Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Don der ostdeutschen Hrenzivacht.

Seitdem wir neulich in diesen Blättern den augenblicklichen Stand des
Kampfes zwischen der deutschen Cultur und der slavischen Barbarei in Ober¬
schlesien zu zeigen versucht haben, ist eine zu kurze Spanne Zeit verflossen,
als daß sich in der Situation etwas Wesentliches verändert hätte. Nichts¬
destoweniger halten wir es für unsere Pflicht, so wie unser Auge selbst, auch
das aller wahrhaft patriotisch gesinnten Leser wieder einmal auf diese Stelle
hinzulenken, um, wenn es auch nicht immer durchschlagende Ereignisse zu be¬
richten giebt, das Treiben und Weben der dort gegeneinander spielenden
Kräfte nach'ihrer ganzen Bedeutung verstehen zu lernen. Unser Volk vor
allen andern ist ja, sollen wir sagen in der glücklichen oder unglücklichen Lage,
einer fortwährenden, nimmer rastenden, gewissenhaftesten und energischsten
Grenzbegehung rings um seine ganze territoriale Heimath zu bedürfen. Leider
ist dieselbe in der Praxis sehr oft nur allzu fahrlässig geübt worden und
setzen wir hinzu, leider wird sie auch in diesem Momente noch, sei es aus
bloßer Bequemlichkeit und träger Vertrauensseligkeit, sei es aus ebenso
tadelnswerther Unkenntnis) des wahren Sachverhaltes noch immer nicht mit
jener strengen Genauigkeit geübt, die uns ein Ehrenpunkt und zugleich eine
der wesentlichsten Existenzbedingungen für Deutschland zu sein scheint. Ver¬
nachlässigen aber Andere ihre Pflicht, die ja bei der unendlichen räumlichen
Ausdehnung des Objectes nur durch ein freiwilliges Zusammenwirken vieler
Kräfte erfüllt werden kann, so soll das für uns ein um so stärkerer Sporn
sein, an unserer Stelle wenigstens Alles zu sagen und zu thun, was uns vor
Schaden behüten oder den schon durch schwere Versäumnisse angerichteten
wieder einigermaßen gut machen kann. Denn daß unendlich viel bereits ver¬
dorben ist. das werden sich die Leser als das Facit unseres neulichen Berichtes
entnommen haben.

Wie viel bereits verdorben ist, das ließe sich für alle die, welche den zeit¬
gemäßen Glauben an die unumstößliche Beweiskraft statistischer Zahlenreihen
theilen, am schlagendsten an dem gegenwärtigen Procentsatz der mit deutscher
Schulbildung versehenen oberschlesischen Militärpflichtiger nachweisen. Seit
zwanzig, dreißig Jahren ist derselbe fortwährend gesunken, begreiflich genug,
da seitdem die Bevölkerungszahl sich ungefähr verdoppelt, die Zahl der Schulen
aber nur ganz unbedeutend vermehrt hat. Die inzwischen vollzogene außer¬
ordentliche Schulrevision wird, wenn erst ihre Resultate veröffentlicht sind, dies
und noch viel anderes Unerquickliche zur allgemeinen Kenntniß bringen. Da
die Erkenntniß eines Uebels herkömmlich als die erste Vorbedingung zu seiner
Heilung angesehen wird, so wollen auch wir, wenn auch mit einiger Reserve,


Don der ostdeutschen Hrenzivacht.

Seitdem wir neulich in diesen Blättern den augenblicklichen Stand des
Kampfes zwischen der deutschen Cultur und der slavischen Barbarei in Ober¬
schlesien zu zeigen versucht haben, ist eine zu kurze Spanne Zeit verflossen,
als daß sich in der Situation etwas Wesentliches verändert hätte. Nichts¬
destoweniger halten wir es für unsere Pflicht, so wie unser Auge selbst, auch
das aller wahrhaft patriotisch gesinnten Leser wieder einmal auf diese Stelle
hinzulenken, um, wenn es auch nicht immer durchschlagende Ereignisse zu be¬
richten giebt, das Treiben und Weben der dort gegeneinander spielenden
Kräfte nach'ihrer ganzen Bedeutung verstehen zu lernen. Unser Volk vor
allen andern ist ja, sollen wir sagen in der glücklichen oder unglücklichen Lage,
einer fortwährenden, nimmer rastenden, gewissenhaftesten und energischsten
Grenzbegehung rings um seine ganze territoriale Heimath zu bedürfen. Leider
ist dieselbe in der Praxis sehr oft nur allzu fahrlässig geübt worden und
setzen wir hinzu, leider wird sie auch in diesem Momente noch, sei es aus
bloßer Bequemlichkeit und träger Vertrauensseligkeit, sei es aus ebenso
tadelnswerther Unkenntnis) des wahren Sachverhaltes noch immer nicht mit
jener strengen Genauigkeit geübt, die uns ein Ehrenpunkt und zugleich eine
der wesentlichsten Existenzbedingungen für Deutschland zu sein scheint. Ver¬
nachlässigen aber Andere ihre Pflicht, die ja bei der unendlichen räumlichen
Ausdehnung des Objectes nur durch ein freiwilliges Zusammenwirken vieler
Kräfte erfüllt werden kann, so soll das für uns ein um so stärkerer Sporn
sein, an unserer Stelle wenigstens Alles zu sagen und zu thun, was uns vor
Schaden behüten oder den schon durch schwere Versäumnisse angerichteten
wieder einigermaßen gut machen kann. Denn daß unendlich viel bereits ver¬
dorben ist. das werden sich die Leser als das Facit unseres neulichen Berichtes
entnommen haben.

