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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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sie ihr Wehe über diesen Judas riefen. Aber eine nüchterne Betrachtung
der damaligen Lage möchte doch wohl der erfolgreichen Rechnung des Fürsten
beistimmen. Es dürfte doch die Meinung nicht ganz ungegründet sein, welche
grade dieser kursächsischen Taktik ein Hauptverdienst um die Erhaltung der
protestantischen Landeskirche zuschreibt.

Und wie die Kirche seines Landes seiner Politik den Schutz ihres Be¬
standes dankte, so richtete sich auch unermüdlich seine Pflege und Sorge auf
das Schulwesen in seinen Gebieten hin. Die innere Verwaltung des Landes
war überhaupt von einem Geiste sorgsamer aufmerksamer Thätigkeit geleitet:
Ordnung und Zweckmäßigkeit sind nach allen Richtungen des inneren Staats¬
lebens die Merkmale seines Thuns.

Er selbst ist und bleibt ein merkwürdiger Mensch.

In Erstaunen versetzt uns immer aufs neue die frühe Reife und Selbst-
ständigkeit seines politischen Wesens. Und nicht in der Darlegung genialer
Conceptionen, großartiger Entwürfe, nicht in dem Erfassen weiter Gesichts¬
punkte oder ferner Ziele beruht der eigenthümliche Zauber, mit dem sein
Thun den politischen Beobachter anzieht; nein er lebt immer ganz im Moment,
er scheint immer nur das nächste praktische Ziel im Auge zu haben: sein
politisches System enthüllt sich erst, wenn er die Aufgabe gelöst hat. Viele
Fäden nach den verschiedensten Seiten hin hält er in seiner Hand: dem Zu¬
schauer mag sich das Gewebe oft verwirren, er allein übersieht es mit un¬
getrübter Klarheit. Widersprechende Dinge scheint er gleichzeitig zu betreiben:
der Widerspruch löst sich, sobald der Endpunkt des Unternehmens erreicht ist.
Ein kalter Rechenmeister ist dieser junge Mann, der mit 25 Jahren durch
seine politischen Schachzüge das mächtigste Kurfürstenthum des Reiches an
sich gebracht, der nachher mit 30 Jahren dem Herrn der Welt die Netze ge¬
stellt, in denen Karl's Weltpolitik ihre Niederlage gefunden hat.

Kühl und überlegt, weitschauend und nachhaltig ist seine Politik.

Und doch ist Moritz selbst ein sehr lebhafter, wilder, heißblütiger Geselle.
Er war von mittlerer Größe, zu einer gewissen Fülle der Gestalt hinneigend.
Leidenschaftlicher Jäger, kühner Reiter, schlachtenlustiger Kriegsmann, war er
zugleich beim Spiele, beim Zechen, bei leichtfertigen Weibern nichts weniger als
spröde gesinnt. Zur Zeit des Augsburger Reichstages, in Gegenwart von Kaiser
und Reich hielt er mit seinen Genossen (so erzählt ein Augenzeuge) "also Haus,
daß der Teufel darüber lachen möchte und viel Sägers in der ganzen Stadt
davon war." Sein täglicher Lebenswandel gab vielfach Aergerniß: ihn kümmerte
es nicht. Heftig und aufbrausend war er, dabei aber doch sehr verschwiegen und
sehr zurückhaltend mit seinen politischen Gedanken. Er vertraute gern seinem
Talente, im leichten Gespräche wichtige Dinge zu behandeln und große ent¬
scheidende Abmachungen zu treffen. Seine Briefe sind eine sehr fesselnde Lecture.


sie ihr Wehe über diesen Judas riefen. Aber eine nüchterne Betrachtung
der damaligen Lage möchte doch wohl der erfolgreichen Rechnung des Fürsten
beistimmen. Es dürfte doch die Meinung nicht ganz ungegründet sein, welche
grade dieser kursächsischen Taktik ein Hauptverdienst um die Erhaltung der
protestantischen Landeskirche zuschreibt.

Und wie die Kirche seines Landes seiner Politik den Schutz ihres Be¬
standes dankte, so richtete sich auch unermüdlich seine Pflege und Sorge auf
das Schulwesen in seinen Gebieten hin. Die innere Verwaltung des Landes
war überhaupt von einem Geiste sorgsamer aufmerksamer Thätigkeit geleitet:
Ordnung und Zweckmäßigkeit sind nach allen Richtungen des inneren Staats¬
lebens die Merkmale seines Thuns.

Er selbst ist und bleibt ein merkwürdiger Mensch.

In Erstaunen versetzt uns immer aufs neue die frühe Reife und Selbst-
ständigkeit seines politischen Wesens. Und nicht in der Darlegung genialer
Conceptionen, großartiger Entwürfe, nicht in dem Erfassen weiter Gesichts¬
punkte oder ferner Ziele beruht der eigenthümliche Zauber, mit dem sein
Thun den politischen Beobachter anzieht; nein er lebt immer ganz im Moment,
er scheint immer nur das nächste praktische Ziel im Auge zu haben: sein
politisches System enthüllt sich erst, wenn er die Aufgabe gelöst hat. Viele
Fäden nach den verschiedensten Seiten hin hält er in seiner Hand: dem Zu¬
schauer mag sich das Gewebe oft verwirren, er allein übersieht es mit un¬
getrübter Klarheit. Widersprechende Dinge scheint er gleichzeitig zu betreiben:
der Widerspruch löst sich, sobald der Endpunkt des Unternehmens erreicht ist.
Ein kalter Rechenmeister ist dieser junge Mann, der mit 25 Jahren durch
seine politischen Schachzüge das mächtigste Kurfürstenthum des Reiches an
sich gebracht, der nachher mit 30 Jahren dem Herrn der Welt die Netze ge¬
stellt, in denen Karl's Weltpolitik ihre Niederlage gefunden hat.

Kühl und überlegt, weitschauend und nachhaltig ist seine Politik.

Und doch ist Moritz selbst ein sehr lebhafter, wilder, heißblütiger Geselle.
Er war von mittlerer Größe, zu einer gewissen Fülle der Gestalt hinneigend.
Leidenschaftlicher Jäger, kühner Reiter, schlachtenlustiger Kriegsmann, war er
zugleich beim Spiele, beim Zechen, bei leichtfertigen Weibern nichts weniger als
spröde gesinnt. Zur Zeit des Augsburger Reichstages, in Gegenwart von Kaiser
und Reich hielt er mit seinen Genossen (so erzählt ein Augenzeuge) „also Haus,
daß der Teufel darüber lachen möchte und viel Sägers in der ganzen Stadt
davon war." Sein täglicher Lebenswandel gab vielfach Aergerniß: ihn kümmerte
es nicht. Heftig und aufbrausend war er, dabei aber doch sehr verschwiegen und
sehr zurückhaltend mit seinen politischen Gedanken. Er vertraute gern seinem
Talente, im leichten Gespräche wichtige Dinge zu behandeln und große ent¬
scheidende Abmachungen zu treffen. Seine Briefe sind eine sehr fesselnde Lecture.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/463>, abgerufen am 22.07.2024.