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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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deren so viel nachfolgen, als die bis dahin gefaßten Entschließungen erfordern
werden.

Die Sitzungen des Abgeordnetenhauses vom 27. und 28. November waren
mit Berathungen von Anträgen der ultramontanen Abgeordneten Reichen-
sperger und von Mallinckrodt ausgefüllt. Der Antrag des Ersteren lief darauf
hinaus, daß die Regierung einen infallibilistischen Religionslehrer anstatt des
neuerdings so viel genannten Lehrers Woltmann am Gymnasium zu Brauns¬
berg anstellen solle, oder doch wenigstens gestatten, daß die Gymnasiasten dem
Religionsunterricht dieses Lehrers ohne weiteres fern bleiben dürfen, während
der jetzige Cultusminister verordnet hat, daß dies nur geschehen darf, wenn
für den auf dem Gymnasium versäumten Religionsunterricht ein anderweiter
Ersatz nachgewiesen worden. Die Begründung des Antrags lief immer darauf
hinaus, daß nach § 13 der preußischen Verfassung die römisch-katholische Kirche
ihre Angelegenheiten selbständig ordnet, und daß folglich der Staat ihr
schuldig sei, auch an Staatsanstalten den katholischen Unterricht nur durch
solche Personen ertheilen zu lassen, welche nach der Erklärung der römisch¬
katholischen Kirche römische Katholiken sind. Ganz richtig. Aber seit dem
Erlaß der preußischen Verfassung hat sich ereignet, daß aus der einen römisch¬
katholischen Kirche zwei geworden sind: eine infallibilistische und eine fallibi-
listische. Welche von beiden hat nun darüber zu befinden, welche Personen
der Staat gehalten ist, für römische Katholiken anzusehen? Offenbar eine so
gut wie die andere. Deshalb kann der Staat bis zum Austrag des Schis¬
mas nichts thun, als jeden Katholiken in dem Genuß der Rechte belassen,
welche der letztere vor dem Ausbruch des Schismas besessen hat.

Der von Herrn von Mallinckrodt gestellte Antrag bezweckte, den Ausschluß
der Mitglieder geistlicher Congregrationen oder Orden von der Lehrthätigkeit
an öffentlichen Volksschulen als verfassungswidrig hinstellen zu lassen, weil
der Artikel 4 der preußischen Verfassung bestimmt, daß die öffentlichen Aemter
unter Einhaltung der von den Gesetzen festgestellten Bedingungen für alle
dazu befähigten gleich zugänglich sind. Das Gesetz oder die Gesetze über die
Bedingungen der Anstellungsfähigkeit zu den öffentlichen Aemtern sind aber
noch nicht erlassen, sondern die Bedingungen werden von der Staatsverwaltung
aufgestellt und überwacht.

Auch der Artikel 24 der Verfassung kann hiergegen nicht angerufen werden.
Denn im zweiten Absatz dieses Artikels heißt es zwar, daß den religiösen Un¬
terricht in der Volksschule die Religionsgesellschaften leiten; im dritten Absatz
aber wieder, daß der Staat die Lehrer der öffentlichen Volksschulen anstellt.

Beide Anträge wurden natürlich mit großen Majoritäten verworfen.

Man kann fragen, zu welchem Zwecke solche Anträge eingebracht werden"


deren so viel nachfolgen, als die bis dahin gefaßten Entschließungen erfordern
werden.

Die Sitzungen des Abgeordnetenhauses vom 27. und 28. November waren
mit Berathungen von Anträgen der ultramontanen Abgeordneten Reichen-
sperger und von Mallinckrodt ausgefüllt. Der Antrag des Ersteren lief darauf
hinaus, daß die Regierung einen infallibilistischen Religionslehrer anstatt des
neuerdings so viel genannten Lehrers Woltmann am Gymnasium zu Brauns¬
berg anstellen solle, oder doch wenigstens gestatten, daß die Gymnasiasten dem
Religionsunterricht dieses Lehrers ohne weiteres fern bleiben dürfen, während
der jetzige Cultusminister verordnet hat, daß dies nur geschehen darf, wenn
für den auf dem Gymnasium versäumten Religionsunterricht ein anderweiter
Ersatz nachgewiesen worden. Die Begründung des Antrags lief immer darauf
hinaus, daß nach § 13 der preußischen Verfassung die römisch-katholische Kirche
ihre Angelegenheiten selbständig ordnet, und daß folglich der Staat ihr
schuldig sei, auch an Staatsanstalten den katholischen Unterricht nur durch
solche Personen ertheilen zu lassen, welche nach der Erklärung der römisch¬
katholischen Kirche römische Katholiken sind. Ganz richtig. Aber seit dem
Erlaß der preußischen Verfassung hat sich ereignet, daß aus der einen römisch¬
katholischen Kirche zwei geworden sind: eine infallibilistische und eine fallibi-
listische. Welche von beiden hat nun darüber zu befinden, welche Personen
der Staat gehalten ist, für römische Katholiken anzusehen? Offenbar eine so
gut wie die andere. Deshalb kann der Staat bis zum Austrag des Schis¬
mas nichts thun, als jeden Katholiken in dem Genuß der Rechte belassen,
welche der letztere vor dem Ausbruch des Schismas besessen hat.

