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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Sinne, sondern bloße eoguomiug. meist von der Beschäftigung hergenommen,
wie so viele tausende unserer übrigen Familiennamen, oder Spitznamen, neben
denen der wirkliche erlosch, wie bei Roß. Mähre, Hengst, Stute, oder auch mit
fortgeführt wurde, wie bei Marheinecke, d. h. Pferdeheinrich. --

Um so reicher hat aber unsere Volksphantasie in der Erfindung von
Eigennamen für das Lieblingsthier gewaltet, wie immer, in dem Bestreben,
dadurch das Individuum der Seele möglichst nahe zu bringen. Es wäre an
sich schon ein lehrreiches Stück Culturgeschichte, -wollte man uns diese vom
grauesten Alterthum bis heute in Cirkulation befindlichen Pferdenamen in
ihren vollen geschichtlichen Beziehungen erörtern. Welch andere Welt öffnet
sich, wenn wir dem "ersten aller Rosse", jenem Sleipnir des Göttervaters,
wörtlich dem sanft dahin gleitenden -- weil er fast immer nur in den Lüften
und auf den Wolken fährt -- begegnen, oder jenein Hrimfaxi, dem Reif-
mähnigen, jenem Gulltoppr, dem Goldgelockten. -- Dagegen in der Zeit der
höfischen Bildung, die ähnlich wie das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert
so stark französisch augelackt ist, tauchen auf einmal dafür Namen auf wie
Volatin, Bonthart, Entereador, die das altheimische in den Hintergrund
des elementaren Volkslebens zurückdrängen, weshalb dann auch der Volks-
thümlichste, nicht salonfähige Held Dietrich von Bern noch sein gut deutsch
benanntes Roß. Belebe, Blässe reitet, dagegen der schon ganz in den höfischen
Aether erhobene Rüedeger von Bechelaren den Boimunt. was freilich, wie
uns überliefert wird, ein alter normannischer d. h. also wohl nordisch ger¬
manischer Riesenname sein soll, aber so wie er im Mittelalter auch in Deutsch¬
land cursirte, nur aus dem Mund der französisch sprechenden und ganz zu
Franzosen gewordenen Nachkommen Hrolfs vernommen werden konnte. Dazu
als neueste Paradestücke der blasirten Geschmacklosigkeit unsere hochfeinen
Sportsnamen, wie Moawija, Tamerlan, Lady Jane, Lohengrin, eine grausen¬
hafte Konfusion aller möglichen Anklänge aller möglichen und unmöglichen
Zeiten und Nationen. Daneben die schlichte, beinahe nüchterne Bescheidenheit
in den allgemein üblichen Pferdenamen unter dem Volke: Schimmel, Fuchs,
Rappe, Blässe :c. oder ein Hans, Grete. Liese, -- charakteristisch genug doch
auch hier, so weit es Eigennamen von Menschen sind, meist fremdes Gut,
wenn es auch nicht mehr als solches verstanden wird, und nur das ebenso
populäre "Fritz" aus dem deutschen Sprachvorrath geschöpft. Die unermeßliche
Gewalt, welche das Fremde, die fremde Mode, sowohl wie die fremde Cultur
zwei Dinge, die oft identisch, oft aber geradezu entgegengesetzt sind -- auf
das deutsche Volksthum, aus die deutsche Volksseele geübt haben, läßt sich an
solchen scheinbar kleinen Zügen^fast noch deutlicher, jedenfalls handgreiflicher
darthun, wie in dem. was man die großen Interessen des Volkes und das
Großleben der Geschichte zu nennen Pflegt. Ochse und Schwein, im minderen


Sinne, sondern bloße eoguomiug. meist von der Beschäftigung hergenommen,
wie so viele tausende unserer übrigen Familiennamen, oder Spitznamen, neben
denen der wirkliche erlosch, wie bei Roß. Mähre, Hengst, Stute, oder auch mit
fortgeführt wurde, wie bei Marheinecke, d. h. Pferdeheinrich. —