Wie viel bereits verdorben ist, das ließe sich für alle die, welche den zeit¬
gemäßen Glauben an die unumstößliche Beweiskraft statistischer Zahlenreihen
theilen, am schlagendsten an dem gegenwärtigen Procentsatz der mit deutscher
Schulbildung versehenen oberschlesischen Militärpflichtiger nachweisen. Seit
zwanzig, dreißig Jahren ist derselbe fortwährend gesunken, begreiflich genug,
da seitdem die Bevölkerungszahl sich ungefähr verdoppelt, die Zahl der Schulen
aber nur ganz unbedeutend vermehrt hat. Die inzwischen vollzogene außer¬
ordentliche Schulrevision wird, wenn erst ihre Resultate veröffentlicht sind, dies
und noch viel anderes Unerquickliche zur allgemeinen Kenntniß bringen. Da
die Erkenntniß eines Uebels herkömmlich als die erste Vorbedingung zu seiner
Heilung angesehen wird, so wollen auch wir, wenn auch mit einiger Reserve,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128492"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Don der ostdeutschen Hrenzivacht.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_75"> Seitdem wir neulich in diesen Blättern den augenblicklichen Stand des<lb/>
Kampfes zwischen der deutschen Cultur und der slavischen Barbarei in Ober¬<lb/>
schlesien zu zeigen versucht haben, ist eine zu kurze Spanne Zeit verflossen,<lb/>
als daß sich in der Situation etwas Wesentliches verändert hätte. Nichts¬<lb/>
destoweniger halten wir es für unsere Pflicht, so wie unser Auge selbst, auch<lb/>
das aller wahrhaft patriotisch gesinnten Leser wieder einmal auf diese Stelle<lb/>
hinzulenken, um, wenn es auch nicht immer durchschlagende Ereignisse zu be¬<lb/>
richten giebt, das Treiben und Weben der dort gegeneinander spielenden<lb/>
Kräfte nach'ihrer ganzen Bedeutung verstehen zu lernen. Unser Volk vor<lb/>
allen andern ist ja, sollen wir sagen in der glücklichen oder unglücklichen Lage,<lb/>
einer fortwährenden, nimmer rastenden, gewissenhaftesten und energischsten<lb/>
Grenzbegehung rings um seine ganze territoriale Heimath zu bedürfen. Leider<lb/>
ist dieselbe in der Praxis sehr oft nur allzu fahrlässig geübt worden und<lb/>
setzen wir hinzu, leider wird sie auch in diesem Momente noch, sei es aus<lb/>
bloßer Bequemlichkeit und träger Vertrauensseligkeit, sei es aus ebenso<lb/>
tadelnswerther Unkenntnis) des wahren Sachverhaltes noch immer nicht mit<lb/>
jener strengen Genauigkeit geübt, die uns ein Ehrenpunkt und zugleich eine<lb/>
der wesentlichsten Existenzbedingungen für Deutschland zu sein scheint. Ver¬<lb/>
nachlässigen aber Andere ihre Pflicht, die ja bei der unendlichen räumlichen<lb/>
Ausdehnung des Objectes nur durch ein freiwilliges Zusammenwirken vieler<lb/>
Kräfte erfüllt werden kann, so soll das für uns ein um so stärkerer Sporn<lb/>
sein, an unserer Stelle wenigstens Alles zu sagen und zu thun, was uns vor<lb/>
Schaden behüten oder den schon durch schwere Versäumnisse angerichteten<lb/>
wieder einigermaßen gut machen kann. Denn daß unendlich viel bereits ver¬<lb/>
dorben ist. das werden sich die Leser als das Facit unseres neulichen Berichtes<lb/>
entnommen haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_76" next="#ID_77"> Wie viel bereits verdorben ist, das ließe sich für alle die, welche den zeit¬<lb/>
gemäßen Glauben an die unumstößliche Beweiskraft statistischer Zahlenreihen<lb/>
theilen, am schlagendsten an dem gegenwärtigen Procentsatz der mit deutscher<lb/>
Schulbildung versehenen oberschlesischen Militärpflichtiger nachweisen. Seit<lb/>
