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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Gefängniß versprechen zu dürfen, während Karl nur ein immerwährendes
ausgeschlossen hatte. Als sie nun empört über die Ueberlistung auf-
brausten und dem Kaiser Treubruch vorwarfen, brachten die kaiserlichen
Staatsmänner sie dazu, daß sie selbst schriftlich das Recht des Kaisers be¬
scheinigen, also ihren eigenen Fehler anerkennen mußten. Sie verlegten
sich auf das Bitten. Man hielt sie hin. Für Moritz war dies besonders
peinlich. Ihm schob die öffentliche Meinung die Schuld für die Gefangenschaft
des Landgrafen zu. Entrüstet bezeichneten damals und bezeichnen heute noch
viele Protestanten ihn als den Verräther, der seinen Stammesvetter beraubt,
seinen Schwiegervater ins Gefängniß des Kaisers geliefert, und diesen Verrath
eben durch den hinterlistigen Abfall von der Sache seiner Glaubensgenossen
vollbracht habe.

Sind diese Vorwürfe begründet? Der erste -- ja! Der zweite und letzte
-- nein!

Die albertinische Tendenz gegen den ernestinischen Kurfürsten hatte Moritz
voll und ganz in sich aufgenommen. Die territoriale und dynastische Rivalität
ihrer Häuser war er durch einen großen Schlag zur Entscheidung zu bringen
entschlossen. Rechtsverletzungen, Rücksichtslosigkeiten von dem mächtigeren
Nachbar hatte er selbst genug erfahren, -- Aussöhnung, gütliche Vergleichung
hatte er mit hastigem Nachdrucke mehr wie einmal gefordert. Daß die
Spannung, wenn sie so weiter gehe, schlimme Consequenzen haben könne,
hatte er nicht verborgen. Aber der Größere legte dergleichen Drohworten des
Kleinen keine Tragweite bei. Und gleichzeitig lockte nun des Kaisers Gunst
ihn mit Aussichten des Erwerbes und der Erhöhung. Ganz gewiß, es ist
der Ehrgeiz des fürstlichen Jünglings, der ihn zu den weiteren Schritten ge¬
trieben hat. Er wollte eine große politische Rolle spielen; er fühlte sich
dazu geschaffen. Die kleine untergeordnete Stellung, die er geerbt, bot dazu
kaum eine Aussicht: Macht war ihm nöthig, und Macht wollte er haben.
Selten ist dieses Verlangen nach politischer Macht so stark in einem Menschen
ausgeprägt gewesen, als in diesem Moritz. Diese Leidenschaft hat seine Seele
ganz ausgefüllt und politischer Ehrgeiz ist die Triebfeder seines Lebens.
Vorwärts zu kommen, war sein Vorsatz. Dagegen wogen die etwaigen Be¬
denken, durch des feindlichen Vetters Sturz zu steigen, bei ihm nicht schwer:
als die That möglich war, griff er zu.

Ich preise dieses Verfahren nicht. Ich tadle es nicht. Ich halte den Vor¬
wurf selbst für theilweise begründet.

Meine Absicht ist nur das wirklich vorhandene Motiv, -- die politische
Tendenz, die in der persönlichen Begabung des Mannes und in der über¬
kommenen Situation der Verhältnisse begründet ist, -- zu vollem Ausdruck
gebracht zu sehen. Aber die anderen Anklagen sind nicht gerechtfertigt oder


Gefängniß versprechen zu dürfen, während Karl nur ein immerwährendes
ausgeschlossen hatte. Als sie nun empört über die Ueberlistung auf-
brausten und dem Kaiser Treubruch vorwarfen, brachten die kaiserlichen
Staatsmänner sie dazu, daß sie selbst schriftlich das Recht des Kaisers be¬
scheinigen, also ihren eigenen Fehler anerkennen mußten. Sie verlegten
sich auf das Bitten. Man hielt sie hin. Für Moritz war dies besonders
peinlich. Ihm schob die öffentliche Meinung die Schuld für die Gefangenschaft
des Landgrafen zu. Entrüstet bezeichneten damals und bezeichnen heute noch
viele Protestanten ihn als den Verräther, der seinen Stammesvetter beraubt,
seinen Schwiegervater ins Gefängniß des Kaisers geliefert, und diesen Verrath
eben durch den hinterlistigen Abfall von der Sache seiner Glaubensgenossen
vollbracht habe.

Sind diese Vorwürfe begründet? Der erste — ja! Der zweite und letzte
— nein!

