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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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dem neuen Kurfürsten erpreßte, war sein Verzicht auf einen Protest im Reichs¬
tage : er ließ sich überstimmen, ja er betheuerte Alles thun zu wollen, um in
Sachsen das Interim annehmen zu lassen.

Er hat die so schwierige Frage, in der er dem Kaiser nicht beipflichten
konnte, in der er aber auch mit dem Kaiser nicht brechen durfte, dilatorisch
behandelt. Was er eigentlich damit gemeint, das war in Sachsen selbst bald
zu spüren.

Er begann mit seinen Ständen und mit seinen Theologen über die An¬
nahme des Interim zu handeln. Mit viel Geräusch trat er dafür auf; eine
Verhandlung jagte die andere: der Kaiser durfte nicht über ihn klagen. Aber
war es ihm Ernst? wollte er mehr als zum Scheine dem Protestantismus
seiner Landeskirche mit Hülfe des Interim zu Leibe gehen?

Wenigstens Melanchthon, seinen namhaftesten Theologen, schützte er vor
dem Zorne des Kaisers. Er verbürgte sich bei Karl für Melanchthon's fried¬
liches Verhalten, und er beschwor Melanchthon von aller heftigen Polemik
gegen das Interim zu lassen. Ueberhaupt die theologische Kriegführung auf
Seiten der Protestanten gegen die Alte Kirche wollte er einstweilen zum
Schweigen bringen. Nach langen Discussionen kam das Leipziger Interim
zu Stande, eine nicht unbedeutende Abschwächung des Augsburger Religions¬
gesetzes. Das wurde nun verkündigt, es wurde auch eine neue Kirchenagende
angefertigt. Aber wie es mit Allem gemeint sei, legte Moritz selbst einmal
dar für Jeden, der nur verstehen wollte. Er erschien unter seinen Ständen,
nicht in feierlichem Aufzuge, im Jagdcostüme mit Stiefeln und Sporen ganz
ungenirt und zwanglos; er erklärte, er verlange nicht einen Wechsel der
religiösen Ueberzeugung, er sei mit der äußeren Befolgung der angeordneten
Ceremonien zufrieden. Ja, in der Praxis sah man auch davon ab. Lauten
Widerspruch, der des Kaisers Auge auf Sachsen gezogen, duldete er nicht,
aber sonst ließ er die kirchliche Praxis auch ohne Rücksicht auf seine Gesetze
geschehen. Melanchthon bezeugte freudig, daß eine innere kirchliche Aenderung
in Sachsen nicht stattgefunden. An der Spitze der protestantischen Landes¬
kirchen stand und blieb Sachsen; der protestantische Geist fand an dem Kur¬
fürsten Schutz: unter der leichten Hülle des Interim wuchs die Pflanzung,
vor äußeren Anfechtungen leichter bewahrt als durch trotzigen Protest und
Auflehnung wider den Willen des Kaisers.

So eben war Moritz' Art in kirchlichen Dingen. Uebereifrig war er
sicher nicht, -- persönlich kam es ihm auf eine Kleinigkeit mehr oder weniger
nicht an; so marschirte er 1548 in einer katholischen Procession ganz offen
mit, sich dem Kaiser gefällig zu erweisen. Wir wundern uns nicht, daß die
protestantischen Zeloten diese, wenn man so will, leichtfertige Weise, diese
äußerliche Manier die kirchlichen Streitfragen zu behandeln nicht billigten, daß


dem neuen Kurfürsten erpreßte, war sein Verzicht auf einen Protest im Reichs¬
tage : er ließ sich überstimmen, ja er betheuerte Alles thun zu wollen, um in
Sachsen das Interim annehmen zu lassen.

Er hat die so schwierige Frage, in der er dem Kaiser nicht beipflichten
konnte, in der er aber auch mit dem Kaiser nicht brechen durfte, dilatorisch
behandelt. Was er eigentlich damit gemeint, das war in Sachsen selbst bald
zu spüren.

Er begann mit seinen Ständen und mit seinen Theologen über die An¬
nahme des Interim zu handeln. Mit viel Geräusch trat er dafür auf; eine
Verhandlung jagte die andere: der Kaiser durfte nicht über ihn klagen. Aber
war es ihm Ernst? wollte er mehr als zum Scheine dem Protestantismus
seiner Landeskirche mit Hülfe des Interim zu Leibe gehen?

