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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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"Schon der Name Nationalliberalismus besagt, daß er die Beförderung
der deutschen Nationalität sich zum besonderen Zweck macht und darin vor¬
kommenden Falls (?) auch den Maßstab seines Urtheils findet. Nach christ¬
licher Ansicht hingegen ist die Nationalität etwas blos Natürliches, dem an
und für sich keine Heiligkeit zukommt. Und eben darin zeigt sich, wohin der
Nationalliberalismus hinausläuft. nehmlich auf Berläugnung des Chri¬
stenthums durch ein neues Heidenthum. Ich glaube.gern, daß bei
weitem die Meisten diese Folge nicht übersehen, allein dies ändert die Sache
nicht, und nichts ist so gewiß, als daß das Nationalitätsprin¬
cip den Grundlehren des C h ri se meh ums'durchaus old er spricht.
Die Bibel weiß nur von einer Schöpfung des Menschen, nicht aber von einer
Schöpfung der verschiedenen Völker, als welche vielmehr erst später durch eine
innere Zersetzung der ursprünglich einigen Menschheit entstanden, wie die Er¬
zählung von dem babylonischen Thurmbau besagt. Daß diese Erzählung
offenbar in mythischem Gewände auftritt, gerade wie auch die Erzählung vom
Sündenfall, thut gleichwohl ihrer inneren Wahrheit nicht den geringsten Ein¬
trag. Und diese Wahrheit ist so wichtig, daß sie nicht nur eine Haupt¬
leuchte für die Geschichtsphilosophie bildet, sondern zugleich auch den Eckstein
des gesammten Völkerrechtes... Wie ist nun der Bibel nach die Entstehung
der Völker zu erklären? Als etwas blos Zufälliges wird sie in der Genesis
keinesweges geschildert. Dennoch aber sind die verschiedenen Nationalitäten
infolge dessen nicht als göttliche Stiftungen anzusehen, so daß sie dadurch
mit einer besonderen Weihe bekleidet wären. Vielmehr wird ausdrücklich ge¬
sagt, daß die Völkerscheidung eine That des göttlichen Zornes war, wonach
in dem Dasein der verschiedenen Völker nicht sowohl der gött¬
liche Wille erkannt werden muß, als vielmehr der göttliche
Unwille. Die Völkerscheidung war eine über die Menschheit verhängte
Strafe. Die Frage ist jetzt, was den göttlichen Zorn veranlaßte und was
er bedeutet? Die bis dahin noch ungeschiedene Menschheit, lesen wir, wollte
eine Stadt mit einem Thurm bauen, der bis in die Wolken reichen sollte.
Und das wollten die Menschen deshalb, weil sie selbst schon die Ahnung da¬
von hatten, sie möchten vielleicht zerstreut werden. Ihr innerer Zusammen¬
hang war also schwach geworden, und deshalb suchten sie die Einheit durch
materielle Mittel zu erhalten. Nämlich durch Begründung eines dominirenden
Centrums" (Preußen?), "wodurch sie sich einen Namen in der Welt machten,
und so die Anschauung ihrer eigenen Macht und Größe gewonnen, die ihnen
hinterher zu einem neuen Einheitsbande" (Bundesverfassung?), "dienen sollte.
Wodurch war denn aber der innere Zusammenhang so schwach geworden?
Darüber enthält zwar die biblische Erzählung selbst keine
Andeutung, es wird aber dem Ganzen der biblischen Lehre durchaus ent-


„Schon der Name Nationalliberalismus besagt, daß er die Beförderung
der deutschen Nationalität sich zum besonderen Zweck macht und darin vor¬
kommenden Falls (?) auch den Maßstab seines Urtheils findet. Nach christ¬
licher Ansicht hingegen ist die Nationalität etwas blos Natürliches, dem an
und für sich keine Heiligkeit zukommt. Und eben darin zeigt sich, wohin der
Nationalliberalismus hinausläuft. nehmlich auf Berläugnung des Chri¬
stenthums durch ein neues Heidenthum. Ich glaube.gern, daß bei
weitem die Meisten diese Folge nicht übersehen, allein dies ändert die Sache
nicht, und nichts ist so gewiß, als daß das Nationalitätsprin¬
cip den Grundlehren des C h ri se meh ums'durchaus old er spricht.
