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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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fortreißen lassen, ist auch dieser in jedem Falle wieder die Quelle neuer Wahr¬
heit geworden. Denn er entspringt stets aus einem Ueberschwall von Ein¬
drücken und Gedanken, nicht aus dem Gegentheil davon. Billigerweise kann
man bei keinem der Nachfolger jene einzige Totalität der Gaben fordern, es
genügt schon, wenn sie unter dem befruchtenden Einfluß ihres Borbildes das,
was ihnen selbst zugetheilt ist, so gewissenhaft und treu wie möglich zur
Verwerthung im Dienste der Wissenschaft zu bringen bereit sind. Je nach
den individuellen Vorbedingungen wird sich der eine mehr als geübter Linguist
im specifischen Sinne, der andere mehr als lebendiger Kenner der Gegenstände
und ihrer practischen Beziehungen zum Leben und zur Geschichte zu bethätigen
haben. Aber jeder wird dafür Sorge tragen müssen, daß er die Seite, die
in ihm die weniger stark angelegte ist, durch umfassende und methodische
Anlehnung an die Thätigkeit anderer verstärke.

Der Verfasser von "Roß und Reiter" gehört zu der unter unsern Fach¬
genossen seltener vertretenen Kategorie, die sich kraft natürlicher Neigung und
berufsmäßig geforderter Bildung mit Entschiedenheit der reellen Seite seines
Gegenstandes zuwendet. Aber er hat auch alles gethan, um der formellen,
der sprachlichen Begründung desselben gerecht zu werden. Er ist kein Linguist
vom Fache, trotzdem ist es ihm nur selten begegnet, entweder wirklich vor¬
handene sprachliche Bezüge, die zur Erhellung seiner Bilder oder zu ihrer
eigentlichen Beseelung nothwendig, mindestens sehr dienlich wären, nicht zu
bemerken, oder auch sich zu nicht bloß gewagten, sondern über die Grenzen
des wissenschaftlich Möglichen hinausgehenden Combinationen und Folgerungen
verleiten zu lassen. Von letzteren wollen wir einige Beispiele, nicht um das
Verdienst des Forschers zu schmälern, sondern nur als Belege, die für ihn
und andere in gleichem Falle nicht ohne Nutzen sein können, anführen,
während wir für das erstere auf Ergänzungen unsererseits verzichten. Denn
im Grunde hat Niemand das Recht, einen Autor für das verantwortlich zu
machen, was er nicht gegeben hat, sondern bloß nach der Meinung seiner
Leser oder Kritiker wohl hätte geben können oder sollen. Die Verant¬
wortlichkeit beginnt erst mit dem wirklich Geleisteten und für dieses ist sie aller¬
dings eine unbegrenzte.

Dahin gehört, wenn der Orts- und Familiennamen Heldrit mit jenem
edelen Thiere in sprachliche und dadurch auch sachliche Verbindung gesetzt wird,
dem der Verfasser begreiflich so viel Ehren als möglich zuwenden will. Er
knüpft zunächst an das in der Edda, im Wafthrudnismal 18 überlieferte,
V!Ar!är (denn so und nicht ViZM ist die dortige Namensform). Dieses nordische
V. ist das Feld "auf dem sich im Kampfe (v!gi) finden Surtr, der verzehrende
Feuerdämon und die freundlichen Götter", also die letzte Wahlstatt, die des
Weltunterganges. Die bloß aus der Sache selbst geschöpfte, man möchte


fortreißen lassen, ist auch dieser in jedem Falle wieder die Quelle neuer Wahr¬
heit geworden. Denn er entspringt stets aus einem Ueberschwall von Ein¬
drücken und Gedanken, nicht aus dem Gegentheil davon. Billigerweise kann
man bei keinem der Nachfolger jene einzige Totalität der Gaben fordern, es
genügt schon, wenn sie unter dem befruchtenden Einfluß ihres Borbildes das,
was ihnen selbst zugetheilt ist, so gewissenhaft und treu wie möglich zur
Verwerthung im Dienste der Wissenschaft zu bringen bereit sind. Je nach
den individuellen Vorbedingungen wird sich der eine mehr als geübter Linguist
im specifischen Sinne, der andere mehr als lebendiger Kenner der Gegenstände
und ihrer practischen Beziehungen zum Leben und zur Geschichte zu bethätigen
haben. Aber jeder wird dafür Sorge tragen müssen, daß er die Seite, die
in ihm die weniger stark angelegte ist, durch umfassende und methodische
Anlehnung an die Thätigkeit anderer verstärke.

