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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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öfter hat es das echt deutsche Roß nicht zu verdrängen vermocht und ebenso
wenig im Nordwesten das in seinem Ursprung freilich sehr zweifelhafte Page.

Es ist bemerkenswerth, daß diese beiden altdeutschen Namen gerade da
hafteten, wo das Volksleben überhaupt am geschlossensten sich in seiner ange¬
stammten Eigenart behauptete. Denn altdeutsch darf man wohl auch Page
nennen, weil es, wenn es nicht deutsch sein sollte, jedenfalls vordeutsch ist
und zwar aus einer ethnographischen Vergangenheit, in die bis jetzt kein Licht¬
strahl der Wissenschaft zu dringen vermag. Nicht einmal unsere allzeit fertigen
Keltomanen haben es bisher gewagt, das seltsame Wort für sich zu bean¬
spruchen. -- Das naturwüchsige Bauernthum des Südostens, das Landvolk
bayrischen Geblütes südlich von der Donau, weiß noch jetzt nur von Pferden
in der Stadt, während es selbst nur mit Rossen zu Acker oder zum volks-
thümlichen Rennplatz zieht, den noch keine albernen Marotten und geckenhaften
Nachäffungen des "Sport" verunzieren. Ebenso kennt das niedersächsische
und niederfränkische Bauernthum, an Kraft und derber Vierschrötigkeit des
Charakters jenem bayrischen ebenbürtig, aber in den äußern Formen und in
der Gemüthsstimmung etwas weicher oder humaner geartet, eigentlich nur
jenes "Page", was denn auch in so viele Orts- und Personennamen (Pagenstecher
vom ersten deutschen Parlamente her z. B. wohlbekannt) übergegangen ist. Erst
die alles Alterthümliche mit ihrem scharfen Zahn zernagende Gegenwart scheint
auch dies "Page" anzutasten, wenigstens beginnt es in einzelnen Strichen,
in denen es heimatsberechtigt ist, schon für ein Pferd niederen Ranges, also
nicht mehr als allgemeiner und insofern neutraler Gattungsname zu gelten.
Dies wäre der erste Schritt zu seiner völligen Verdrängung. Denn ist ein
solches Wort erst einmal in den Winkel der Verächtlichkeit geschoben, so
schämt sich einer nach dem andern es zu gebrauchen, bis es ganz verschillt,
oder höchstens noch einmal als Schimpfwort aus der erregten Tiefe des Ge¬
müthes hervorsprudelt. Das oberdeutsche Roß haftet noch fester, wozu mit
beitragen mag, daß es in dem höheren und höchsten Stil des schriftgemäßen
Ausdrucks eingebürgert ist. Aber mehr noch wirkt dazu doch die ethno-
graphische Individualität jenes bayrischen Stammes. Sie ist ohne Frage am
wenigsten unter allen deutschen von den Strömungen der allgemein deutschen
Bildung und Mode berührt, im Guten wie im Bösen noch am meisten auf
sich selbst und ihre eigenen alterthümlichen Jnstincte gestellt. Die niederdeutsche
Volksart ist schon durch die Berührung mit der See und vielleicht noch mehr
durch den Protestantismus, der sie zwar nicht ganz besitzt, aber doch in ihr
so fest und tief wie nirgends anders sitzt, um vieles aufgeschlossener und den
Mächten des geistigen Fortschrittes zugänglicher.

Wo aber das fremde Pferd nunmehr volksthümlich und insofern echt
deutsch geworden ist, da finden wir uns auf dem auch sonst allen fremden


Grenjboten 187S. IV. 52

öfter hat es das echt deutsche Roß nicht zu verdrängen vermocht und ebenso
wenig im Nordwesten das in seinem Ursprung freilich sehr zweifelhafte Page.

