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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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von Paris beginnen, um sie bis zum folgenden Dienstag fortzusetzen. Da
ward man plötzlich gewahr, daß noch eine unumgänglich nothwendige Persön¬
lichkeit fehlte -- ein weiblicher Character, der irgend eine olympische Gottheit
darstellte. Hier aber trat den Herren eine große praktische Schwierigkeit in
den Weg; denn auf der einen Seite mußte man wissen, daß sich nicht leicht
eine achtbare Dame von ansehnlichem Aeußern herbeilassen würde, sich den
Pflichten der Situation zu unterziehen, auf der anderen aber stand man vor
der Unmöglichkeit, sich zu dem Zwecke ein Frauenzimmer aus der nicht tugend¬
haften Classe zu miethen, weil damals in der Person des Herrn Delessert ein
Polizeipräsident mit streng moralischen Ansichten über Paris regierte, welcher
jede öffentliche Schaustellung verboten hatte, die auch nur entfernt gegen An¬
stand und Sittsamkeit verstieß. Man brauchte hier aber nicht blos ein
Frauenzimmer, sondern ein stattliches Frauenzimmer, denn sie'sollte der un¬
umgängliche oberste Hauptschmuck der von Solar erdachten Composttion wer¬
den, indem sie einen Scepter in der Rechten und eine Krone von vergoldeter
Pappe auf dem Kopfe auf dem Gipfel des Wagens Platz nahm.

Der Generalstab der Zeitung befand sich noch im Zustand hoffnungs¬
loser Verlegenheit, als ein Diener eine Dame meldete, die Herrn Solar zu
sprechen wünschte, aber nur englisch reden könnte. Solar prüfte die Karte,
welche sie hergeschickt hatte, und fand auf der Rückseite derselben ein paar
empfehlende Worte von Charles Dickens. Im Verlauf der Unterhaltung, die
nun folgte, ergab sich's, daß die englische Dame, die eine auffallend schöne
Person war, als Anfängerin auf dem Gebiet literarischer Production eine
Novelle geschrieben hatte, die sie übersetzt und in Solar's Blatt veröffentlicht
zu sehen wünschte. Sie wollte gerade wieder gehen, als dem Franzosen eine
glänzende Idee durch den Kopf schoß. Er bat die Dame, noch einen Augen¬
blick zu bleiben und setzte ihr dann auseinander, daß unter der literarischen
Collegenschaft in Paris eine Art von Freimaurerei bestände, in die sie noth¬
wendig aufgenommen zu werden streben müsse.

"Aber ich will ja gern Alles thun, was erforderlich ist", sagte die Eng¬
länderin.

"Nun gut denn, so vernehmen sie, daß morgen alle französischen Schrift¬
steller und einige fremde Sommitäten, Victor Hugo, Balac, Dumas, Scribe,
Musset. Eugen Tue, Theophile Gautier, Lamartine, Meyerbeer, Alphonse Carr,
Paul de Kock. Liszt, Thalberg, Roger de Beauvoir. alle endlich, welche meinem
Journal Zeichen ihrer Sympathie geben wollen, sich zu einer prachtvollen
öffentlichen Procession vereinigen und in Personen des gigantischen Werkes
Paul Fcval's, "I.s ?jls an viable" verkleidet, welches wir in diesen Tagen
in unserer Zeitung zu bringen vorhaben, theils zu Pferde, theils auf einem


von Paris beginnen, um sie bis zum folgenden Dienstag fortzusetzen. Da
ward man plötzlich gewahr, daß noch eine unumgänglich nothwendige Persön¬
lichkeit fehlte — ein weiblicher Character, der irgend eine olympische Gottheit
darstellte. Hier aber trat den Herren eine große praktische Schwierigkeit in
den Weg; denn auf der einen Seite mußte man wissen, daß sich nicht leicht
eine achtbare Dame von ansehnlichem Aeußern herbeilassen würde, sich den
Pflichten der Situation zu unterziehen, auf der anderen aber stand man vor
der Unmöglichkeit, sich zu dem Zwecke ein Frauenzimmer aus der nicht tugend¬
haften Classe zu miethen, weil damals in der Person des Herrn Delessert ein
Polizeipräsident mit streng moralischen Ansichten über Paris regierte, welcher
jede öffentliche Schaustellung verboten hatte, die auch nur entfernt gegen An¬
stand und Sittsamkeit verstieß. Man brauchte hier aber nicht blos ein
Frauenzimmer, sondern ein stattliches Frauenzimmer, denn sie'sollte der un¬
umgängliche oberste Hauptschmuck der von Solar erdachten Composttion wer¬
den, indem sie einen Scepter in der Rechten und eine Krone von vergoldeter
Pappe auf dem Kopfe auf dem Gipfel des Wagens Platz nahm.

