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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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denn seine Großmama war der Meinung, daß er zu vornehm sei, um das
Lernen nöthig zu haben. Dagegen studirte er die kleine Welt, in der er lebte,
namentlich den weiblichen Theil derselben, fleißig, und bei diesem Bemühen ge¬
schah es, daß einer von seinen Heirathsanträgen Annahme fand, da er damals
schon das reife Alter von achtzehn Jahren erreicht hatte. Vorher aber war
ihm ein Abenteuer passirt, welches in seiner Komik dem besten an die Seite
gesetzt werden kann, was die humoristische Literatur aufzuweisen hat.

Don Juan de Villemessant hatte sich unter andern in eine verheirathete
Frau aus der arbeitenden Klasse verliebt und durfte derselben Besuche ab¬
statten, wenn der Mann nicht zu Hause war. Ein tugendhafter Nachbar
bekam das weg. schlich sich, als ein solcher Besuch gerade im Gange war, an
die Thür und klopfte. Es wurde nicht geöffnet, jener aber war seiner Sache
sicher, und so blieb er, um eine Entdeckung durch den Mann herbeizuführen,
bis zu dessen Heimkehr an der Thür auf Wache. Der junge Sünder, der in¬
folge dessen nicht entwischen konnte, versteckte sich, als der Mann wirklich kam,
und eine Stunde voll Todesangst war die Folge. Vielleicht hätte es damit
sein Bewenden gehabt, aber das Unglück wollte es anders. Um sich den Schweiß
abzutrocknen, der ihm in dicken Tropfen auf Stirn und Nase stand, griff der
Junge nach seinem Taschentuch, und jetzt ereilte ihn sein Verhängniß. Es
war damals Mode, sich die Fingernagel sehr lang wachsen zu lassen, einer
von diesen Haken erfaßte unglücklicher Weise die Spindel einer musikalischen
Dose, die sich durch Zufall mit dem Schnupftuch in einer und derselben Tasche
befand, und jetzt erfolgte ein Auftritt von allerhöchster Tragikomik. Wie von
einer Tarantel in den Finger gestochen, sprang der zukünftige Gründer des
"Figaro" aus seinem Winkel empor und davon, kriegte von dem betrogenen
Ehemann auf dem Wege zur Thür etliche Ohrfeigen und Fußtritte, wurde
die Treppe hinabgeschlenkert und fuhr schließlich zum" Hause hinaus. Die
verrätherische Schnupftabaksdose aber spielte während dieser ganzen Procedur,
wie wenn sie ihren Besitzer noch obendrein verspotten wollte, ganz vergnüglich
die Melodie von Casimir Delavigne's Parisienne:


,A ti-g-vers le ter, Is den usf datAillous
Narelwns ö, 1a vietoirs l"

Man sollte meinen, daß für einen so gestimmten Nichtsnutz eine Verhei-
rathung mit achtzehn Jahren das Dienlichste gewesen '-wäre. Villemessant
selbst aber sagt uns, daß er nach zweijähriger Ehe ganz eben so schlimm ge¬
wesen wie vorher.

Die zweite hübsche Geschichte, die wir dem ersten Theil der Memoiren
entnehmen, spielt in Nantes, wo Villemessant in den ersten Jahren seiner
Selbstständigkeit eine Stelle bei einer Versicherungsgesellschaft bekommen hatte.
Er ging hier viel mit Bühnenhelden um, und dabei äußerte er sich eines


denn seine Großmama war der Meinung, daß er zu vornehm sei, um das
Lernen nöthig zu haben. Dagegen studirte er die kleine Welt, in der er lebte,
namentlich den weiblichen Theil derselben, fleißig, und bei diesem Bemühen ge¬
schah es, daß einer von seinen Heirathsanträgen Annahme fand, da er damals
schon das reife Alter von achtzehn Jahren erreicht hatte. Vorher aber war
ihm ein Abenteuer passirt, welches in seiner Komik dem besten an die Seite
gesetzt werden kann, was die humoristische Literatur aufzuweisen hat.

Don Juan de Villemessant hatte sich unter andern in eine verheirathete
Frau aus der arbeitenden Klasse verliebt und durfte derselben Besuche ab¬
statten, wenn der Mann nicht zu Hause war. Ein tugendhafter Nachbar
bekam das weg. schlich sich, als ein solcher Besuch gerade im Gange war, an
die Thür und klopfte. Es wurde nicht geöffnet, jener aber war seiner Sache
sicher, und so blieb er, um eine Entdeckung durch den Mann herbeizuführen,
bis zu dessen Heimkehr an der Thür auf Wache. Der junge Sünder, der in¬
folge dessen nicht entwischen konnte, versteckte sich, als der Mann wirklich kam,
und eine Stunde voll Todesangst war die Folge. Vielleicht hätte es damit
sein Bewenden gehabt, aber das Unglück wollte es anders. Um sich den Schweiß
abzutrocknen, der ihm in dicken Tropfen auf Stirn und Nase stand, griff der
Junge nach seinem Taschentuch, und jetzt ereilte ihn sein Verhängniß. Es
war damals Mode, sich die Fingernagel sehr lang wachsen zu lassen, einer
von diesen Haken erfaßte unglücklicher Weise die Spindel einer musikalischen
Dose, die sich durch Zufall mit dem Schnupftuch in einer und derselben Tasche
befand, und jetzt erfolgte ein Auftritt von allerhöchster Tragikomik. Wie von
einer Tarantel in den Finger gestochen, sprang der zukünftige Gründer des
„Figaro" aus seinem Winkel empor und davon, kriegte von dem betrogenen
Ehemann auf dem Wege zur Thür etliche Ohrfeigen und Fußtritte, wurde
die Treppe hinabgeschlenkert und fuhr schließlich zum" Hause hinaus. Die
verrätherische Schnupftabaksdose aber spielte während dieser ganzen Procedur,
wie wenn sie ihren Besitzer noch obendrein verspotten wollte, ganz vergnüglich
die Melodie von Casimir Delavigne's Parisienne:


,A ti-g-vers le ter, Is den usf datAillous
Narelwns ö, 1a vietoirs l"

Man sollte meinen, daß für einen so gestimmten Nichtsnutz eine Verhei-
rathung mit achtzehn Jahren das Dienlichste gewesen '-wäre. Villemessant
selbst aber sagt uns, daß er nach zweijähriger Ehe ganz eben so schlimm ge¬
wesen wie vorher.

Die zweite hübsche Geschichte, die wir dem ersten Theil der Memoiren
entnehmen, spielt in Nantes, wo Villemessant in den ersten Jahren seiner
Selbstständigkeit eine Stelle bei einer Versicherungsgesellschaft bekommen hatte.
Er ging hier viel mit Bühnenhelden um, und dabei äußerte er sich eines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/427>, abgerufen am 22.07.2024.