Die Bibel weiß nur von einer Schöpfung des Menschen, nicht aber von einer
Schöpfung der verschiedenen Völker, als welche vielmehr erst später durch eine
innere Zersetzung der ursprünglich einigen Menschheit entstanden, wie die Er¬
zählung von dem babylonischen Thurmbau besagt. Daß diese Erzählung
offenbar in mythischem Gewände auftritt, gerade wie auch die Erzählung vom
Sündenfall, thut gleichwohl ihrer inneren Wahrheit nicht den geringsten Ein¬
trag. Und diese Wahrheit ist so wichtig, daß sie nicht nur eine Haupt¬
leuchte für die Geschichtsphilosophie bildet, sondern zugleich auch den Eckstein
des gesammten Völkerrechtes... Wie ist nun der Bibel nach die Entstehung
der Völker zu erklären? Als etwas blos Zufälliges wird sie in der Genesis
keinesweges geschildert. Dennoch aber sind die verschiedenen Nationalitäten
infolge dessen nicht als göttliche Stiftungen anzusehen, so daß sie dadurch
mit einer besonderen Weihe bekleidet wären. Vielmehr wird ausdrücklich ge¬
sagt, daß die Völkerscheidung eine That des göttlichen Zornes war, wonach
in dem Dasein der verschiedenen Völker nicht sowohl der gött¬
liche Wille erkannt werden muß, als vielmehr der göttliche
Unwille. Die Völkerscheidung war eine über die Menschheit verhängte
Strafe. Die Frage ist jetzt, was den göttlichen Zorn veranlaßte und was
er bedeutet? Die bis dahin noch ungeschiedene Menschheit, lesen wir, wollte
eine Stadt mit einem Thurm bauen, der bis in die Wolken reichen sollte.
Und das wollten die Menschen deshalb, weil sie selbst schon die Ahnung da¬
von hatten, sie möchten vielleicht zerstreut werden. Ihr innerer Zusammen¬
hang war also schwach geworden, und deshalb suchten sie die Einheit durch
materielle Mittel zu erhalten. Nämlich durch Begründung eines dominirenden
Centrums" (Preußen?), „wodurch sie sich einen Namen in der Welt machten,
und so die Anschauung ihrer eigenen Macht und Größe gewonnen, die ihnen
hinterher zu einem neuen Einheitsbande" (Bundesverfassung?), „dienen sollte.
Wodurch war denn aber der innere Zusammenhang so schwach geworden?
Darüber enthält zwar die biblische Erzählung selbst keine
Andeutung, es wird aber dem Ganzen der biblischen Lehre durchaus ent-


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[0355] „Schon der Name Nationalliberalismus besagt, daß er die Beförderung der deutschen Nationalität sich zum besonderen Zweck macht und darin vor¬ kommenden Falls (?) auch den Maßstab seines Urtheils findet. Nach christ¬ licher Ansicht hingegen ist die Nationalität etwas blos Natürliches, dem an und für sich keine Heiligkeit zukommt. Und eben darin zeigt sich, wohin der Nationalliberalismus hinausläuft. nehmlich auf Berläugnung des Chri¬ stenthums durch ein neues Heidenthum. Ich glaube.gern, daß bei weitem die Meisten diese Folge nicht übersehen, allein dies ändert die Sache nicht, und nichts ist so gewiß, als daß das Nationalitätsprin¬ cip den Grundlehren des C h ri se meh ums'durchaus old er spricht. Die Bibel weiß nur von einer Schöpfung des Menschen, nicht aber von einer Schöpfung der verschiedenen Völker, als welche vielmehr erst später durch eine innere Zersetzung der ursprünglich einigen Menschheit entstanden, wie die Er¬ zählung von dem babylonischen Thurmbau besagt. Daß diese Erzählung offenbar in mythischem Gewände auftritt, gerade wie auch die Erzählung vom Sündenfall, thut gleichwohl ihrer inneren Wahrheit nicht den geringsten Ein¬ trag. Und diese Wahrheit ist so wichtig, daß sie nicht nur eine Haupt¬ leuchte für die Geschichtsphilosophie bildet, sondern zugleich auch den Eckstein des gesammten Völkerrechtes... Wie ist nun der Bibel nach die Entstehung der Völker zu erklären? Als etwas blos Zufälliges wird sie in der Genesis keinesweges geschildert. Dennoch aber sind die verschiedenen Nationalitäten infolge dessen nicht als göttliche Stiftungen anzusehen, so daß sie dadurch mit einer besonderen Weihe bekleidet wären. Vielmehr wird ausdrücklich ge¬ sagt, daß die Völkerscheidung eine That des göttlichen Zornes war, wonach in dem Dasein der verschiedenen Völker nicht sowohl der gött¬ liche Wille erkannt werden muß, als vielmehr der göttliche Unwille. Die Völkerscheidung war eine über die Menschheit verhängte Strafe. Die Frage ist jetzt, was den göttlichen Zorn veranlaßte und was er bedeutet? Die bis dahin noch ungeschiedene Menschheit, lesen wir, wollte eine Stadt mit einem Thurm bauen, der bis in die Wolken reichen sollte. Und das wollten die Menschen deshalb, weil sie selbst schon die Ahnung da¬ von hatten, sie möchten vielleicht zerstreut werden. Ihr innerer Zusammen¬ hang war also schwach geworden, und deshalb suchten sie die Einheit durch materielle Mittel zu erhalten. Nämlich durch Begründung eines dominirenden Centrums" (Preußen?), „wodurch sie sich einen Namen in der Welt machten, und so die Anschauung ihrer eigenen Macht und Größe gewonnen, die ihnen hinterher zu einem neuen Einheitsbande" (Bundesverfassung?), „dienen sollte. Wodurch war denn aber der innere Zusammenhang so schwach geworden? Darüber enthält zwar die biblische Erzählung selbst keine Andeutung, es wird aber dem Ganzen der biblischen Lehre durchaus ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/355>, abgerufen am 04.07.2024.