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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Spekulation, und ihr Redakteur stieg schnell aus ärmlichen Umständen zu
verhältnißmäßigem Wohlstand empor, der später, nach Gründung des "Fi¬
garo" zum Reichthum anwuchs, so daß Mllemessant gegenwärtig als drei-
oder vierfacher Millionär zu den am besten situirter unter den Pariser
Zeitungsschreibern gehört.

Der zweite Theil der Memoiren schildert die darin vorgeführten Persön¬
lichkeiten vorzüglich durch Anekdoten, bei denen der Verfasser lediglich seinem
Gedächtnisse folgt und ohne methodische Anordnung des Stoffes rein was ihm
gerade einfällt, erzählt. Was er uns giebt, ist gedrucktes Geplauder. aber er
hat damit vielleicht das interessanteste Buch zu Stande gebracht, welches seit
dem Kriege die Pariser Presse verlassen hat. Er erzählt uns nur von Leuten,
die ihm wohl bekannt waren, und nur solche Dinge, die er selbst erlebt oder
beobachtet hat. Die Folge davon ist, daß seine Mittheilungen eine Frische
und Autenticität haben, die uns reichlich dafür entschädigen, daß sie nicht
vollständig sind. Hier und da begegnen wir in den Einzelheiten kleinen Un-
genauigkeiten, im Ganzen aber sind die Porträts von großer Treue.

Wer in den letzten zehn Jahren die hauptsächlichsten Pariser Zeitungen
gelesen hat, wird sich an August Villemot erinnern. Er war der interessanteste
und zugleich der achtbarste der "enroniquöurs". Immer erschien er in dem,
was er schrieb, als Gentleman. Sein Wijz war eben so groß wie sein Tact
und sein Wohlwollen gegen Jedermann. Er redete auf dem Zeitungspapier
wie ein mit der anmuthigsten Unterhaltungsgabe Beglückter in der Gesellschaft
guter Freunde sprechen würde. Nichts lag ihm ursprünglich ferner, als sich
seinen Unterhalt mit der Feder zu erwerben. Er wußte nicht einmal, daß er
literarische Fähigkeiten besaß, bis Mllemessant ihn um Beiträge für ein Jour¬
nal bat, welches er zu gründen beabsichtigte. Villemot war damals Secretär
am Theater der Porte Se. Martin und kam häufig in das zu diesem gehörige
Kaffeehaus, wo Mllemessant ihn plaudern hörte und bei sich dachte, "wenn
der sein Geplauder niederschreiben wollte, was für ein Journalist würde er
sein?" Villemot lachte herzlich, als ihm diese Idee vorgetragen wurde. Wie
sollte er schreiben, er. der nie eine Feder eingesetzt hatte als in Geschäfts¬
sachen! Aber als der "Figaro" gegründet wurde, ging dessen Herausgeber im
Ernste zu ihm und sagte: "Jetzt ist der große Tag gekommen, und Sie müssen
mir eine Causerie für meine erste Nummer schreiben." Der arme Villemot
war wie aus den Wolken gefallen, er hatte die frühere Andeutung für Spaß
gehalten, aber die Versuchung, die in einem Honorar von zwanzig Franken
für den Artikel lag. bewog ihn. Ja zu sagen.

Indem er dem guten Rathe seines Freundes folgte, schrieb der neuent"
deckte mi-omyueur ganz so, wie er zu seinen Freunden im Kaffeehause sprach,
und gewann damit bald einen Ruf. Er blieb sein ganzes Leben Junggeselle


Spekulation, und ihr Redakteur stieg schnell aus ärmlichen Umständen zu
verhältnißmäßigem Wohlstand empor, der später, nach Gründung des „Fi¬
garo" zum Reichthum anwuchs, so daß Mllemessant gegenwärtig als drei-
oder vierfacher Millionär zu den am besten situirter unter den Pariser
Zeitungsschreibern gehört.

Der zweite Theil der Memoiren schildert die darin vorgeführten Persön¬
lichkeiten vorzüglich durch Anekdoten, bei denen der Verfasser lediglich seinem
Gedächtnisse folgt und ohne methodische Anordnung des Stoffes rein was ihm
gerade einfällt, erzählt. Was er uns giebt, ist gedrucktes Geplauder. aber er
hat damit vielleicht das interessanteste Buch zu Stande gebracht, welches seit
dem Kriege die Pariser Presse verlassen hat. Er erzählt uns nur von Leuten,
die ihm wohl bekannt waren, und nur solche Dinge, die er selbst erlebt oder
beobachtet hat. Die Folge davon ist, daß seine Mittheilungen eine Frische
und Autenticität haben, die uns reichlich dafür entschädigen, daß sie nicht
vollständig sind. Hier und da begegnen wir in den Einzelheiten kleinen Un-
genauigkeiten, im Ganzen aber sind die Porträts von großer Treue.