zwanzig, dreißig Jahren ist derselbe fortwährend gesunken, begreiflich genug,<lb/>
da seitdem die Bevölkerungszahl sich ungefähr verdoppelt, die Zahl der Schulen<lb/>
aber nur ganz unbedeutend vermehrt hat. Die inzwischen vollzogene außer¬<lb/>
ordentliche Schulrevision wird, wenn erst ihre Resultate veröffentlicht sind, dies<lb/>
und noch viel anderes Unerquickliche zur allgemeinen Kenntniß bringen. Da<lb/>
die Erkenntniß eines Uebels herkömmlich als die erste Vorbedingung zu seiner<lb/>
Heilung angesehen wird, so wollen auch wir, wenn auch mit einiger Reserve,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] Don der ostdeutschen Hrenzivacht. Seitdem wir neulich in diesen Blättern den augenblicklichen Stand des Kampfes zwischen der deutschen Cultur und der slavischen Barbarei in Ober¬ schlesien zu zeigen versucht haben, ist eine zu kurze Spanne Zeit verflossen, als daß sich in der Situation etwas Wesentliches verändert hätte. Nichts¬ destoweniger halten wir es für unsere Pflicht, so wie unser Auge selbst, auch das aller wahrhaft patriotisch gesinnten Leser wieder einmal auf diese Stelle hinzulenken, um, wenn es auch nicht immer durchschlagende Ereignisse zu be¬ richten giebt, das Treiben und Weben der dort gegeneinander spielenden Kräfte nach'ihrer ganzen Bedeutung verstehen zu lernen. Unser Volk vor allen andern ist ja, sollen wir sagen in der glücklichen oder unglücklichen Lage, einer fortwährenden, nimmer rastenden, gewissenhaftesten und energischsten Grenzbegehung rings um seine ganze territoriale Heimath zu bedürfen. Leider ist dieselbe in der Praxis sehr oft nur allzu fahrlässig geübt worden und setzen wir hinzu, leider wird sie auch in diesem Momente noch, sei es aus bloßer Bequemlichkeit und träger Vertrauensseligkeit, sei es aus ebenso tadelnswerther Unkenntnis) des wahren Sachverhaltes noch immer nicht mit jener strengen Genauigkeit geübt, die uns ein Ehrenpunkt und zugleich eine der wesentlichsten Existenzbedingungen für Deutschland zu sein scheint. Ver¬ nachlässigen aber Andere ihre Pflicht, die ja bei der unendlichen räumlichen Ausdehnung des Objectes nur durch ein freiwilliges Zusammenwirken vieler Kräfte erfüllt werden kann, so soll das für uns ein um so stärkerer Sporn sein, an unserer Stelle wenigstens Alles zu sagen und zu thun, was uns vor Schaden behüten oder den schon durch schwere Versäumnisse angerichteten wieder einigermaßen gut machen kann. Denn daß unendlich viel bereits ver¬ dorben ist. das werden sich die Leser als das Facit unseres neulichen Berichtes entnommen haben. Wie viel bereits verdorben ist, das ließe sich für alle die, welche den zeit¬ gemäßen Glauben an die unumstößliche Beweiskraft statistischer Zahlenreihen theilen, am schlagendsten an dem gegenwärtigen Procentsatz der mit deutscher Schulbildung versehenen oberschlesischen Militärpflichtiger nachweisen. Seit zwanzig, dreißig Jahren ist derselbe fortwährend gesunken, begreiflich genug, da seitdem die Bevölkerungszahl sich ungefähr verdoppelt, die Zahl der Schulen aber nur ganz unbedeutend vermehrt hat. Die inzwischen vollzogene außer¬ ordentliche Schulrevision wird, wenn erst ihre Resultate veröffentlicht sind, dies und noch viel anderes Unerquickliche zur allgemeinen Kenntniß bringen. Da die Erkenntniß eines Uebels herkömmlich als die erste Vorbedingung zu seiner Heilung angesehen wird, so wollen auch wir, wenn auch mit einiger Reserve,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/38>, abgerufen am 03.07.2024.