Der von Herrn von Mallinckrodt gestellte Antrag bezweckte, den Ausschluß
der Mitglieder geistlicher Congregrationen oder Orden von der Lehrthätigkeit
an öffentlichen Volksschulen als verfassungswidrig hinstellen zu lassen, weil
der Artikel 4 der preußischen Verfassung bestimmt, daß die öffentlichen Aemter
unter Einhaltung der von den Gesetzen festgestellten Bedingungen für alle
dazu befähigten gleich zugänglich sind. Das Gesetz oder die Gesetze über die
Bedingungen der Anstellungsfähigkeit zu den öffentlichen Aemtern sind aber
noch nicht erlassen, sondern die Bedingungen werden von der Staatsverwaltung
aufgestellt und überwacht.

Auch der Artikel 24 der Verfassung kann hiergegen nicht angerufen werden.
Denn im zweiten Absatz dieses Artikels heißt es zwar, daß den religiösen Un¬
terricht in der Volksschule die Religionsgesellschaften leiten; im dritten Absatz
aber wieder, daß der Staat die Lehrer der öffentlichen Volksschulen anstellt.

Beide Anträge wurden natürlich mit großen Majoritäten verworfen.

Man kann fragen, zu welchem Zwecke solche Anträge eingebracht werden»


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[0445] deren so viel nachfolgen, als die bis dahin gefaßten Entschließungen erfordern werden. Die Sitzungen des Abgeordnetenhauses vom 27. und 28. November waren mit Berathungen von Anträgen der ultramontanen Abgeordneten Reichen- sperger und von Mallinckrodt ausgefüllt. Der Antrag des Ersteren lief darauf hinaus, daß die Regierung einen infallibilistischen Religionslehrer anstatt des neuerdings so viel genannten Lehrers Woltmann am Gymnasium zu Brauns¬ berg anstellen solle, oder doch wenigstens gestatten, daß die Gymnasiasten dem Religionsunterricht dieses Lehrers ohne weiteres fern bleiben dürfen, während der jetzige Cultusminister verordnet hat, daß dies nur geschehen darf, wenn für den auf dem Gymnasium versäumten Religionsunterricht ein anderweiter Ersatz nachgewiesen worden. Die Begründung des Antrags lief immer darauf hinaus, daß nach § 13 der preußischen Verfassung die römisch-katholische Kirche ihre Angelegenheiten selbständig ordnet, und daß folglich der Staat ihr schuldig sei, auch an Staatsanstalten den katholischen Unterricht nur durch solche Personen ertheilen zu lassen, welche nach der Erklärung der römisch¬ katholischen Kirche römische Katholiken sind. Ganz richtig. Aber seit dem Erlaß der preußischen Verfassung hat sich ereignet, daß aus der einen römisch¬ katholischen Kirche zwei geworden sind: eine infallibilistische und eine fallibi- listische. Welche von beiden hat nun darüber zu befinden, welche Personen der Staat gehalten ist, für römische Katholiken anzusehen? Offenbar eine so gut wie die andere. Deshalb kann der Staat bis zum Austrag des Schis¬ mas nichts thun, als jeden Katholiken in dem Genuß der Rechte belassen, welche der letztere vor dem Ausbruch des Schismas besessen hat. Der von Herrn von Mallinckrodt gestellte Antrag bezweckte, den Ausschluß der Mitglieder geistlicher Congregrationen oder Orden von der Lehrthätigkeit an öffentlichen Volksschulen als verfassungswidrig hinstellen zu lassen, weil der Artikel 4 der preußischen Verfassung bestimmt, daß die öffentlichen Aemter unter Einhaltung der von den Gesetzen festgestellten Bedingungen für alle dazu befähigten gleich zugänglich sind. Das Gesetz oder die Gesetze über die Bedingungen der Anstellungsfähigkeit zu den öffentlichen Aemtern sind aber noch nicht erlassen, sondern die Bedingungen werden von der Staatsverwaltung aufgestellt und überwacht. Auch der Artikel 24 der Verfassung kann hiergegen nicht angerufen werden. Denn im zweiten Absatz dieses Artikels heißt es zwar, daß den religiösen Un¬ terricht in der Volksschule die Religionsgesellschaften leiten; im dritten Absatz aber wieder, daß der Staat die Lehrer der öffentlichen Volksschulen anstellt. Beide Anträge wurden natürlich mit großen Majoritäten verworfen. Man kann fragen, zu welchem Zwecke solche Anträge eingebracht werden»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/445>, abgerufen am 22.07.2024.