Es ist bemerkenswerth, daß diese beiden altdeutschen Namen gerade da
hafteten, wo das Volksleben überhaupt am geschlossensten sich in seiner ange¬
stammten Eigenart behauptete. Denn altdeutsch darf man wohl auch Page
nennen, weil es, wenn es nicht deutsch sein sollte, jedenfalls vordeutsch ist
und zwar aus einer ethnographischen Vergangenheit, in die bis jetzt kein Licht¬
strahl der Wissenschaft zu dringen vermag. Nicht einmal unsere allzeit fertigen
Keltomanen haben es bisher gewagt, das seltsame Wort für sich zu bean¬
spruchen. — Das naturwüchsige Bauernthum des Südostens, das Landvolk
bayrischen Geblütes südlich von der Donau, weiß noch jetzt nur von Pferden
in der Stadt, während es selbst nur mit Rossen zu Acker oder zum volks-
thümlichen Rennplatz zieht, den noch keine albernen Marotten und geckenhaften
Nachäffungen des „Sport" verunzieren. Ebenso kennt das niedersächsische
und niederfränkische Bauernthum, an Kraft und derber Vierschrötigkeit des
Charakters jenem bayrischen ebenbürtig, aber in den äußern Formen und in
der Gemüthsstimmung etwas weicher oder humaner geartet, eigentlich nur
jenes „Page", was denn auch in so viele Orts- und Personennamen (Pagenstecher
vom ersten deutschen Parlamente her z. B. wohlbekannt) übergegangen ist. Erst
die alles Alterthümliche mit ihrem scharfen Zahn zernagende Gegenwart scheint
auch dies „Page" anzutasten, wenigstens beginnt es in einzelnen Strichen,
in denen es heimatsberechtigt ist, schon für ein Pferd niederen Ranges, also
nicht mehr als allgemeiner und insofern neutraler Gattungsname zu gelten.
Dies wäre der erste Schritt zu seiner völligen Verdrängung. Denn ist ein
solches Wort erst einmal in den Winkel der Verächtlichkeit geschoben, so
schämt sich einer nach dem andern es zu gebrauchen, bis es ganz verschillt,
oder höchstens noch einmal als Schimpfwort aus der erregten Tiefe des Ge¬
müthes hervorsprudelt. Das oberdeutsche Roß haftet noch fester, wozu mit
beitragen mag, daß es in dem höheren und höchsten Stil des schriftgemäßen
Ausdrucks eingebürgert ist. Aber mehr noch wirkt dazu doch die ethno-
graphische Individualität jenes bayrischen Stammes. Sie ist ohne Frage am
wenigsten unter allen deutschen von den Strömungen der allgemein deutschen
Bildung und Mode berührt, im Guten wie im Bösen noch am meisten auf
sich selbst und ihre eigenen alterthümlichen Jnstincte gestellt. Die niederdeutsche
Volksart ist schon durch die Berührung mit der See und vielleicht noch mehr
durch den Protestantismus, der sie zwar nicht ganz besitzt, aber doch in ihr
so fest und tief wie nirgends anders sitzt, um vieles aufgeschlossener und den
Mächten des geistigen Fortschrittes zugänglicher.

Wo aber das fremde Pferd nunmehr volksthümlich und insofern echt
deutsch geworden ist, da finden wir uns auf dem auch sonst allen fremden


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[0417] öfter hat es das echt deutsche Roß nicht zu verdrängen vermocht und ebenso wenig im Nordwesten das in seinem Ursprung freilich sehr zweifelhafte Page. Es ist bemerkenswerth, daß diese beiden altdeutschen Namen gerade da hafteten, wo das Volksleben überhaupt am geschlossensten sich in seiner ange¬ stammten Eigenart behauptete. Denn altdeutsch darf man wohl auch Page nennen, weil es, wenn es nicht deutsch sein sollte, jedenfalls vordeutsch ist und zwar aus einer ethnographischen Vergangenheit, in die bis jetzt kein Licht¬ strahl der Wissenschaft zu dringen vermag. Nicht einmal unsere allzeit fertigen Keltomanen haben es bisher gewagt, das seltsame Wort für sich zu bean¬ spruchen. — Das naturwüchsige Bauernthum des Südostens, das Landvolk bayrischen Geblütes südlich von der Donau, weiß noch jetzt nur von Pferden in der Stadt, während es selbst nur mit Rossen zu Acker oder zum volks- thümlichen Rennplatz zieht, den noch keine albernen Marotten und geckenhaften Nachäffungen des „Sport" verunzieren. Ebenso kennt das niedersächsische und niederfränkische Bauernthum, an Kraft und derber Vierschrötigkeit des Charakters jenem bayrischen ebenbürtig, aber in den äußern Formen und in der Gemüthsstimmung etwas weicher oder humaner geartet, eigentlich nur jenes „Page", was denn auch in so viele Orts- und Personennamen (Pagenstecher vom ersten deutschen Parlamente her z. B. wohlbekannt) übergegangen ist. Erst die alles Alterthümliche mit ihrem scharfen Zahn zernagende Gegenwart scheint auch dies „Page" anzutasten, wenigstens beginnt es in einzelnen Strichen, in denen es heimatsberechtigt ist, schon für ein Pferd niederen Ranges, also nicht mehr als allgemeiner und insofern neutraler Gattungsname zu gelten. Dies wäre der erste Schritt zu seiner völligen Verdrängung. Denn ist ein solches Wort erst einmal in den Winkel der Verächtlichkeit geschoben, so schämt sich einer nach dem andern es zu gebrauchen, bis es ganz verschillt, oder höchstens noch einmal als Schimpfwort aus der erregten Tiefe des Ge¬ müthes hervorsprudelt. Das oberdeutsche Roß haftet noch fester, wozu mit beitragen mag, daß es in dem höheren und höchsten Stil des schriftgemäßen Ausdrucks eingebürgert ist. Aber mehr noch wirkt dazu doch die ethno- graphische Individualität jenes bayrischen Stammes. Sie ist ohne Frage am wenigsten unter allen deutschen von den Strömungen der allgemein deutschen Bildung und Mode berührt, im Guten wie im Bösen noch am meisten auf sich selbst und ihre eigenen alterthümlichen Jnstincte gestellt. Die niederdeutsche Volksart ist schon durch die Berührung mit der See und vielleicht noch mehr durch den Protestantismus, der sie zwar nicht ganz besitzt, aber doch in ihr so fest und tief wie nirgends anders sitzt, um vieles aufgeschlossener und den Mächten des geistigen Fortschrittes zugänglicher. Wo aber das fremde Pferd nunmehr volksthümlich und insofern echt deutsch geworden ist, da finden wir uns auf dem auch sonst allen fremden Grenjboten 187S. IV. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/417>, abgerufen am 22.07.2024.