Um so reicher hat aber unsere Volksphantasie in der Erfindung von
Eigennamen für das Lieblingsthier gewaltet, wie immer, in dem Bestreben,
dadurch das Individuum der Seele möglichst nahe zu bringen. Es wäre an
sich schon ein lehrreiches Stück Culturgeschichte, -wollte man uns diese vom
grauesten Alterthum bis heute in Cirkulation befindlichen Pferdenamen in
ihren vollen geschichtlichen Beziehungen erörtern. Welch andere Welt öffnet
sich, wenn wir dem „ersten aller Rosse", jenem Sleipnir des Göttervaters,
wörtlich dem sanft dahin gleitenden — weil er fast immer nur in den Lüften
und auf den Wolken fährt — begegnen, oder jenein Hrimfaxi, dem Reif-
mähnigen, jenem Gulltoppr, dem Goldgelockten. — Dagegen in der Zeit der
höfischen Bildung, die ähnlich wie das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert
so stark französisch augelackt ist, tauchen auf einmal dafür Namen auf wie
Volatin, Bonthart, Entereador, die das altheimische in den Hintergrund
des elementaren Volkslebens zurückdrängen, weshalb dann auch der Volks-
thümlichste, nicht salonfähige Held Dietrich von Bern noch sein gut deutsch
benanntes Roß. Belebe, Blässe reitet, dagegen der schon ganz in den höfischen
Aether erhobene Rüedeger von Bechelaren den Boimunt. was freilich, wie
uns überliefert wird, ein alter normannischer d. h. also wohl nordisch ger¬
manischer Riesenname sein soll, aber so wie er im Mittelalter auch in Deutsch¬
land cursirte, nur aus dem Mund der französisch sprechenden und ganz zu
Franzosen gewordenen Nachkommen Hrolfs vernommen werden konnte. Dazu
als neueste Paradestücke der blasirten Geschmacklosigkeit unsere hochfeinen
Sportsnamen, wie Moawija, Tamerlan, Lady Jane, Lohengrin, eine grausen¬
hafte Konfusion aller möglichen Anklänge aller möglichen und unmöglichen
Zeiten und Nationen. Daneben die schlichte, beinahe nüchterne Bescheidenheit
in den allgemein üblichen Pferdenamen unter dem Volke: Schimmel, Fuchs,
Rappe, Blässe :c. oder ein Hans, Grete. Liese, — charakteristisch genug doch
auch hier, so weit es Eigennamen von Menschen sind, meist fremdes Gut,
wenn es auch nicht mehr als solches verstanden wird, und nur das ebenso
populäre „Fritz" aus dem deutschen Sprachvorrath geschöpft. Die unermeßliche
Gewalt, welche das Fremde, die fremde Mode, sowohl wie die fremde Cultur
zwei Dinge, die oft identisch, oft aber geradezu entgegengesetzt sind — auf
das deutsche Volksthum, aus die deutsche Volksseele geübt haben, läßt sich an
solchen scheinbar kleinen Zügen^fast noch deutlicher, jedenfalls handgreiflicher
darthun, wie in dem. was man die großen Interessen des Volkes und das
Großleben der Geschichte zu nennen Pflegt. Ochse und Schwein, im minderen


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[0420] Sinne, sondern bloße eoguomiug. meist von der Beschäftigung hergenommen, wie so viele tausende unserer übrigen Familiennamen, oder Spitznamen, neben denen der wirkliche erlosch, wie bei Roß. Mähre, Hengst, Stute, oder auch mit fortgeführt wurde, wie bei Marheinecke, d. h. Pferdeheinrich. — Um so reicher hat aber unsere Volksphantasie in der Erfindung von Eigennamen für das Lieblingsthier gewaltet, wie immer, in dem Bestreben, dadurch das Individuum der Seele möglichst nahe zu bringen. Es wäre an sich schon ein lehrreiches Stück Culturgeschichte, -wollte man uns diese vom grauesten Alterthum bis heute in Cirkulation befindlichen Pferdenamen in ihren vollen geschichtlichen Beziehungen erörtern. Welch andere Welt öffnet sich, wenn wir dem „ersten aller Rosse", jenem Sleipnir des Göttervaters, wörtlich dem sanft dahin gleitenden — weil er fast immer nur in den Lüften und auf den Wolken fährt — begegnen, oder jenein Hrimfaxi, dem Reif- mähnigen, jenem Gulltoppr, dem Goldgelockten. — Dagegen in der Zeit der höfischen Bildung, die ähnlich wie das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert so stark französisch augelackt ist, tauchen auf einmal dafür Namen auf wie Volatin, Bonthart, Entereador, die das altheimische in den Hintergrund des elementaren Volkslebens zurückdrängen, weshalb dann auch der Volks- thümlichste, nicht salonfähige Held Dietrich von Bern noch sein gut deutsch benanntes Roß. Belebe, Blässe reitet, dagegen der schon ganz in den höfischen Aether erhobene Rüedeger von Bechelaren den Boimunt. was freilich, wie uns überliefert wird, ein alter normannischer d. h. also wohl nordisch ger¬ manischer Riesenname sein soll, aber so wie er im Mittelalter auch in Deutsch¬ land cursirte, nur aus dem Mund der französisch sprechenden und ganz zu Franzosen gewordenen Nachkommen Hrolfs vernommen werden konnte. Dazu als neueste Paradestücke der blasirten Geschmacklosigkeit unsere hochfeinen Sportsnamen, wie Moawija, Tamerlan, Lady Jane, Lohengrin, eine grausen¬ hafte Konfusion aller möglichen Anklänge aller möglichen und unmöglichen Zeiten und Nationen. Daneben die schlichte, beinahe nüchterne Bescheidenheit in den allgemein üblichen Pferdenamen unter dem Volke: Schimmel, Fuchs, Rappe, Blässe :c. oder ein Hans, Grete. Liese, — charakteristisch genug doch auch hier, so weit es Eigennamen von Menschen sind, meist fremdes Gut, wenn es auch nicht mehr als solches verstanden wird, und nur das ebenso populäre „Fritz" aus dem deutschen Sprachvorrath geschöpft. Die unermeßliche Gewalt, welche das Fremde, die fremde Mode, sowohl wie die fremde Cultur zwei Dinge, die oft identisch, oft aber geradezu entgegengesetzt sind — auf das deutsche Volksthum, aus die deutsche Volksseele geübt haben, läßt sich an solchen scheinbar kleinen Zügen^fast noch deutlicher, jedenfalls handgreiflicher darthun, wie in dem. was man die großen Interessen des Volkes und das Großleben der Geschichte zu nennen Pflegt. Ochse und Schwein, im minderen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/420>, abgerufen am 22.07.2024.