Der Verfasser von „Roß und Reiter" gehört zu der unter unsern Fach¬
genossen seltener vertretenen Kategorie, die sich kraft natürlicher Neigung und
berufsmäßig geforderter Bildung mit Entschiedenheit der reellen Seite seines
Gegenstandes zuwendet. Aber er hat auch alles gethan, um der formellen,
der sprachlichen Begründung desselben gerecht zu werden. Er ist kein Linguist
vom Fache, trotzdem ist es ihm nur selten begegnet, entweder wirklich vor¬
handene sprachliche Bezüge, die zur Erhellung seiner Bilder oder zu ihrer
eigentlichen Beseelung nothwendig, mindestens sehr dienlich wären, nicht zu
bemerken, oder auch sich zu nicht bloß gewagten, sondern über die Grenzen
des wissenschaftlich Möglichen hinausgehenden Combinationen und Folgerungen
verleiten zu lassen. Von letzteren wollen wir einige Beispiele, nicht um das
Verdienst des Forschers zu schmälern, sondern nur als Belege, die für ihn
und andere in gleichem Falle nicht ohne Nutzen sein können, anführen,
während wir für das erstere auf Ergänzungen unsererseits verzichten. Denn
im Grunde hat Niemand das Recht, einen Autor für das verantwortlich zu
machen, was er nicht gegeben hat, sondern bloß nach der Meinung seiner
Leser oder Kritiker wohl hätte geben können oder sollen. Die Verant¬
wortlichkeit beginnt erst mit dem wirklich Geleisteten und für dieses ist sie aller¬
dings eine unbegrenzte.

Dahin gehört, wenn der Orts- und Familiennamen Heldrit mit jenem
edelen Thiere in sprachliche und dadurch auch sachliche Verbindung gesetzt wird,
dem der Verfasser begreiflich so viel Ehren als möglich zuwenden will. Er
knüpft zunächst an das in der Edda, im Wafthrudnismal 18 überlieferte,
V!Ar!är (denn so und nicht ViZM ist die dortige Namensform). Dieses nordische
V. ist das Feld „auf dem sich im Kampfe (v!gi) finden Surtr, der verzehrende
Feuerdämon und die freundlichen Götter", also die letzte Wahlstatt, die des
Weltunterganges. Die bloß aus der Sache selbst geschöpfte, man möchte


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[0413] fortreißen lassen, ist auch dieser in jedem Falle wieder die Quelle neuer Wahr¬ heit geworden. Denn er entspringt stets aus einem Ueberschwall von Ein¬ drücken und Gedanken, nicht aus dem Gegentheil davon. Billigerweise kann man bei keinem der Nachfolger jene einzige Totalität der Gaben fordern, es genügt schon, wenn sie unter dem befruchtenden Einfluß ihres Borbildes das, was ihnen selbst zugetheilt ist, so gewissenhaft und treu wie möglich zur Verwerthung im Dienste der Wissenschaft zu bringen bereit sind. Je nach den individuellen Vorbedingungen wird sich der eine mehr als geübter Linguist im specifischen Sinne, der andere mehr als lebendiger Kenner der Gegenstände und ihrer practischen Beziehungen zum Leben und zur Geschichte zu bethätigen haben. Aber jeder wird dafür Sorge tragen müssen, daß er die Seite, die in ihm die weniger stark angelegte ist, durch umfassende und methodische Anlehnung an die Thätigkeit anderer verstärke. Der Verfasser von „Roß und Reiter" gehört zu der unter unsern Fach¬ genossen seltener vertretenen Kategorie, die sich kraft natürlicher Neigung und berufsmäßig geforderter Bildung mit Entschiedenheit der reellen Seite seines Gegenstandes zuwendet. Aber er hat auch alles gethan, um der formellen, der sprachlichen Begründung desselben gerecht zu werden. Er ist kein Linguist vom Fache, trotzdem ist es ihm nur selten begegnet, entweder wirklich vor¬ handene sprachliche Bezüge, die zur Erhellung seiner Bilder oder zu ihrer eigentlichen Beseelung nothwendig, mindestens sehr dienlich wären, nicht zu bemerken, oder auch sich zu nicht bloß gewagten, sondern über die Grenzen des wissenschaftlich Möglichen hinausgehenden Combinationen und Folgerungen verleiten zu lassen. Von letzteren wollen wir einige Beispiele, nicht um das Verdienst des Forschers zu schmälern, sondern nur als Belege, die für ihn und andere in gleichem Falle nicht ohne Nutzen sein können, anführen, während wir für das erstere auf Ergänzungen unsererseits verzichten. Denn im Grunde hat Niemand das Recht, einen Autor für das verantwortlich zu machen, was er nicht gegeben hat, sondern bloß nach der Meinung seiner Leser oder Kritiker wohl hätte geben können oder sollen. Die Verant¬ wortlichkeit beginnt erst mit dem wirklich Geleisteten und für dieses ist sie aller¬ dings eine unbegrenzte. Dahin gehört, wenn der Orts- und Familiennamen Heldrit mit jenem edelen Thiere in sprachliche und dadurch auch sachliche Verbindung gesetzt wird, dem der Verfasser begreiflich so viel Ehren als möglich zuwenden will. Er knüpft zunächst an das in der Edda, im Wafthrudnismal 18 überlieferte, V!Ar!är (denn so und nicht ViZM ist die dortige Namensform). Dieses nordische V. ist das Feld „auf dem sich im Kampfe (v!gi) finden Surtr, der verzehrende Feuerdämon und die freundlichen Götter", also die letzte Wahlstatt, die des Weltunterganges. Die bloß aus der Sache selbst geschöpfte, man möchte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/413>, abgerufen am 04.07.2024.