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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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beHaltung des Ceremoniells der westlichen Kirche eine locale orthodoxe Kirche
zu stiften.

In demselben Maße, als man sich der bischöflichen Kirche freundschaft¬
lich zu nähern bestrebt war, wuchs die Kälte gegen Rom. Längst hatte man
die Erfahrung machen müssen, daß die katholische Geistlichkeit, besonders in
den westlichen Gegenden des Reichs , das religiöse Gebiet nicht - als ihr ein¬
ziges betrachte, daß ihr dort weit verbreiteter Einfluß in politischer Beziehung
nicht unbedenklich sei. Die Geschichte des letzten polnischen Aufstandes führte
zu der Erkenntniß, daß diesem Einfluß auf das Entschiedenste gesteuert wer¬
den müsse. Man entschloß sich, der römischen Curie jede Macht über die
katholischen Unterthanen Rußlands zu entziehen. Der mit Rom gepflogene
Meinungsaustausch flößte nur die Unwandelbarkeit dieses Entschlusses ein und
während die Unterhandlungen noch fortgesetzt wurden, schritt man zur That
Was hierauf den polnischen Katholiken gegenüber dabei auch geschehen sein
mag, man irrt, wenn man darin nur Ausschreitungen eonfessioneller Un¬
duldsamkeit erblickt. Die Beweggründe waren politischer Natur. Polen sollte
beruhigt, wirklich ein für alle Mal eine russische Provinz werden. Der dem
Reiche unerläßliche innere Friede konnte aber so lange nicht gesichert gelten,
als der bisherige Einfluß der römischen Curie auf das Volk fortdauerte. Nun
duldete man einfach nicht länger, daß russische Unterthanen noch eine an¬
dere Gewalt als die Gesetze Rußlands anerkannten und that damit denselben
Schritt, den Deutschland heute zu thun im Begriff ist. Das Ziel wurde er¬
reicht ziemlich schnell und ohne viel Lärm, weil man eben entschieden und
ohne Schwanken handelte.*)

Dieser Kampf war endgültig entschieden, als das Concil zu Rom die
Kirchenfrage für das ganze übrige Europa zur brennenden machte und zu¬
nächst die altkatholische Bewegung hervorrief. Nirgends ist diese
Wiederbelebung, der Gewissensfreiheit und des Geistes in der katholischen
Kirche von Anfang an mit größerer Theilnahme verfolgt worden, als von
der griechisch-orthodoxen Kirche.

Die orthodoxe Kirche erhoffte aus den Folgen jener Spaltung im anderen
Lager eine Kräftigung und Förderung der selbstunternommenen Wiederbele¬
bung. Diese Hoffnungen gewannen eine festere Gestalt, als es möglich wurde,
unter der bisherigen reinen Negation der Concilsgegner doch auch irgend eine
positive Satzung wenigstens angedeutet zu finden. Die Annahme der Bezeich¬
nung als Alt-Katholiken, das Zurückgehen auf die ersten vier Jahrhunderte
der christlichen Lehre war zwar noch kein sicher greifbares Programm, die
Haltung der Unzufriedenen noch keine bestimmte und einmüthige, -- indeß



") Noch heute wäre dieses, russische Recept dem Herrn Kultusminister or. Falk sehr zu em>
D. Red. Pfehlen.
Grenzboten IV. 1872. 43

beHaltung des Ceremoniells der westlichen Kirche eine locale orthodoxe Kirche
zu stiften.

In demselben Maße, als man sich der bischöflichen Kirche freundschaft¬
lich zu nähern bestrebt war, wuchs die Kälte gegen Rom. Längst hatte man
die Erfahrung machen müssen, daß die katholische Geistlichkeit, besonders in
den westlichen Gegenden des Reichs , das religiöse Gebiet nicht - als ihr ein¬
ziges betrachte, daß ihr dort weit verbreiteter Einfluß in politischer Beziehung
nicht unbedenklich sei. Die Geschichte des letzten polnischen Aufstandes führte
zu der Erkenntniß, daß diesem Einfluß auf das Entschiedenste gesteuert wer¬
den müsse. Man entschloß sich, der römischen Curie jede Macht über die
katholischen Unterthanen Rußlands zu entziehen. Der mit Rom gepflogene
Meinungsaustausch flößte nur die Unwandelbarkeit dieses Entschlusses ein und
während die Unterhandlungen noch fortgesetzt wurden, schritt man zur That
Was hierauf den polnischen Katholiken gegenüber dabei auch geschehen sein
mag, man irrt, wenn man darin nur Ausschreitungen eonfessioneller Un¬
duldsamkeit erblickt. Die Beweggründe waren politischer Natur. Polen sollte
beruhigt, wirklich ein für alle Mal eine russische Provinz werden. Der dem
Reiche unerläßliche innere Friede konnte aber so lange nicht gesichert gelten,
als der bisherige Einfluß der römischen Curie auf das Volk fortdauerte. Nun
duldete man einfach nicht länger, daß russische Unterthanen noch eine an¬
dere Gewalt als die Gesetze Rußlands anerkannten und that damit denselben
Schritt, den Deutschland heute zu thun im Begriff ist. Das Ziel wurde er¬
reicht ziemlich schnell und ohne viel Lärm, weil man eben entschieden und
ohne Schwanken handelte.*)

