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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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ok, e'sealt un ßiÄnä K6i-os, un graiui Lmpeisui'. War die Antwort nicht
bezeichnend genug, und zumal von einem Belgier? Uns Deutschen war
plötzlich der alte Raeenstreit wieder aufgegangen, --- und wir erkannten,
welch ungeheuren Einfluß die Sprache allein schon auf die geistige Richtung
ausübt! Drüben im Hotel iZu Nus6"z, wo die zahlreichen Reliquien vom Schlacht¬
felde aufbewahrt werden (darunter viele Waffen und auch ein Sporn von
Napoleon), war die Wirthin die Tochter eines Engländers, der in der
Schlacht mitgefochten hatte; ihre Aeußerungen klangen ganz anders; sie war
gleichfalls der Ansicht, daß jene Glorificationen Napoleon's, dessen Ruhm ja
Niemand verdunkeln kann, dort nicht am Platze sind, wo ein germanisches
Denkmal seine Niederlage verewigt. Doch wir rissen uns los von dem Ge^
zart; wir wollten noch Plancenois sehen und das Denken alter Preußen
besuchen. Denn dort hatten unsere eigenen Väter mitgefochten; dort war
das Schicksal des Tages entschieden worden. Links von dem ziemlich
schmutzigen Gehöft dotis ^Ilianee, das jetzt an der Seitenfront eine Tafel
zum Andenken an den Sieg trägt, während vorn die Aufschrift: "üstaminet"
wenig Verlockendes hat, zweigt sich der Weg nach Plancenois ab, den wir
einschlugen: die Schlucht, in der einst Tausende geblutet hatten. Am nörd¬
lichen Ende des Dorfes, ziemlich versteckt, leuchtete uns das preußische
Denkmal entgegen: eine sehr einfache Säule in gothischem Stile, etwa als
sähen wir die oberste Spitze von dem Monument auf dem Kreuzberge bei
Berlin abgenommen und auf einen niedrigen Sockel gesetzt. Ein eisernes
Gitter umgiebt das Denkmal, .dessen Spitze die Franzosen 1832 abgebrochen
haben, das aber wieder hergestellt ist. Die Inschrift war bei dem trüben
Nachmittagslichte kaum zu lesen: "Die gefallenen Helden ehrt dankbar König
und Vaterland." "Sie ruhen in Frieden." Zwei Jungen aus dem langge¬
streckten Dorfe hatten uns nach dem Standorte des Denkmals hingeführt;
auf die Frage, ob der Schulmeister ihnen von der Schlacht etwas erzählt hätte,
antworteten sie verneinend. Die Straße, welche unmittelbar an dem Denkmal
vorbeiführt, war in traurigem Zustande; rings um den Sockel der Spitzsäule
innerhalb des Gitters wuchs dichtes Gras. Das Ganze machte in der
Novemberdämmerung einen düstern Eindruck; doch hoben sich unsere
Herzen bei dem stolzen Gedanken: das Denkmal ist unserer Väter theures
Erbtheil. Und wir hatten es nun selbst gesehen, hatten den Boden
betreten, der durch kostbares Blut geweiht war. In Gedanken verloren
trafen wir in Mont Se. Jean ein, wo uns der Wirth des Hotel ass
Lolormes, obwohl Franzose von Erziehung und Denkart, freundlich empfing.
Spät Abends saßen wir wieder im Oeck6 an cineta; zu Brüssel, und dachten
an die preußische Kreisordnung: ein neues Waterloo schien uns zu winken!


G. T.


ok, e'sealt un ßiÄnä K6i-os, un graiui Lmpeisui'. War die Antwort nicht
bezeichnend genug, und zumal von einem Belgier? Uns Deutschen war
plötzlich der alte Raeenstreit wieder aufgegangen, -— und wir erkannten,
welch ungeheuren Einfluß die Sprache allein schon auf die geistige Richtung
ausübt! Drüben im Hotel iZu Nus6«z, wo die zahlreichen Reliquien vom Schlacht¬
felde aufbewahrt werden (darunter viele Waffen und auch ein Sporn von
Napoleon), war die Wirthin die Tochter eines Engländers, der in der
Schlacht mitgefochten hatte; ihre Aeußerungen klangen ganz anders; sie war
gleichfalls der Ansicht, daß jene Glorificationen Napoleon's, dessen Ruhm ja
Niemand verdunkeln kann, dort nicht am Platze sind, wo ein germanisches
Denkmal seine Niederlage verewigt. Doch wir rissen uns los von dem Ge^
zart; wir wollten noch Plancenois sehen und das Denken alter Preußen
besuchen. Denn dort hatten unsere eigenen Väter mitgefochten; dort war
das Schicksal des Tages entschieden worden. Links von dem ziemlich
schmutzigen Gehöft dotis ^Ilianee, das jetzt an der Seitenfront eine Tafel
zum Andenken an den Sieg trägt, während vorn die Aufschrift: „üstaminet"
wenig Verlockendes hat, zweigt sich der Weg nach Plancenois ab, den wir
einschlugen: die Schlucht, in der einst Tausende geblutet hatten. Am nörd¬
lichen Ende des Dorfes, ziemlich versteckt, leuchtete uns das preußische
Denkmal entgegen: eine sehr einfache Säule in gothischem Stile, etwa als
sähen wir die oberste Spitze von dem Monument auf dem Kreuzberge bei
Berlin abgenommen und auf einen niedrigen Sockel gesetzt. Ein eisernes
Gitter umgiebt das Denkmal, .dessen Spitze die Franzosen 1832 abgebrochen
haben, das aber wieder hergestellt ist. Die Inschrift war bei dem trüben
Nachmittagslichte kaum zu lesen: „Die gefallenen Helden ehrt dankbar König
und Vaterland." „Sie ruhen in Frieden." Zwei Jungen aus dem langge¬
streckten Dorfe hatten uns nach dem Standorte des Denkmals hingeführt;
auf die Frage, ob der Schulmeister ihnen von der Schlacht etwas erzählt hätte,
antworteten sie verneinend. Die Straße, welche unmittelbar an dem Denkmal
vorbeiführt, war in traurigem Zustande; rings um den Sockel der Spitzsäule
innerhalb des Gitters wuchs dichtes Gras. Das Ganze machte in der
Novemberdämmerung einen düstern Eindruck; doch hoben sich unsere
Herzen bei dem stolzen Gedanken: das Denkmal ist unserer Väter theures
Erbtheil. Und wir hatten es nun selbst gesehen, hatten den Boden
betreten, der durch kostbares Blut geweiht war. In Gedanken verloren
trafen wir in Mont Se. Jean ein, wo uns der Wirth des Hotel ass
Lolormes, obwohl Franzose von Erziehung und Denkart, freundlich empfing.
Spät Abends saßen wir wieder im Oeck6 an cineta; zu Brüssel, und dachten
an die preußische Kreisordnung: ein neues Waterloo schien uns zu winken!


G. T.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/443>, abgerufen am 22.07.2024.