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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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nach der eigenen Neigung ist leichter als das Verstehen verschieden gearteter
Gegensätze.

So viel ich nun sehe, ist Moritz der Erste der Politiker aus dieser jüngeren
zweiten Schicht von Menschen der Reformationszeit. Im Großen und Ganzen
war der Boden des kirchlichen Lebens für ihn die Reformation Luther's, die
auf Luther'schen Sätzen auferbaute evangelische Landeskirche. An allen ihren
wesentlichen Eigenschaften wollte er fest halten. Sie wollte er auch verthei¬
digen. Aber sein Eifer bei dieser Vertheidigung war nicht so hitzig wie das
Auftreten seines hessischen Schwiegervaters, nicht so starr wie die Haltung des
Kurfürsten Johann Friedrich. Jene wollten nach allem was sie seit einem
Vierteljahrhundert erlebt hatten, auf die Theilnahme an dem damals er¬
öffneten großen Concile der Kirche sich gar nicht mehr einlassen. Moritz meinte,
die protestantischen Theologen sollten mit ihren "Disputir- und Zankbüchern"
etwas aufhören; man sollte die tüchtigsten Theologen aufs Concil schicken,
damit sie eine Vergleichung mit der Kirche in allem was Glauben und Ge¬
wissen gestatte, ins Werk richteten: für diejenigen Punkte, in denen man sich
nicht einige, machte er sich anheischig vom Kaiser Toleranz zu erbitten und zu
erlangen.

Wir begreifen es leicht, daß bei den protestantischen Eiferern eine solche
Anschauungsweise Entsetzen erregte. Wir begreifen auch die religiösen und
sittlichen Motive dieses Entsetzens. Aber wir sind deßhalb doch nicht im
Stande, das Programm des Herzog Moritz von vornherein ein unprotestan¬
tisches zu schelten -- vorausgesetzt, daß Moritz auf ihm stehen bleiben wollte.
Beide Wege konnten zum Ziele, zum Schutz des Protestantismus führen:
welcher der bessere war, das hing von praktischen Erwägungen ab.

Kommen wir zum Abschluß. Mit den Protestanten verständigte sich
Moritz nicht mehr. Sein Minister Karlowitz, der die letzte Verhandlung ge¬
führt, reiste sogleich weiter an den kaiserlichen Hof. Nachher kam Moritz
persönlich dahin. Er war dem Kaiser gewonnen. Und wenn er keinen
Anstand hatte, selbst loszuschlagen auf den Kurfürsten, so winkte ihm der
Lohn, den schon Herzog Georg zu ergreifen gedacht hatte, -- die sächsische
Kur. In der kirchlichen Frage aber hatte Moritz keineswegs die Bedingung
des Kaisers, die rückhaltlose Unterwerfung unter das Concil auf sich ge¬
nommen. Weit, sehr weit war er der katholischen Politik entgegengekommen:
er hatte allerdings verheißen die eventuellen Decrete des Conciles in seinem
Lande nicht anfechten zu wollen, aber er hatte doch die praktisch sehr nutzbare
ausdrückliche Concession des Kaisers dafür eingetauscht, "wenn auf dem Concil
zwei oder drei Artikel (und damit ist gemeint Priesterehe, Laienkelch, Recht¬
fertigungslehre) unverglichen blieben, so sollte Moritz mit seinen Unterthanen
bis zu weiterer Vergleichung darin ungefährdet bleiben."


nach der eigenen Neigung ist leichter als das Verstehen verschieden gearteter
Gegensätze.

So viel ich nun sehe, ist Moritz der Erste der Politiker aus dieser jüngeren
zweiten Schicht von Menschen der Reformationszeit. Im Großen und Ganzen
war der Boden des kirchlichen Lebens für ihn die Reformation Luther's, die
auf Luther'schen Sätzen auferbaute evangelische Landeskirche. An allen ihren
wesentlichen Eigenschaften wollte er fest halten. Sie wollte er auch verthei¬
digen. Aber sein Eifer bei dieser Vertheidigung war nicht so hitzig wie das
Auftreten seines hessischen Schwiegervaters, nicht so starr wie die Haltung des
Kurfürsten Johann Friedrich. Jene wollten nach allem was sie seit einem
Vierteljahrhundert erlebt hatten, auf die Theilnahme an dem damals er¬
öffneten großen Concile der Kirche sich gar nicht mehr einlassen. Moritz meinte,
die protestantischen Theologen sollten mit ihren „Disputir- und Zankbüchern"
etwas aufhören; man sollte die tüchtigsten Theologen aufs Concil schicken,
damit sie eine Vergleichung mit der Kirche in allem was Glauben und Ge¬
wissen gestatte, ins Werk richteten: für diejenigen Punkte, in denen man sich
nicht einige, machte er sich anheischig vom Kaiser Toleranz zu erbitten und zu
erlangen.

Wir begreifen es leicht, daß bei den protestantischen Eiferern eine solche
Anschauungsweise Entsetzen erregte. Wir begreifen auch die religiösen und
sittlichen Motive dieses Entsetzens. Aber wir sind deßhalb doch nicht im
Stande, das Programm des Herzog Moritz von vornherein ein unprotestan¬
tisches zu schelten — vorausgesetzt, daß Moritz auf ihm stehen bleiben wollte.
Beide Wege konnten zum Ziele, zum Schutz des Protestantismus führen:
welcher der bessere war, das hing von praktischen Erwägungen ab.

Kommen wir zum Abschluß. Mit den Protestanten verständigte sich
Moritz nicht mehr. Sein Minister Karlowitz, der die letzte Verhandlung ge¬
führt, reiste sogleich weiter an den kaiserlichen Hof. Nachher kam Moritz
persönlich dahin. Er war dem Kaiser gewonnen. Und wenn er keinen
Anstand hatte, selbst loszuschlagen auf den Kurfürsten, so winkte ihm der
Lohn, den schon Herzog Georg zu ergreifen gedacht hatte, — die sächsische
Kur. In der kirchlichen Frage aber hatte Moritz keineswegs die Bedingung
des Kaisers, die rückhaltlose Unterwerfung unter das Concil auf sich ge¬
nommen. Weit, sehr weit war er der katholischen Politik entgegengekommen:
er hatte allerdings verheißen die eventuellen Decrete des Conciles in seinem
Lande nicht anfechten zu wollen, aber er hatte doch die praktisch sehr nutzbare
ausdrückliche Concession des Kaisers dafür eingetauscht, „wenn auf dem Concil
zwei oder drei Artikel (und damit ist gemeint Priesterehe, Laienkelch, Recht¬
fertigungslehre) unverglichen blieben, so sollte Moritz mit seinen Unterthanen
bis zu weiterer Vergleichung darin ungefährdet bleiben."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/458>, abgerufen am 22.07.2024.