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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Ungethüms mit tausend Gesichtern machte, wie es mich mit glotzenden Augen
anstierte, mich mit Blicken verschlang und mit seinen Operngläsern nach mir
zielte, wie wenn es mich füsiliren wollte."

Noch war jedoch nicht Alles verloren. Unser Held erlangte, während die
Zuschauer sich damit vergnügten, ihn auszulachen, seine Selbstbeherrschung
wieder, und es gelang ihm, seine Rolle ganz leidlich abzuhaspeln. Aber es
stand ihm noch eine Gefahr bevor: nichts Geringeres als ein Lied. Indeß
war er glücklicher Weise nach dieser Seite hin von Natur begabt, auch hatte
er sich bereits vor einem weniger zahlreichen Publikum als Sänger bisweilen
hören lassen, und als es jetzt galt, seine Kunst zu zeigen, sang er kräftig
d'rauf los. Die Zuhörerschaft ermuthigte ihn nun durch Beifallsbezeugungen,
die nicht mehr ironisch gemeint waren. Darauf kamen ein paar Couplets,
die unter Guitarrenbegleitung vorzutragen waren, und hier war das Glück
seiner Vermessenheit abermals gewogen. Die Guitarre war sein Lieblings¬
instrument, und statt sich von einem Geiger des Orchesters mit einem Pizzi¬
cato begleiten zu lassen, wie üblich, begleitete er sich selbst auf einer wirklichen
Guitarre, und zwar mit solchem Erfolg, daß er sich den Applaus des Hauses
wie im Sturm eroberte. Von diesem Augenblick an war sein Sieg entschieden,
und bis zum Fallen des Vorhangs schwamm er förmlich in Triumphen. Er
gewann seine Wette mit bestem Recht, verwendete den Ertrag derselben als
anständiger Mensch, indem er die Schauspieler mit einem Souper regalirte.
und beschloß damit in würdigsten Stil seine Laufbahn als Jünger Thalias.

Später wurde Villemessant nach Paris verschlagen, und irgend ein andrer
Wind lenkte sein Lebensschiff an das Gestade des Journalismus, wo es ihm
Anfangs nicht brillant erging. Aber bald wendete sich das Blatt. Eines Tages
blätterte er bei einem Bekannten, der als Unterredacteur des "Siecle" mit
der Scheere zu arbeiten hatte, in einem Modejournal, und da fiel ihm auf,
wie wenig die ärmliche Ausstattung desselben zu einer Zeitung für elegante
Damen paßte. Sofort regte sich der Geschäftsmann in ihm, das Bild einer
Modezeitung, wie sie sein muß, ging ihm auf. Ein Buchhändler gab die
nothwendigen Gelder dazu her. und kurz darauf stach das neue Blatt, von
seinem Gründer "Sylphide" getauft, in die See, um bald als flottes Fahr¬
zeug Furore zu machen. Villemessant richtete seine Aufmerksamkeit mit ange-
bornem Jnstinct auf alles, was die Anziehungskraft des Unternehmens erhöhen
konnte. Er machte selbst nach allen Richtungen Reclame und verstand die
Reclame in der Form der Annonce in sein Blatt zu leiten. Er ließ die Um¬
schläge desselben parfumiren, er pachtete von de Girardin das Recht, alle
Wochen eine Art Feuilleton in die "Presse" zu rücken, in welchem er alle
Schwänke. Possen, Anekdoten und Wortspiele der "Sylphide" anmuthig grup-
pirte. So aber wurde letztere binnen Kurzem zu einer äußerst lohnenden


Ungethüms mit tausend Gesichtern machte, wie es mich mit glotzenden Augen
anstierte, mich mit Blicken verschlang und mit seinen Operngläsern nach mir
zielte, wie wenn es mich füsiliren wollte."

Noch war jedoch nicht Alles verloren. Unser Held erlangte, während die
Zuschauer sich damit vergnügten, ihn auszulachen, seine Selbstbeherrschung
wieder, und es gelang ihm, seine Rolle ganz leidlich abzuhaspeln. Aber es
stand ihm noch eine Gefahr bevor: nichts Geringeres als ein Lied. Indeß
war er glücklicher Weise nach dieser Seite hin von Natur begabt, auch hatte
er sich bereits vor einem weniger zahlreichen Publikum als Sänger bisweilen
hören lassen, und als es jetzt galt, seine Kunst zu zeigen, sang er kräftig
d'rauf los. Die Zuhörerschaft ermuthigte ihn nun durch Beifallsbezeugungen,
die nicht mehr ironisch gemeint waren. Darauf kamen ein paar Couplets,
die unter Guitarrenbegleitung vorzutragen waren, und hier war das Glück
seiner Vermessenheit abermals gewogen. Die Guitarre war sein Lieblings¬
instrument, und statt sich von einem Geiger des Orchesters mit einem Pizzi¬
cato begleiten zu lassen, wie üblich, begleitete er sich selbst auf einer wirklichen
Guitarre, und zwar mit solchem Erfolg, daß er sich den Applaus des Hauses
wie im Sturm eroberte. Von diesem Augenblick an war sein Sieg entschieden,
und bis zum Fallen des Vorhangs schwamm er förmlich in Triumphen. Er
gewann seine Wette mit bestem Recht, verwendete den Ertrag derselben als
anständiger Mensch, indem er die Schauspieler mit einem Souper regalirte.
und beschloß damit in würdigsten Stil seine Laufbahn als Jünger Thalias.

Später wurde Villemessant nach Paris verschlagen, und irgend ein andrer
Wind lenkte sein Lebensschiff an das Gestade des Journalismus, wo es ihm
Anfangs nicht brillant erging. Aber bald wendete sich das Blatt. Eines Tages
blätterte er bei einem Bekannten, der als Unterredacteur des „Siecle" mit
der Scheere zu arbeiten hatte, in einem Modejournal, und da fiel ihm auf,
wie wenig die ärmliche Ausstattung desselben zu einer Zeitung für elegante
Damen paßte. Sofort regte sich der Geschäftsmann in ihm, das Bild einer
Modezeitung, wie sie sein muß, ging ihm auf. Ein Buchhändler gab die
nothwendigen Gelder dazu her. und kurz darauf stach das neue Blatt, von
seinem Gründer „Sylphide" getauft, in die See, um bald als flottes Fahr¬
zeug Furore zu machen. Villemessant richtete seine Aufmerksamkeit mit ange-
bornem Jnstinct auf alles, was die Anziehungskraft des Unternehmens erhöhen
konnte. Er machte selbst nach allen Richtungen Reclame und verstand die
Reclame in der Form der Annonce in sein Blatt zu leiten. Er ließ die Um¬
schläge desselben parfumiren, er pachtete von de Girardin das Recht, alle
Wochen eine Art Feuilleton in die „Presse" zu rücken, in welchem er alle
Schwänke. Possen, Anekdoten und Wortspiele der „Sylphide" anmuthig grup-
pirte. So aber wurde letztere binnen Kurzem zu einer äußerst lohnenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/429>, abgerufen am 22.07.2024.