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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Noch hübscher ist die Geschichte von Bixio und seinem Freunde Durand,
die wir in abgekürzter Form nacherzählen. Durand, war Secretär in einem
Bureau der Regierung, ein musterhafter Ehemann mit einer liebenden, aber
sehr eifersüchtigen Gattin, welche ihm aus Furcht vor den Verführungskünsten
der Hauptstadt für seine Gänge von seiner Kanzleistube bis nach Hause durch¬
aus nicht mehr als die unbedingt nothwendige Zeit gestatten wollte. Bixio
begegnete ihm eines.Abends, als er raschen Schrittes zum Essen heimging,
bemächtigte sich seiner und nöthigte ihn, mit ihm bei Vefour in lucullischen
Stil zu tafeln. Man trank reichlich von verschiedenen Weinsorten, die vor¬
trefflich waren, die Unterhaltung war lebhaft, und Durand gestattete dem
Freunde, ihn erst in einen Cigarrenladen, dann ins Theater zu führen.
Dann meint Bixio (!) der die Rolle eines vollkommenen Mephistopheles spielt:
da eine Gardinenpredigt nun doch unvermeidlich sei, so könne sein Freund
das Stück ebenso gut bis zu Ende sehen als nicht. Durand willigt ein, geht
ganz im Interesse an der Vorstellung auf und merkt darüber nicht, daß Bixio,
der sich mit dem Versprechen, bald wiederzukommen, entfernt hat, ziemlich
lange wegbleibt. Dieser benutzt seine Abwesenheit, rasch nach dem Hause
seines Freundes zu fahren, Madame Durand zu sprechen und sie zu fragen,
wo ihr Mann sei. Der Verdruß der Dame ist stark zu spüren, und Bixio
schürt ihn noch, indem er ihr mit höflichen Ausdrücken allerlei sagt, was wie
Trost und Beruhigung klingt, aber in Wahrheit einem ganz entgegengesetzten
Zwecke dient. Endlich verläßt er sie, indem sie immer noch ohne alle Kennt¬
niß des wirklichen Sachverhaltes ist und von wachsendem Verdacht gequält
wird. In das Theater zurückgekehrt, nimmt Bixio wieder von seinem Opfer
Besitz, nöthigt es. nach dem Schluß der Vorstellung bei Tortoni Eis mit
ihm zu essen und hält es dort fest, bis die Kellner die Läden schließen und
von der Polizeistunde zu reden anfangen. Dann empfiehlt Bixio seinem
Freunde nun hübsch ordentlich zu Muttern zu gehen, die der Arme kälter als
das Eis Tortoni's findet, als er ihr Bericht über die Ereignisse des Tages
abstattet.

"Deine Geschichte ist ja allerliebst erfunden, und niemals hätte ich ver¬
muthet, daß Du so viel Erfindungsgabe besaßest", sagt Madame Durand,
indem sie mit kleinen Schritten und drohender Miene auf den über ihren Un¬
glauben erstaunten Secretär zugeht.

"Aber ich werde Bixio als Zeugen aufrufen."

"Wahrhaftig, mein Lieber, Du hast kein Glück; Du wirst ungefähr zwei¬
hundert Personen in Paris kennen" . . .

"Ja, wenigstens", sagt der Secretär.

"Nun denn, von diesen zweihundert Personen wenigstens mußt Du
gerade den Herrn Bixio wählen."


Noch hübscher ist die Geschichte von Bixio und seinem Freunde Durand,
die wir in abgekürzter Form nacherzählen. Durand, war Secretär in einem
Bureau der Regierung, ein musterhafter Ehemann mit einer liebenden, aber
sehr eifersüchtigen Gattin, welche ihm aus Furcht vor den Verführungskünsten
der Hauptstadt für seine Gänge von seiner Kanzleistube bis nach Hause durch¬
aus nicht mehr als die unbedingt nothwendige Zeit gestatten wollte. Bixio
begegnete ihm eines.Abends, als er raschen Schrittes zum Essen heimging,
bemächtigte sich seiner und nöthigte ihn, mit ihm bei Vefour in lucullischen
Stil zu tafeln. Man trank reichlich von verschiedenen Weinsorten, die vor¬
trefflich waren, die Unterhaltung war lebhaft, und Durand gestattete dem
Freunde, ihn erst in einen Cigarrenladen, dann ins Theater zu führen.
Dann meint Bixio (!) der die Rolle eines vollkommenen Mephistopheles spielt:
da eine Gardinenpredigt nun doch unvermeidlich sei, so könne sein Freund
das Stück ebenso gut bis zu Ende sehen als nicht. Durand willigt ein, geht
ganz im Interesse an der Vorstellung auf und merkt darüber nicht, daß Bixio,
der sich mit dem Versprechen, bald wiederzukommen, entfernt hat, ziemlich
lange wegbleibt. Dieser benutzt seine Abwesenheit, rasch nach dem Hause
seines Freundes zu fahren, Madame Durand zu sprechen und sie zu fragen,
wo ihr Mann sei. Der Verdruß der Dame ist stark zu spüren, und Bixio
schürt ihn noch, indem er ihr mit höflichen Ausdrücken allerlei sagt, was wie
Trost und Beruhigung klingt, aber in Wahrheit einem ganz entgegengesetzten
Zwecke dient. Endlich verläßt er sie, indem sie immer noch ohne alle Kennt¬
niß des wirklichen Sachverhaltes ist und von wachsendem Verdacht gequält
wird. In das Theater zurückgekehrt, nimmt Bixio wieder von seinem Opfer
Besitz, nöthigt es. nach dem Schluß der Vorstellung bei Tortoni Eis mit
ihm zu essen und hält es dort fest, bis die Kellner die Läden schließen und
von der Polizeistunde zu reden anfangen. Dann empfiehlt Bixio seinem
Freunde nun hübsch ordentlich zu Muttern zu gehen, die der Arme kälter als
das Eis Tortoni's findet, als er ihr Bericht über die Ereignisse des Tages
abstattet.

