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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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waren Schloß und Pachthof Hougomont ein vortrefflicher Stützpunkt der
britischen Aufstellung. Vor dem Centrum der letzteren, in der Thalsenkung,
hatten Truppen der deutschen Legion die Meierei La Haye -- Sainte besetzt; auf
dem linken Flügel der Engländer endlich waren die Pachthöfe Papelotte und
la Haye der nassauischen Brigade anvertraut, die Herzog Bernhard von
Sachsen-Weimar commandirte. Die Infanteriewaffen beider Heere hatten be¬
kanntlich ziemlich gleiche Stärke, nur an Cavallerie und Artillerie war Napo¬
leon überlegen.

Wir begannen unsere Wanderung von Me. Se. Jean über Braine nach
Hougomont, wo Rente's Corps um Mittag den Kampf eröffnet hatte. In
diesem Gehöft waren von den heldenmütigen Vertheidigern (britische Cold-
streams, Nassauer und Hannoveraner) Wunder der Tapferkeit verrichtet worden.
Fast den ganzen Tag über hatte Napoleon Angriff über Angriff gegen diese
feste Position richten lassen; jedesmal mußten die Franzosen an der Garten¬
mauer umkehren, obwohl sie zum Theil den Garten bereits genommen hatten;
zuletzt vereitelten Verstärkungen von Clinton's Division die Absichten der
Franzosen gänzlich. Ein Denkstein ist britischer Seits in dem denkwürdigen
Garten errichtet. Deutsche Denkmäler suchten wir vergeblich. Ein Feldweg
führte uns auf die Straße von Genappe zurück, an die Mauern der Meierei
La Haye Sainte (zwischen Mont Se. Jean und La belle Alliance etwa in
der Mitte belegen). Wie friedlich lag das stattliche Gehöft da; die Umfassungs¬
mauern leuchteten weißgetüncht in die Landschaft hinein; grüne Saaten brei¬
teten sich rechts und links aus. Nach diesem Punkte hin hatte Napoleon
seine furchtbarsten Stöße gerichtet, um das Centrum der Briten zu durch¬
brechen und ihren linken Flügel zu umgehen. Umsonst waren die Angriffe
Ney's auf dem linken Flügel (bet Papelotte) von Platon, der den Sieg mit
dem Leben bezahlte, und von den Reserven unter Lord Somerset und Ponsonby
abgeschlagen, umsonst die auf der Linie zwischen La Haye Sainte und Hougo¬
mont anstürmenden Schwadronen Michaud's von den Braunschweigern und
der deutschen Legion geworfen worden: zuletzt hatte La Haye Sainte dem
schrecklichen Anprall der durch Kellermann's Kürassiere und durch Theile der
Garden verstärkten Centrumstruppen weichen müssen: Ehre dem Heldenmuth
des Majors von Baring, der mit kaum 400 Mann der deutschen Legion
stundenlang die Position gegen ungeheure Uebermacht vertheidigt hatte! An
der Giebelseite des Wohnhauses, nach der Chaussee zu, meldet eine gußeiserne
Tafel die Namen der gefallenen Braven; Kugelspuren im Innern des Gehöfts
konnten wir nicht entdecken; auch die Scheuerthür ist natürlich hergestellt,
durch welche die Franzosen einzeln eingedrungen waren. Welche Gefühle
erfüllten uns, als wir uns den Kampf vergegenwärtigten! Die Einnahme des
Gehöfts (gegen 6 Uhr Abends) hätte verhängnißvoll für den Ausgang der


Vrmzboten 1872. IV. 5g

waren Schloß und Pachthof Hougomont ein vortrefflicher Stützpunkt der
britischen Aufstellung. Vor dem Centrum der letzteren, in der Thalsenkung,
hatten Truppen der deutschen Legion die Meierei La Haye — Sainte besetzt; auf
dem linken Flügel der Engländer endlich waren die Pachthöfe Papelotte und
la Haye der nassauischen Brigade anvertraut, die Herzog Bernhard von
Sachsen-Weimar commandirte. Die Infanteriewaffen beider Heere hatten be¬
kanntlich ziemlich gleiche Stärke, nur an Cavallerie und Artillerie war Napo¬
leon überlegen.

Wir begannen unsere Wanderung von Me. Se. Jean über Braine nach
Hougomont, wo Rente's Corps um Mittag den Kampf eröffnet hatte. In
diesem Gehöft waren von den heldenmütigen Vertheidigern (britische Cold-
streams, Nassauer und Hannoveraner) Wunder der Tapferkeit verrichtet worden.
Fast den ganzen Tag über hatte Napoleon Angriff über Angriff gegen diese
feste Position richten lassen; jedesmal mußten die Franzosen an der Garten¬
mauer umkehren, obwohl sie zum Theil den Garten bereits genommen hatten;
zuletzt vereitelten Verstärkungen von Clinton's Division die Absichten der
Franzosen gänzlich. Ein Denkstein ist britischer Seits in dem denkwürdigen
Garten errichtet. Deutsche Denkmäler suchten wir vergeblich. Ein Feldweg
führte uns auf die Straße von Genappe zurück, an die Mauern der Meierei
La Haye Sainte (zwischen Mont Se. Jean und La belle Alliance etwa in
der Mitte belegen). Wie friedlich lag das stattliche Gehöft da; die Umfassungs¬
mauern leuchteten weißgetüncht in die Landschaft hinein; grüne Saaten brei¬
teten sich rechts und links aus. Nach diesem Punkte hin hatte Napoleon
seine furchtbarsten Stöße gerichtet, um das Centrum der Briten zu durch¬
brechen und ihren linken Flügel zu umgehen. Umsonst waren die Angriffe
Ney's auf dem linken Flügel (bet Papelotte) von Platon, der den Sieg mit
dem Leben bezahlte, und von den Reserven unter Lord Somerset und Ponsonby
abgeschlagen, umsonst die auf der Linie zwischen La Haye Sainte und Hougo¬
mont anstürmenden Schwadronen Michaud's von den Braunschweigern und
der deutschen Legion geworfen worden: zuletzt hatte La Haye Sainte dem
schrecklichen Anprall der durch Kellermann's Kürassiere und durch Theile der
Garden verstärkten Centrumstruppen weichen müssen: Ehre dem Heldenmuth
des Majors von Baring, der mit kaum 400 Mann der deutschen Legion
stundenlang die Position gegen ungeheure Uebermacht vertheidigt hatte! An
der Giebelseite des Wohnhauses, nach der Chaussee zu, meldet eine gußeiserne
Tafel die Namen der gefallenen Braven; Kugelspuren im Innern des Gehöfts
konnten wir nicht entdecken; auch die Scheuerthür ist natürlich hergestellt,
durch welche die Franzosen einzeln eingedrungen waren. Welche Gefühle
erfüllten uns, als wir uns den Kampf vergegenwärtigten! Die Einnahme des
Gehöfts (gegen 6 Uhr Abends) hätte verhängnißvoll für den Ausgang der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/441>, abgerufen am 22.07.2024.