Der Generalstab der Zeitung befand sich noch im Zustand hoffnungs¬
loser Verlegenheit, als ein Diener eine Dame meldete, die Herrn Solar zu
sprechen wünschte, aber nur englisch reden könnte. Solar prüfte die Karte,
welche sie hergeschickt hatte, und fand auf der Rückseite derselben ein paar
empfehlende Worte von Charles Dickens. Im Verlauf der Unterhaltung, die
nun folgte, ergab sich's, daß die englische Dame, die eine auffallend schöne
Person war, als Anfängerin auf dem Gebiet literarischer Production eine
Novelle geschrieben hatte, die sie übersetzt und in Solar's Blatt veröffentlicht
zu sehen wünschte. Sie wollte gerade wieder gehen, als dem Franzosen eine
glänzende Idee durch den Kopf schoß. Er bat die Dame, noch einen Augen¬
blick zu bleiben und setzte ihr dann auseinander, daß unter der literarischen
Collegenschaft in Paris eine Art von Freimaurerei bestände, in die sie noth¬
wendig aufgenommen zu werden streben müsse.

„Aber ich will ja gern Alles thun, was erforderlich ist", sagte die Eng¬
länderin.

„Nun gut denn, so vernehmen sie, daß morgen alle französischen Schrift¬
steller und einige fremde Sommitäten, Victor Hugo, Balac, Dumas, Scribe,
Musset. Eugen Tue, Theophile Gautier, Lamartine, Meyerbeer, Alphonse Carr,
Paul de Kock. Liszt, Thalberg, Roger de Beauvoir. alle endlich, welche meinem
Journal Zeichen ihrer Sympathie geben wollen, sich zu einer prachtvollen
öffentlichen Procession vereinigen und in Personen des gigantischen Werkes
Paul Fcval's, „I.s ?jls an viable" verkleidet, welches wir in diesen Tagen
in unserer Zeitung zu bringen vorhaben, theils zu Pferde, theils auf einem


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[0434] von Paris beginnen, um sie bis zum folgenden Dienstag fortzusetzen. Da ward man plötzlich gewahr, daß noch eine unumgänglich nothwendige Persön¬ lichkeit fehlte — ein weiblicher Character, der irgend eine olympische Gottheit darstellte. Hier aber trat den Herren eine große praktische Schwierigkeit in den Weg; denn auf der einen Seite mußte man wissen, daß sich nicht leicht eine achtbare Dame von ansehnlichem Aeußern herbeilassen würde, sich den Pflichten der Situation zu unterziehen, auf der anderen aber stand man vor der Unmöglichkeit, sich zu dem Zwecke ein Frauenzimmer aus der nicht tugend¬ haften Classe zu miethen, weil damals in der Person des Herrn Delessert ein Polizeipräsident mit streng moralischen Ansichten über Paris regierte, welcher jede öffentliche Schaustellung verboten hatte, die auch nur entfernt gegen An¬ stand und Sittsamkeit verstieß. Man brauchte hier aber nicht blos ein Frauenzimmer, sondern ein stattliches Frauenzimmer, denn sie'sollte der un¬ umgängliche oberste Hauptschmuck der von Solar erdachten Composttion wer¬ den, indem sie einen Scepter in der Rechten und eine Krone von vergoldeter Pappe auf dem Kopfe auf dem Gipfel des Wagens Platz nahm. Der Generalstab der Zeitung befand sich noch im Zustand hoffnungs¬ loser Verlegenheit, als ein Diener eine Dame meldete, die Herrn Solar zu sprechen wünschte, aber nur englisch reden könnte. Solar prüfte die Karte, welche sie hergeschickt hatte, und fand auf der Rückseite derselben ein paar empfehlende Worte von Charles Dickens. Im Verlauf der Unterhaltung, die nun folgte, ergab sich's, daß die englische Dame, die eine auffallend schöne Person war, als Anfängerin auf dem Gebiet literarischer Production eine Novelle geschrieben hatte, die sie übersetzt und in Solar's Blatt veröffentlicht zu sehen wünschte. Sie wollte gerade wieder gehen, als dem Franzosen eine glänzende Idee durch den Kopf schoß. Er bat die Dame, noch einen Augen¬ blick zu bleiben und setzte ihr dann auseinander, daß unter der literarischen Collegenschaft in Paris eine Art von Freimaurerei bestände, in die sie noth¬ wendig aufgenommen zu werden streben müsse. „Aber ich will ja gern Alles thun, was erforderlich ist", sagte die Eng¬ länderin. „Nun gut denn, so vernehmen sie, daß morgen alle französischen Schrift¬ steller und einige fremde Sommitäten, Victor Hugo, Balac, Dumas, Scribe, Musset. Eugen Tue, Theophile Gautier, Lamartine, Meyerbeer, Alphonse Carr, Paul de Kock. Liszt, Thalberg, Roger de Beauvoir. alle endlich, welche meinem Journal Zeichen ihrer Sympathie geben wollen, sich zu einer prachtvollen öffentlichen Procession vereinigen und in Personen des gigantischen Werkes Paul Fcval's, „I.s ?jls an viable" verkleidet, welches wir in diesen Tagen in unserer Zeitung zu bringen vorhaben, theils zu Pferde, theils auf einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/434>, abgerufen am 22.07.2024.