Wer in den letzten zehn Jahren die hauptsächlichsten Pariser Zeitungen
gelesen hat, wird sich an August Villemot erinnern. Er war der interessanteste
und zugleich der achtbarste der „enroniquöurs". Immer erschien er in dem,
was er schrieb, als Gentleman. Sein Wijz war eben so groß wie sein Tact
und sein Wohlwollen gegen Jedermann. Er redete auf dem Zeitungspapier
wie ein mit der anmuthigsten Unterhaltungsgabe Beglückter in der Gesellschaft
guter Freunde sprechen würde. Nichts lag ihm ursprünglich ferner, als sich
seinen Unterhalt mit der Feder zu erwerben. Er wußte nicht einmal, daß er
literarische Fähigkeiten besaß, bis Mllemessant ihn um Beiträge für ein Jour¬
nal bat, welches er zu gründen beabsichtigte. Villemot war damals Secretär
am Theater der Porte Se. Martin und kam häufig in das zu diesem gehörige
Kaffeehaus, wo Mllemessant ihn plaudern hörte und bei sich dachte, „wenn
der sein Geplauder niederschreiben wollte, was für ein Journalist würde er
sein?" Villemot lachte herzlich, als ihm diese Idee vorgetragen wurde. Wie
sollte er schreiben, er. der nie eine Feder eingesetzt hatte als in Geschäfts¬
sachen! Aber als der „Figaro" gegründet wurde, ging dessen Herausgeber im
Ernste zu ihm und sagte: „Jetzt ist der große Tag gekommen, und Sie müssen
mir eine Causerie für meine erste Nummer schreiben." Der arme Villemot
war wie aus den Wolken gefallen, er hatte die frühere Andeutung für Spaß
gehalten, aber die Versuchung, die in einem Honorar von zwanzig Franken
für den Artikel lag. bewog ihn. Ja zu sagen.

Indem er dem guten Rathe seines Freundes folgte, schrieb der neuent«
deckte mi-omyueur ganz so, wie er zu seinen Freunden im Kaffeehause sprach,
und gewann damit bald einen Ruf. Er blieb sein ganzes Leben Junggeselle


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[0430] Spekulation, und ihr Redakteur stieg schnell aus ärmlichen Umständen zu verhältnißmäßigem Wohlstand empor, der später, nach Gründung des „Fi¬ garo" zum Reichthum anwuchs, so daß Mllemessant gegenwärtig als drei- oder vierfacher Millionär zu den am besten situirter unter den Pariser Zeitungsschreibern gehört. Der zweite Theil der Memoiren schildert die darin vorgeführten Persön¬ lichkeiten vorzüglich durch Anekdoten, bei denen der Verfasser lediglich seinem Gedächtnisse folgt und ohne methodische Anordnung des Stoffes rein was ihm gerade einfällt, erzählt. Was er uns giebt, ist gedrucktes Geplauder. aber er hat damit vielleicht das interessanteste Buch zu Stande gebracht, welches seit dem Kriege die Pariser Presse verlassen hat. Er erzählt uns nur von Leuten, die ihm wohl bekannt waren, und nur solche Dinge, die er selbst erlebt oder beobachtet hat. Die Folge davon ist, daß seine Mittheilungen eine Frische und Autenticität haben, die uns reichlich dafür entschädigen, daß sie nicht vollständig sind. Hier und da begegnen wir in den Einzelheiten kleinen Un- genauigkeiten, im Ganzen aber sind die Porträts von großer Treue. Wer in den letzten zehn Jahren die hauptsächlichsten Pariser Zeitungen gelesen hat, wird sich an August Villemot erinnern. Er war der interessanteste und zugleich der achtbarste der „enroniquöurs". Immer erschien er in dem, was er schrieb, als Gentleman. Sein Wijz war eben so groß wie sein Tact und sein Wohlwollen gegen Jedermann. Er redete auf dem Zeitungspapier wie ein mit der anmuthigsten Unterhaltungsgabe Beglückter in der Gesellschaft guter Freunde sprechen würde. Nichts lag ihm ursprünglich ferner, als sich seinen Unterhalt mit der Feder zu erwerben. Er wußte nicht einmal, daß er literarische Fähigkeiten besaß, bis Mllemessant ihn um Beiträge für ein Jour¬ nal bat, welches er zu gründen beabsichtigte. Villemot war damals Secretär am Theater der Porte Se. Martin und kam häufig in das zu diesem gehörige Kaffeehaus, wo Mllemessant ihn plaudern hörte und bei sich dachte, „wenn der sein Geplauder niederschreiben wollte, was für ein Journalist würde er sein?" Villemot lachte herzlich, als ihm diese Idee vorgetragen wurde. Wie sollte er schreiben, er. der nie eine Feder eingesetzt hatte als in Geschäfts¬ sachen! Aber als der „Figaro" gegründet wurde, ging dessen Herausgeber im Ernste zu ihm und sagte: „Jetzt ist der große Tag gekommen, und Sie müssen mir eine Causerie für meine erste Nummer schreiben." Der arme Villemot war wie aus den Wolken gefallen, er hatte die frühere Andeutung für Spaß gehalten, aber die Versuchung, die in einem Honorar von zwanzig Franken für den Artikel lag. bewog ihn. Ja zu sagen. Indem er dem guten Rathe seines Freundes folgte, schrieb der neuent« deckte mi-omyueur ganz so, wie er zu seinen Freunden im Kaffeehause sprach, und gewann damit bald einen Ruf. Er blieb sein ganzes Leben Junggeselle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/430>, abgerufen am 22.07.2024.