, war willkommen. Auf seine Religion wurde nicht gesehen:
Religionsfreiheit für jeden Reichsstand, also auch den katholischen, war die
Parole.

Am kaiserlichen Hofe hatte man von den Bewegungen und Rüstungen
allerdings Kunde erhalten. Karl war nicht ungewarnr. Aber er unterschätzte
die Sache. Nach den Erfahrungen von 1S46 glaubte er nichts Großes den
Protestanten zutrauen zu dürfen. Er meinte, es sei noch immer möglich die
Gegner zu zertheilen und zu zerstreuen: er urtheilte, des jungen Kurfürsten
Moritz sei er sicher, gegen ihn brauchte er ja nur die Ernestiner loszulassen,
um ihn in Ruhe zu halten. Schwer hat er sich getäuscht. Er erwartete Moritz


wissen, daß man am besten den Protestantismus gegen den Kaiser verthei¬
dige, indem man den Kaiser angreife. Den Schritt von der reinen Defensive
zu einer offensiven Action kostete Moritz viel Mühe seinen Genossen begreiflich
zu machen. Und auch ohne Frankreich vorzugehen, hielt Moritz für unmöglich.
Bet den Unterhandlungen stellte sich heraus, daß man den Franzosen einen
Preis für ihre Unterstützung^zu zahlen habe, — die lothringischen Bisthümer-
Man gab sie weg.

Für uns Spätere ist das einer der schwersten Vorwürfe, daß die deutschen
Protestanten deutsches Gebiet an Frankreich ausgeliefert haben. Und in der
That, es ist und bleibt immer eine Schmach für eine Nation, wenn sie vom
eigenen Leibe Stücke losreißen muß, des Fremden Hülfe zu bezahlen. Es
frommt nicht, diese Wunde zu verkleistern oder zu verdecken. Aber erklären
und verstehen können wir die historische Thatsache auch hier. Es war das
nationale Gefühl durch das Vorwalten der.kirchlichen Interessen in jener
Zeit bedeutend abgeschwächt: die protestantischen Kirchen zu retten, galt als
das wichtigste, für das man auch schweren Preis zu zahlen sich entschloß. Und
die Hervigkeit unseres Urtheils mildert sich vielleicht auch durch den Hinblick
auf eine ganz ähnliche Abtretung, welche in unserer Gegenwart Italiens
größter Staatsmann demselben Frankreich für eine ähnliche Aufgabe zu ge¬
währen sich hat überwinden müssen.

Wie dem auch sei, Moritz entschloß sich dazu, den Preis zu zahlen für die
Hülfe, die ihm nöthig schien. Seine Sache war es, nicht mehr als eben nöthig
den Franzosen gewinnen zu lassen.

Mit Energie und Rücksichtslosigkeit den Krieg zu führen, war ein weiteres,
zu dem Moritz sich entschlossen. 1546 hatten die Schmalkäldener sich vielfach
mit halben Zusagen ihrer Nachbarn begnügt, die Neutralität wichtiger Terri¬
torien anerkannt. Jetzt hieß es, wer sich widersetzen wolle, den werde man
als Gegner treffen und sein Gebiet als Entschädigungsmaterial für die Kriegs¬
kosten behandeln. Abgesehen war es dabei vorzugsweise auf die gut kaiser¬
lichen geistlichen Fürsten in Mittel- und Süddeutschland. Wer sich aber an¬
schließen wollte, war willkommen. Auf seine Religion wurde nicht gesehen:
Religionsfreiheit für jeden Reichsstand, also auch den katholischen, war die
Parole.

Am kaiserlichen Hofe hatte man von den Bewegungen und Rüstungen
allerdings Kunde erhalten. Karl war nicht ungewarnr. Aber er unterschätzte
die Sache. Nach den Erfahrungen von 1S46 glaubte er nichts Großes den
Protestanten zutrauen zu dürfen. Er meinte, es sei noch immer möglich die
Gegner zu zertheilen und zu zerstreuen: er urtheilte, des jungen Kurfürsten
Moritz sei er sicher, gegen ihn brauchte er ja nur die Ernestiner loszulassen,
um ihn in Ruhe zu halten. Schwer hat er sich getäuscht. Er erwartete Moritz


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[0467] wissen, daß man am besten den Protestantismus gegen den Kaiser verthei¬ dige, indem man den Kaiser angreife. Den Schritt von der reinen Defensive zu einer offensiven Action kostete Moritz viel Mühe seinen Genossen begreiflich zu machen. Und auch ohne Frankreich vorzugehen, hielt Moritz für unmöglich. Bet den Unterhandlungen stellte sich heraus, daß man den Franzosen einen Preis für ihre Unterstützung^zu zahlen habe, — die lothringischen Bisthümer- Man gab sie weg. Für uns Spätere ist das einer der schwersten Vorwürfe, daß die deutschen Protestanten deutsches Gebiet an Frankreich ausgeliefert haben. Und in der That, es ist und bleibt immer eine Schmach für eine Nation, wenn sie vom eigenen Leibe Stücke losreißen muß, des Fremden Hülfe zu bezahlen. Es frommt nicht, diese Wunde zu verkleistern oder zu verdecken. Aber erklären und verstehen können wir die historische Thatsache auch hier. Es war das nationale Gefühl durch das Vorwalten der.kirchlichen Interessen in jener Zeit bedeutend abgeschwächt: die protestantischen Kirchen zu retten, galt als das wichtigste, für das man auch schweren Preis zu zahlen sich entschloß. Und die Hervigkeit unseres Urtheils mildert sich vielleicht auch durch den Hinblick auf eine ganz ähnliche Abtretung, welche in unserer Gegenwart Italiens größter Staatsmann demselben Frankreich für eine ähnliche Aufgabe zu ge¬ währen sich hat überwinden müssen. Wie dem auch sei, Moritz entschloß sich dazu, den Preis zu zahlen für die Hülfe, die ihm nöthig schien. Seine Sache war es, nicht mehr als eben nöthig den Franzosen gewinnen zu lassen. Mit Energie und Rücksichtslosigkeit den Krieg zu führen, war ein weiteres, zu dem Moritz sich entschlossen. 1546 hatten die Schmalkäldener sich vielfach mit halben Zusagen ihrer Nachbarn begnügt, die Neutralität wichtiger Terri¬ torien anerkannt. Jetzt hieß es, wer sich widersetzen wolle, den werde man als Gegner treffen und sein Gebiet als Entschädigungsmaterial für die Kriegs¬ kosten behandeln. Abgesehen war es dabei vorzugsweise auf die gut kaiser¬ lichen geistlichen Fürsten in Mittel- und Süddeutschland. Wer sich aber an¬ schließen wollte, war willkommen. Auf seine Religion wurde nicht gesehen: Religionsfreiheit für jeden Reichsstand, also auch den katholischen, war die Parole. Am kaiserlichen Hofe hatte man von den Bewegungen und Rüstungen allerdings Kunde erhalten. Karl war nicht ungewarnr. Aber er unterschätzte die Sache. Nach den Erfahrungen von 1S46 glaubte er nichts Großes den Protestanten zutrauen zu dürfen. Er meinte, es sei noch immer möglich die Gegner zu zertheilen und zu zerstreuen: er urtheilte, des jungen Kurfürsten Moritz sei er sicher, gegen ihn brauchte er ja nur die Ernestiner loszulassen, um ihn in Ruhe zu halten. Schwer hat er sich getäuscht. Er erwartete Moritz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/467>, abgerufen am 22.07.2024.