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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Grade der Hund, weil auch er theilweise zum Luxusthier sich hat umformen
lassen müssen, sind freilich von diesem seltsamen Anflug aus allen Ecken der
ethnographischen Windrose bewahrt geblieben, aber dafür waren es immer
nur "gemeine Thiere", ähnlich wie auch das gemeine Volk am spätesten und
zufälligsten von dem fremden Lack der Mode oder Bildung zu genießen be¬
kommt.

Ausnahmen von diesem Gesetze sind zuzugeben: gerade bei "Roß und
Reiter" werden wir auf eine der merkwürdigsten geführt. Wir denken an
den Genuß des Fleisches von diesem Thiere, das doch einst, wie man weiß
und wie unzählige geschichtliche Zeugnisse darthun, obenan unter den Lieblings¬
speisen unserer ächt nationalen Küche stand. Gegenwärtig widerstrebt dem
ächten Volke nichts so sehr wie "Pferdefleisch" trotz aller Roßschlächtereien.
Pferdefleischessender Vereine und ihrer glänzenden Diners mit den ellenlangen
Menüs aus puren Bestandtheilen ihres gastronomischen Cultusgegenstandes
zusammengesetzt. Der wahre Mann aus dem Volke -- wozu Niemand die
kosmopolitisch zerfahrenen Proletarier unserer Großstädte, die Affilirten der
Internationale, rechnen wird -- entschlösse sich wohl noch eher zu einem Hunde
oder sogar Katzenbraten, wenn es durchaus Fleisch sein soll, und das ordonanz-
mäßige "Huhn im Topfe" d. h. ins Deutsche übersetzt, das richtige Stück
grünes oder geräuchertes Schweinefleisch nicht zu erschwingen ist. Ebenso be¬
kannt wie die Thatsache der einstmaligen Sitte des Pferdefleischessens ist auch
die Geschichte seiner Verdrängung. Die Kirche hat hier etwas erreicht, was
ihr auf dem innern Gebiete im Bereiche sittlicher Regungen des Herzens und
des Empfindungslebens niemals gelungen ist, nämlich eine totale Sinnes¬
änderung des deutschen Menschen. Es ist ihr schwer genug damit geworden
und sie kann auf diesen Triumph beinahe ebenso stolz sein, wie auf die von
ihr durchgesetzte Gewöhnung der Laien sich von ihr zehnten zu lassen. Freilich
der Zehnte hat seine stark reale Seite und selbst wenn er nicht schon von
Moses geboten gewesen wäre, würde ihn der sprichwörtliche gute Magen der
Kirche immer als erste Christenpflicht empfunden und verlangt haben. Das
Pferdefleisch dagegen steht mit den kirchlichen Finanzen in keinem sichtbaren
Zusammenhang, und daß sich unsere ältesten Bekehrer und ihre Nachfolger
dennoch so viel Mühe gegeben haben, es von dem deutschen Tisch zu ver¬
bannen, beweist, daß sie unter Umständen auch ästhetischen Regungen zugäng¬
licher sein konnten, als man glaubt. Denn nur solche, ihr eigener durch Un-
gewohnheit begründeter Abscheu davor, hat ihnen die Energie verleihen können,
mit der sie diese Sitte besiegten, nicht das alttestamentliche Speiseverbot, das
z. B. ja auch den von der Kirche oder den Kirchenmännern nicht bloß sehr
gern gegessenen, sondern auch gehetzten Hasen strengstens verpönte. Daß
aber das Volk selbst sich so schnell und gründlich fügte, darf vielleicht als ein


Grade der Hund, weil auch er theilweise zum Luxusthier sich hat umformen
lassen müssen, sind freilich von diesem seltsamen Anflug aus allen Ecken der
ethnographischen Windrose bewahrt geblieben, aber dafür waren es immer
nur „gemeine Thiere", ähnlich wie auch das gemeine Volk am spätesten und
zufälligsten von dem fremden Lack der Mode oder Bildung zu genießen be¬
kommt.

Ausnahmen von diesem Gesetze sind zuzugeben: gerade bei „Roß und
Reiter" werden wir auf eine der merkwürdigsten geführt. Wir denken an
den Genuß des Fleisches von diesem Thiere, das doch einst, wie man weiß
und wie unzählige geschichtliche Zeugnisse darthun, obenan unter den Lieblings¬
speisen unserer ächt nationalen Küche stand. Gegenwärtig widerstrebt dem
ächten Volke nichts so sehr wie „Pferdefleisch« trotz aller Roßschlächtereien.
Pferdefleischessender Vereine und ihrer glänzenden Diners mit den ellenlangen
Menüs aus puren Bestandtheilen ihres gastronomischen Cultusgegenstandes
zusammengesetzt. Der wahre Mann aus dem Volke — wozu Niemand die
kosmopolitisch zerfahrenen Proletarier unserer Großstädte, die Affilirten der
Internationale, rechnen wird — entschlösse sich wohl noch eher zu einem Hunde
oder sogar Katzenbraten, wenn es durchaus Fleisch sein soll, und das ordonanz-
mäßige „Huhn im Topfe" d. h. ins Deutsche übersetzt, das richtige Stück
grünes oder geräuchertes Schweinefleisch nicht zu erschwingen ist. Ebenso be¬
kannt wie die Thatsache der einstmaligen Sitte des Pferdefleischessens ist auch
die Geschichte seiner Verdrängung. Die Kirche hat hier etwas erreicht, was
ihr auf dem innern Gebiete im Bereiche sittlicher Regungen des Herzens und
des Empfindungslebens niemals gelungen ist, nämlich eine totale Sinnes¬
änderung des deutschen Menschen. Es ist ihr schwer genug damit geworden
und sie kann auf diesen Triumph beinahe ebenso stolz sein, wie auf die von
ihr durchgesetzte Gewöhnung der Laien sich von ihr zehnten zu lassen. Freilich
der Zehnte hat seine stark reale Seite und selbst wenn er nicht schon von
Moses geboten gewesen wäre, würde ihn der sprichwörtliche gute Magen der
Kirche immer als erste Christenpflicht empfunden und verlangt haben. Das
Pferdefleisch dagegen steht mit den kirchlichen Finanzen in keinem sichtbaren
Zusammenhang, und daß sich unsere ältesten Bekehrer und ihre Nachfolger
dennoch so viel Mühe gegeben haben, es von dem deutschen Tisch zu ver¬
bannen, beweist, daß sie unter Umständen auch ästhetischen Regungen zugäng¬
licher sein konnten, als man glaubt. Denn nur solche, ihr eigener durch Un-
gewohnheit begründeter Abscheu davor, hat ihnen die Energie verleihen können,
mit der sie diese Sitte besiegten, nicht das alttestamentliche Speiseverbot, das
z. B. ja auch den von der Kirche oder den Kirchenmännern nicht bloß sehr
gern gegessenen, sondern auch gehetzten Hasen strengstens verpönte. Daß
aber das Volk selbst sich so schnell und gründlich fügte, darf vielleicht als ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/421>, abgerufen am 22.07.2024.