Dieser Kampf war endgültig entschieden, als das Concil zu Rom die
Kirchenfrage für das ganze übrige Europa zur brennenden machte und zu¬
nächst die altkatholische Bewegung hervorrief. Nirgends ist diese
Wiederbelebung, der Gewissensfreiheit und des Geistes in der katholischen
Kirche von Anfang an mit größerer Theilnahme verfolgt worden, als von
der griechisch-orthodoxen Kirche.

Die orthodoxe Kirche erhoffte aus den Folgen jener Spaltung im anderen
Lager eine Kräftigung und Förderung der selbstunternommenen Wiederbele¬
bung. Diese Hoffnungen gewannen eine festere Gestalt, als es möglich wurde,
unter der bisherigen reinen Negation der Concilsgegner doch auch irgend eine
positive Satzung wenigstens angedeutet zu finden. Die Annahme der Bezeich¬
nung als Alt-Katholiken, das Zurückgehen auf die ersten vier Jahrhunderte
der christlichen Lehre war zwar noch kein sicher greifbares Programm, die
Haltung der Unzufriedenen noch keine bestimmte und einmüthige, — indeß



") Noch heute wäre dieses, russische Recept dem Herrn Kultusminister or. Falk sehr zu em>
D. Red. Pfehlen.
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[0345] beHaltung des Ceremoniells der westlichen Kirche eine locale orthodoxe Kirche zu stiften. In demselben Maße, als man sich der bischöflichen Kirche freundschaft¬ lich zu nähern bestrebt war, wuchs die Kälte gegen Rom. Längst hatte man die Erfahrung machen müssen, daß die katholische Geistlichkeit, besonders in den westlichen Gegenden des Reichs , das religiöse Gebiet nicht - als ihr ein¬ ziges betrachte, daß ihr dort weit verbreiteter Einfluß in politischer Beziehung nicht unbedenklich sei. Die Geschichte des letzten polnischen Aufstandes führte zu der Erkenntniß, daß diesem Einfluß auf das Entschiedenste gesteuert wer¬ den müsse. Man entschloß sich, der römischen Curie jede Macht über die katholischen Unterthanen Rußlands zu entziehen. Der mit Rom gepflogene Meinungsaustausch flößte nur die Unwandelbarkeit dieses Entschlusses ein und während die Unterhandlungen noch fortgesetzt wurden, schritt man zur That Was hierauf den polnischen Katholiken gegenüber dabei auch geschehen sein mag, man irrt, wenn man darin nur Ausschreitungen eonfessioneller Un¬ duldsamkeit erblickt. Die Beweggründe waren politischer Natur. Polen sollte beruhigt, wirklich ein für alle Mal eine russische Provinz werden. Der dem Reiche unerläßliche innere Friede konnte aber so lange nicht gesichert gelten, als der bisherige Einfluß der römischen Curie auf das Volk fortdauerte. Nun duldete man einfach nicht länger, daß russische Unterthanen noch eine an¬ dere Gewalt als die Gesetze Rußlands anerkannten und that damit denselben Schritt, den Deutschland heute zu thun im Begriff ist. Das Ziel wurde er¬ reicht ziemlich schnell und ohne viel Lärm, weil man eben entschieden und ohne Schwanken handelte.*) Dieser Kampf war endgültig entschieden, als das Concil zu Rom die Kirchenfrage für das ganze übrige Europa zur brennenden machte und zu¬ nächst die altkatholische Bewegung hervorrief. Nirgends ist diese Wiederbelebung, der Gewissensfreiheit und des Geistes in der katholischen Kirche von Anfang an mit größerer Theilnahme verfolgt worden, als von der griechisch-orthodoxen Kirche. Die orthodoxe Kirche erhoffte aus den Folgen jener Spaltung im anderen Lager eine Kräftigung und Förderung der selbstunternommenen Wiederbele¬ bung. Diese Hoffnungen gewannen eine festere Gestalt, als es möglich wurde, unter der bisherigen reinen Negation der Concilsgegner doch auch irgend eine positive Satzung wenigstens angedeutet zu finden. Die Annahme der Bezeich¬ nung als Alt-Katholiken, das Zurückgehen auf die ersten vier Jahrhunderte der christlichen Lehre war zwar noch kein sicher greifbares Programm, die Haltung der Unzufriedenen noch keine bestimmte und einmüthige, — indeß ") Noch heute wäre dieses, russische Recept dem Herrn Kultusminister or. Falk sehr zu em> D. Red. Pfehlen. Grenzboten IV. 1872. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/345>, abgerufen am 04.07.2024.