Wenigstens Melanchthon, seinen namhaftesten Theologen, schützte er vor
dem Zorne des Kaisers. Er verbürgte sich bei Karl für Melanchthon's fried¬
liches Verhalten, und er beschwor Melanchthon von aller heftigen Polemik
gegen das Interim zu lassen. Ueberhaupt die theologische Kriegführung auf
Seiten der Protestanten gegen die Alte Kirche wollte er einstweilen zum
Schweigen bringen. Nach langen Discussionen kam das Leipziger Interim
zu Stande, eine nicht unbedeutende Abschwächung des Augsburger Religions¬
gesetzes. Das wurde nun verkündigt, es wurde auch eine neue Kirchenagende
angefertigt. Aber wie es mit Allem gemeint sei, legte Moritz selbst einmal
dar für Jeden, der nur verstehen wollte. Er erschien unter seinen Ständen,
nicht in feierlichem Aufzuge, im Jagdcostüme mit Stiefeln und Sporen ganz
ungenirt und zwanglos; er erklärte, er verlange nicht einen Wechsel der
religiösen Ueberzeugung, er sei mit der äußeren Befolgung der angeordneten
Ceremonien zufrieden. Ja, in der Praxis sah man auch davon ab. Lauten
Widerspruch, der des Kaisers Auge auf Sachsen gezogen, duldete er nicht,
aber sonst ließ er die kirchliche Praxis auch ohne Rücksicht auf seine Gesetze
geschehen. Melanchthon bezeugte freudig, daß eine innere kirchliche Aenderung
in Sachsen nicht stattgefunden. An der Spitze der protestantischen Landes¬
kirchen stand und blieb Sachsen; der protestantische Geist fand an dem Kur¬
fürsten Schutz: unter der leichten Hülle des Interim wuchs die Pflanzung,
vor äußeren Anfechtungen leichter bewahrt als durch trotzigen Protest und
Auflehnung wider den Willen des Kaisers.

So eben war Moritz' Art in kirchlichen Dingen. Uebereifrig war er
sicher nicht, — persönlich kam es ihm auf eine Kleinigkeit mehr oder weniger
nicht an; so marschirte er 1548 in einer katholischen Procession ganz offen
mit, sich dem Kaiser gefällig zu erweisen. Wir wundern uns nicht, daß die
protestantischen Zeloten diese, wenn man so will, leichtfertige Weise, diese
äußerliche Manier die kirchlichen Streitfragen zu behandeln nicht billigten, daß


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[0462] dem neuen Kurfürsten erpreßte, war sein Verzicht auf einen Protest im Reichs¬ tage : er ließ sich überstimmen, ja er betheuerte Alles thun zu wollen, um in Sachsen das Interim annehmen zu lassen. Er hat die so schwierige Frage, in der er dem Kaiser nicht beipflichten konnte, in der er aber auch mit dem Kaiser nicht brechen durfte, dilatorisch behandelt. Was er eigentlich damit gemeint, das war in Sachsen selbst bald zu spüren. Er begann mit seinen Ständen und mit seinen Theologen über die An¬ nahme des Interim zu handeln. Mit viel Geräusch trat er dafür auf; eine Verhandlung jagte die andere: der Kaiser durfte nicht über ihn klagen. Aber war es ihm Ernst? wollte er mehr als zum Scheine dem Protestantismus seiner Landeskirche mit Hülfe des Interim zu Leibe gehen? Wenigstens Melanchthon, seinen namhaftesten Theologen, schützte er vor dem Zorne des Kaisers. Er verbürgte sich bei Karl für Melanchthon's fried¬ liches Verhalten, und er beschwor Melanchthon von aller heftigen Polemik gegen das Interim zu lassen. Ueberhaupt die theologische Kriegführung auf Seiten der Protestanten gegen die Alte Kirche wollte er einstweilen zum Schweigen bringen. Nach langen Discussionen kam das Leipziger Interim zu Stande, eine nicht unbedeutende Abschwächung des Augsburger Religions¬ gesetzes. Das wurde nun verkündigt, es wurde auch eine neue Kirchenagende angefertigt. Aber wie es mit Allem gemeint sei, legte Moritz selbst einmal dar für Jeden, der nur verstehen wollte. Er erschien unter seinen Ständen, nicht in feierlichem Aufzuge, im Jagdcostüme mit Stiefeln und Sporen ganz ungenirt und zwanglos; er erklärte, er verlange nicht einen Wechsel der religiösen Ueberzeugung, er sei mit der äußeren Befolgung der angeordneten Ceremonien zufrieden. Ja, in der Praxis sah man auch davon ab. Lauten Widerspruch, der des Kaisers Auge auf Sachsen gezogen, duldete er nicht, aber sonst ließ er die kirchliche Praxis auch ohne Rücksicht auf seine Gesetze geschehen. Melanchthon bezeugte freudig, daß eine innere kirchliche Aenderung in Sachsen nicht stattgefunden. An der Spitze der protestantischen Landes¬ kirchen stand und blieb Sachsen; der protestantische Geist fand an dem Kur¬ fürsten Schutz: unter der leichten Hülle des Interim wuchs die Pflanzung, vor äußeren Anfechtungen leichter bewahrt als durch trotzigen Protest und Auflehnung wider den Willen des Kaisers. So eben war Moritz' Art in kirchlichen Dingen. Uebereifrig war er sicher nicht, — persönlich kam es ihm auf eine Kleinigkeit mehr oder weniger nicht an; so marschirte er 1548 in einer katholischen Procession ganz offen mit, sich dem Kaiser gefällig zu erweisen. Wir wundern uns nicht, daß die protestantischen Zeloten diese, wenn man so will, leichtfertige Weise, diese äußerliche Manier die kirchlichen Streitfragen zu behandeln nicht billigten, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/462>, abgerufen am 22.07.2024.