„Deine Geschichte ist ja allerliebst erfunden, und niemals hätte ich ver¬
muthet, daß Du so viel Erfindungsgabe besaßest", sagt Madame Durand,
indem sie mit kleinen Schritten und drohender Miene auf den über ihren Un¬
glauben erstaunten Secretär zugeht.

„Aber ich werde Bixio als Zeugen aufrufen."

„Wahrhaftig, mein Lieber, Du hast kein Glück; Du wirst ungefähr zwei¬
hundert Personen in Paris kennen" . . .

„Ja, wenigstens", sagt der Secretär.

„Nun denn, von diesen zweihundert Personen wenigstens mußt Du
gerade den Herrn Bixio wählen."


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[0432] Noch hübscher ist die Geschichte von Bixio und seinem Freunde Durand, die wir in abgekürzter Form nacherzählen. Durand, war Secretär in einem Bureau der Regierung, ein musterhafter Ehemann mit einer liebenden, aber sehr eifersüchtigen Gattin, welche ihm aus Furcht vor den Verführungskünsten der Hauptstadt für seine Gänge von seiner Kanzleistube bis nach Hause durch¬ aus nicht mehr als die unbedingt nothwendige Zeit gestatten wollte. Bixio begegnete ihm eines.Abends, als er raschen Schrittes zum Essen heimging, bemächtigte sich seiner und nöthigte ihn, mit ihm bei Vefour in lucullischen Stil zu tafeln. Man trank reichlich von verschiedenen Weinsorten, die vor¬ trefflich waren, die Unterhaltung war lebhaft, und Durand gestattete dem Freunde, ihn erst in einen Cigarrenladen, dann ins Theater zu führen. Dann meint Bixio (!) der die Rolle eines vollkommenen Mephistopheles spielt: da eine Gardinenpredigt nun doch unvermeidlich sei, so könne sein Freund das Stück ebenso gut bis zu Ende sehen als nicht. Durand willigt ein, geht ganz im Interesse an der Vorstellung auf und merkt darüber nicht, daß Bixio, der sich mit dem Versprechen, bald wiederzukommen, entfernt hat, ziemlich lange wegbleibt. Dieser benutzt seine Abwesenheit, rasch nach dem Hause seines Freundes zu fahren, Madame Durand zu sprechen und sie zu fragen, wo ihr Mann sei. Der Verdruß der Dame ist stark zu spüren, und Bixio schürt ihn noch, indem er ihr mit höflichen Ausdrücken allerlei sagt, was wie Trost und Beruhigung klingt, aber in Wahrheit einem ganz entgegengesetzten Zwecke dient. Endlich verläßt er sie, indem sie immer noch ohne alle Kennt¬ niß des wirklichen Sachverhaltes ist und von wachsendem Verdacht gequält wird. In das Theater zurückgekehrt, nimmt Bixio wieder von seinem Opfer Besitz, nöthigt es. nach dem Schluß der Vorstellung bei Tortoni Eis mit ihm zu essen und hält es dort fest, bis die Kellner die Läden schließen und von der Polizeistunde zu reden anfangen. Dann empfiehlt Bixio seinem Freunde nun hübsch ordentlich zu Muttern zu gehen, die der Arme kälter als das Eis Tortoni's findet, als er ihr Bericht über die Ereignisse des Tages abstattet. „Deine Geschichte ist ja allerliebst erfunden, und niemals hätte ich ver¬ muthet, daß Du so viel Erfindungsgabe besaßest", sagt Madame Durand, indem sie mit kleinen Schritten und drohender Miene auf den über ihren Un¬ glauben erstaunten Secretär zugeht. „Aber ich werde Bixio als Zeugen aufrufen." „Wahrhaftig, mein Lieber, Du hast kein Glück; Du wirst ungefähr zwei¬ hundert Personen in Paris kennen" . . . „Ja, wenigstens", sagt der Secretär. „Nun denn, von diesen zweihundert Personen wenigstens mußt Du gerade den Herrn Bixio wählen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/432>, abgerufen am 22.07.2024.