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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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nicht lichter. Wir brauchen eigentlich nicht zu sagen, welches Werk wir
meinen. Denn schon beweisen manche Erzeugnisse deutscher Kunst und In¬
dustrie, daß dasselbe, ohne ein genaueres Abwägen der ärgerlichen Feinheiten
geistigen Eigenthums als Gemeingut der deutschen Nation betrachtet wird.
Und es steht zu vermuthen, daß die Wiener Weltausstellung dafür noch
manches Beweisstück nachbringen wird.

Wir meinen A. Hendschel's Skizzenbuch (Verlag von F. A. C.
Prestel, Frankfurt a. M., Photographie von Th. Huth daselbst). Der
Name des Künstlers, der mit diesem einen Werke die Gunst des deutschen
Publikums in allen Schichten und allen Provinzen des Reichs in seltenem
Maße erobert hat, ist in der That bis dahin wenig genannt worden. Nicht
die schlechtesten Talente und Kräfte geben dem stillen Beifall und der kritischen
Aufmunterung gleichstrebender Kenner den Borzug vor der lauten Zu¬
stimmung der Menge. Nicht die Unfähigsten bescheiden sich, Lernende zu sein, in
Jahren, in denen das Mittelgut längst die höchsten Leistungen seines Schaffens
erreicht glaubt und der Welt mitgetheilt hat. A. Hendschel hat diese vor¬
nehme Zurückhaltung der echten Künstlernatur bisher beobachtet. Wenige
seiner Zeichnungen sind in einzelnen Blättern oder in besonderer Ausgabe erschienen.

Hier nennen wir: Die Compositionen zu Hauff und Lichtenstein, zu Shakes¬
peare, Götz v. Berlichingen, zu Dornröschen, zu Aschenbrödel -- bei letzterem Werk
sind die Zeichnungen des Künstlers durch den Holzschnitt ebenso grauenhaft
verhunzt worden, als das schöne Märchen durch die haarsträubenden Jahr¬
marktsverse Müller's von Königswinter. Im Ganzen hat aber A. Hendschel
wie gesagt bisher wenig veröffentlicht. Fast nur gezwungen ist er vor das
Publikum getreten; gezwungen niemals durch die Noth des Daseins wie so
mancher andere Künstler. Denn sein Bater, der verdiente Geograph und Karto¬
graph H. Hendschel, -- noch bekannter als Herausgeber von "Hendschels Tele¬
graph" -- war in der glücklichen Lage, seinen Kindern eine tüchtige vielseitige
Erziehung gewähren und ihnen eine sorgenlose Existenz bereiten zu können.
Auch nicht die schlimmen Erfahrungen, die A. Hendschel bei Wiedergabe seiner
Schöpfungen im Holzschnitt mehr als einmal gemacht hat, und die ihn zum
dauernden Feind -- nicht des "edeln Holzschnitts" -- wohl aber der Holz¬
schneideret gemacht haben, sind seiner größern Productivität für die Oeffent-
lichkeit hinderlich gewesen. Mehr als das: sein ganzer Bildungsgang, seine
Eigenart. Hielt ihn doch das Publikum, das ihn kannte, und selbst ein
guter Theil seines vertrauteren Kreises, mehr für einen tüchtigen Kunstlieb¬
haber als für einen productiven Künstler. Und im Grunde hatte dieses Ur¬
theil in doppeltem Sinne so Unrecht nicht. Denn seine Kunst hat Hendschel
wirklich so lieb wie Einer, und bis dahin hat er auch immer am liebsten für
sich, aus Lust an der Sache, an der Kunst selbst, geschaffen.


nicht lichter. Wir brauchen eigentlich nicht zu sagen, welches Werk wir
meinen. Denn schon beweisen manche Erzeugnisse deutscher Kunst und In¬
dustrie, daß dasselbe, ohne ein genaueres Abwägen der ärgerlichen Feinheiten
geistigen Eigenthums als Gemeingut der deutschen Nation betrachtet wird.
Und es steht zu vermuthen, daß die Wiener Weltausstellung dafür noch
manches Beweisstück nachbringen wird.

Wir meinen A. Hendschel's Skizzenbuch (Verlag von F. A. C.
Prestel, Frankfurt a. M., Photographie von Th. Huth daselbst). Der
Name des Künstlers, der mit diesem einen Werke die Gunst des deutschen
Publikums in allen Schichten und allen Provinzen des Reichs in seltenem
Maße erobert hat, ist in der That bis dahin wenig genannt worden. Nicht
die schlechtesten Talente und Kräfte geben dem stillen Beifall und der kritischen
Aufmunterung gleichstrebender Kenner den Borzug vor der lauten Zu¬
stimmung der Menge. Nicht die Unfähigsten bescheiden sich, Lernende zu sein, in
Jahren, in denen das Mittelgut längst die höchsten Leistungen seines Schaffens
erreicht glaubt und der Welt mitgetheilt hat. A. Hendschel hat diese vor¬
nehme Zurückhaltung der echten Künstlernatur bisher beobachtet. Wenige
seiner Zeichnungen sind in einzelnen Blättern oder in besonderer Ausgabe erschienen.

Hier nennen wir: Die Compositionen zu Hauff und Lichtenstein, zu Shakes¬
peare, Götz v. Berlichingen, zu Dornröschen, zu Aschenbrödel — bei letzterem Werk
sind die Zeichnungen des Künstlers durch den Holzschnitt ebenso grauenhaft
verhunzt worden, als das schöne Märchen durch die haarsträubenden Jahr¬
marktsverse Müller's von Königswinter. Im Ganzen hat aber A. Hendschel
wie gesagt bisher wenig veröffentlicht. Fast nur gezwungen ist er vor das
Publikum getreten; gezwungen niemals durch die Noth des Daseins wie so
mancher andere Künstler. Denn sein Bater, der verdiente Geograph und Karto¬
graph H. Hendschel, — noch bekannter als Herausgeber von „Hendschels Tele¬
graph" — war in der glücklichen Lage, seinen Kindern eine tüchtige vielseitige
Erziehung gewähren und ihnen eine sorgenlose Existenz bereiten zu können.
Auch nicht die schlimmen Erfahrungen, die A. Hendschel bei Wiedergabe seiner
Schöpfungen im Holzschnitt mehr als einmal gemacht hat, und die ihn zum
dauernden Feind — nicht des „edeln Holzschnitts" — wohl aber der Holz¬
schneideret gemacht haben, sind seiner größern Productivität für die Oeffent-
lichkeit hinderlich gewesen. Mehr als das: sein ganzer Bildungsgang, seine
Eigenart. Hielt ihn doch das Publikum, das ihn kannte, und selbst ein
guter Theil seines vertrauteren Kreises, mehr für einen tüchtigen Kunstlieb¬
haber als für einen productiven Künstler. Und im Grunde hatte dieses Ur¬
theil in doppeltem Sinne so Unrecht nicht. Denn seine Kunst hat Hendschel
wirklich so lieb wie Einer, und bis dahin hat er auch immer am liebsten für
sich, aus Lust an der Sache, an der Kunst selbst, geschaffen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/363>, abgerufen am 25.07.2024.