Die albertinische Tendenz gegen den ernestinischen Kurfürsten hatte Moritz
voll und ganz in sich aufgenommen. Die territoriale und dynastische Rivalität
ihrer Häuser war er durch einen großen Schlag zur Entscheidung zu bringen
entschlossen. Rechtsverletzungen, Rücksichtslosigkeiten von dem mächtigeren
Nachbar hatte er selbst genug erfahren, — Aussöhnung, gütliche Vergleichung
hatte er mit hastigem Nachdrucke mehr wie einmal gefordert. Daß die
Spannung, wenn sie so weiter gehe, schlimme Consequenzen haben könne,
hatte er nicht verborgen. Aber der Größere legte dergleichen Drohworten des
Kleinen keine Tragweite bei. Und gleichzeitig lockte nun des Kaisers Gunst
ihn mit Aussichten des Erwerbes und der Erhöhung. Ganz gewiß, es ist
der Ehrgeiz des fürstlichen Jünglings, der ihn zu den weiteren Schritten ge¬
trieben hat. Er wollte eine große politische Rolle spielen; er fühlte sich
dazu geschaffen. Die kleine untergeordnete Stellung, die er geerbt, bot dazu
kaum eine Aussicht: Macht war ihm nöthig, und Macht wollte er haben.
Selten ist dieses Verlangen nach politischer Macht so stark in einem Menschen
ausgeprägt gewesen, als in diesem Moritz. Diese Leidenschaft hat seine Seele
ganz ausgefüllt und politischer Ehrgeiz ist die Triebfeder seines Lebens.
Vorwärts zu kommen, war sein Vorsatz. Dagegen wogen die etwaigen Be¬
denken, durch des feindlichen Vetters Sturz zu steigen, bei ihm nicht schwer:
als die That möglich war, griff er zu.

Ich preise dieses Verfahren nicht. Ich tadle es nicht. Ich halte den Vor¬
wurf selbst für theilweise begründet.

Meine Absicht ist nur das wirklich vorhandene Motiv, — die politische
Tendenz, die in der persönlichen Begabung des Mannes und in der über¬
kommenen Situation der Verhältnisse begründet ist, — zu vollem Ausdruck
gebracht zu sehen. Aber die anderen Anklagen sind nicht gerechtfertigt oder


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[0460] Gefängniß versprechen zu dürfen, während Karl nur ein immerwährendes ausgeschlossen hatte. Als sie nun empört über die Ueberlistung auf- brausten und dem Kaiser Treubruch vorwarfen, brachten die kaiserlichen Staatsmänner sie dazu, daß sie selbst schriftlich das Recht des Kaisers be¬ scheinigen, also ihren eigenen Fehler anerkennen mußten. Sie verlegten sich auf das Bitten. Man hielt sie hin. Für Moritz war dies besonders peinlich. Ihm schob die öffentliche Meinung die Schuld für die Gefangenschaft des Landgrafen zu. Entrüstet bezeichneten damals und bezeichnen heute noch viele Protestanten ihn als den Verräther, der seinen Stammesvetter beraubt, seinen Schwiegervater ins Gefängniß des Kaisers geliefert, und diesen Verrath eben durch den hinterlistigen Abfall von der Sache seiner Glaubensgenossen vollbracht habe. Sind diese Vorwürfe begründet? Der erste — ja! Der zweite und letzte — nein! Die albertinische Tendenz gegen den ernestinischen Kurfürsten hatte Moritz voll und ganz in sich aufgenommen. Die territoriale und dynastische Rivalität ihrer Häuser war er durch einen großen Schlag zur Entscheidung zu bringen entschlossen. Rechtsverletzungen, Rücksichtslosigkeiten von dem mächtigeren Nachbar hatte er selbst genug erfahren, — Aussöhnung, gütliche Vergleichung hatte er mit hastigem Nachdrucke mehr wie einmal gefordert. Daß die Spannung, wenn sie so weiter gehe, schlimme Consequenzen haben könne, hatte er nicht verborgen. Aber der Größere legte dergleichen Drohworten des Kleinen keine Tragweite bei. Und gleichzeitig lockte nun des Kaisers Gunst ihn mit Aussichten des Erwerbes und der Erhöhung. Ganz gewiß, es ist der Ehrgeiz des fürstlichen Jünglings, der ihn zu den weiteren Schritten ge¬ trieben hat. Er wollte eine große politische Rolle spielen; er fühlte sich dazu geschaffen. Die kleine untergeordnete Stellung, die er geerbt, bot dazu kaum eine Aussicht: Macht war ihm nöthig, und Macht wollte er haben. Selten ist dieses Verlangen nach politischer Macht so stark in einem Menschen ausgeprägt gewesen, als in diesem Moritz. Diese Leidenschaft hat seine Seele ganz ausgefüllt und politischer Ehrgeiz ist die Triebfeder seines Lebens. Vorwärts zu kommen, war sein Vorsatz. Dagegen wogen die etwaigen Be¬ denken, durch des feindlichen Vetters Sturz zu steigen, bei ihm nicht schwer: als die That möglich war, griff er zu. Ich preise dieses Verfahren nicht. Ich tadle es nicht. Ich halte den Vor¬ wurf selbst für theilweise begründet. Meine Absicht ist nur das wirklich vorhandene Motiv, — die politische Tendenz, die in der persönlichen Begabung des Mannes und in der über¬ kommenen Situation der Verhältnisse begründet ist, — zu vollem Ausdruck gebracht zu sehen. Aber die anderen Anklagen sind nicht gerechtfertigt oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/460>, abgerufen am 22.07.2024.