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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Wir verschweigen nicht, daß für jeden praktischen Politiker in Preußen
noch allerlei Anstoß in jenem EntWurfe sich findet. Man hat schon als solchen
hervorgehoben, daß Stockmar Frankfurt zur Reichshauptstadt machen will.
Aber so bedenklich diese oder ähnliche Ausstellungen klingen, gewiß bleibt es,
daß sie Nebenpunkte betreffen. Die Hauptsache bleibt doch die Identität der
preußischen mit der deutschen Regierung. Man vergleiche nur diesen Entwurf
mit der Siebzehnerverfassung, in welcher ihr Autor Dahlmann schon recht
bedenkliche Concessionen an jene unklare und unbestimmte, in der Luft
schwebende Reichsidee gemacht hatte. Oder man vergleiche Stockmar's Grund¬
riß mit den gutgemeinten aber confusen und unpraktischen Vorschlägen, welche
Prinz Albert in London und Bunsen nach Deutschland gelangen ließen. Die
einfachen und gesunden Gedanken Stockmar's wurden damals gar nicht recht
verstanden, selbst die deutsche Zeitung fühlte sich durch sie befremdet. Und
die Vortrefflichkeit des Bundesstaates gegenüber seinen Projekten versuchte
man ihm deutlich zu machen. Man lockte damit aus ihm entschiedenen und
principiellen Protest gegen alle "Föderation" , gegen alle unklaren und un¬
sauberen Staatsmischungen hervor.

Dies ist der Moment in Stockmar's Leben, in welchem er als Acteur
selbst auf die Bühne trat. Als coburgischer Bundestagsgesandter kam er
nach Frankfurt, und wirkte dort für seine Ideen. Das ist die Zeit, in welcher
jene an der Spitze dieses Artikels besprochene Aussicht, Stockmar ins Reichs-
Ministerium aufzunehmen, angeregt worden ist. Man sieht: der rechte Mann
würde in die rechte Stelle gekommen sein.

Ein anderes ist es, die richtigen Gedanken über die wünschenswerthe
Gestaltung der Politik zu erfassen, zu hegen und überzeugend darzulegen: --
ein anderes, den richtigen Weg zur Verwirklichung derselben zu wissen, zu
zeigen und selbst zu betreten. In ganz eminenter Weise eigneten Stockmar
die beiden Eigenschaften, die nur in ihrer Verbindung den wirklichen Staats¬
mann erschaffen. Das xunotum saUens für die nationale Politik, deren Um¬
risse er schärfer und richtiger und cousequenter als viele seiner Genossen gesehen
und gezeichnet hatte, war die Frage, ob es gelingen könne, den preußischen
Staat, d. h. zunächst König Friedrich Wilhelm IV., für diese Idee zu ge¬
winnen. In jenem Augenblicke durfte das noch als eine offene Frage gelten.
Man nahm fast allgemein an, daß der gefühlsselige König einige Neigungen
nach dieser Richtung habe. Aber nicht nur platonische Liebe durfte man in
Berlin für die deutsche Braut empfinden, sondern man mußte auch entschlossen
sein, sie mit thätiger Lievesumfassung zu bezwingen. Daß das die entschei-
dende Frage sei, sah Stockmar sofort. Ehe man handeln konnte, mußte man
wissen, wie weit der König zu einer wirklichen Action mitwirken würde.

Dies zu constatiren, schlug Stockmar den directen Weg ein; er legte


Wir verschweigen nicht, daß für jeden praktischen Politiker in Preußen
noch allerlei Anstoß in jenem EntWurfe sich findet. Man hat schon als solchen
hervorgehoben, daß Stockmar Frankfurt zur Reichshauptstadt machen will.
Aber so bedenklich diese oder ähnliche Ausstellungen klingen, gewiß bleibt es,
daß sie Nebenpunkte betreffen. Die Hauptsache bleibt doch die Identität der
preußischen mit der deutschen Regierung. Man vergleiche nur diesen Entwurf
mit der Siebzehnerverfassung, in welcher ihr Autor Dahlmann schon recht
bedenkliche Concessionen an jene unklare und unbestimmte, in der Luft
schwebende Reichsidee gemacht hatte. Oder man vergleiche Stockmar's Grund¬
riß mit den gutgemeinten aber confusen und unpraktischen Vorschlägen, welche
Prinz Albert in London und Bunsen nach Deutschland gelangen ließen. Die
einfachen und gesunden Gedanken Stockmar's wurden damals gar nicht recht
verstanden, selbst die deutsche Zeitung fühlte sich durch sie befremdet. Und
die Vortrefflichkeit des Bundesstaates gegenüber seinen Projekten versuchte
man ihm deutlich zu machen. Man lockte damit aus ihm entschiedenen und
principiellen Protest gegen alle „Föderation" , gegen alle unklaren und un¬
sauberen Staatsmischungen hervor.

Dies ist der Moment in Stockmar's Leben, in welchem er als Acteur
selbst auf die Bühne trat. Als coburgischer Bundestagsgesandter kam er
nach Frankfurt, und wirkte dort für seine Ideen. Das ist die Zeit, in welcher
jene an der Spitze dieses Artikels besprochene Aussicht, Stockmar ins Reichs-
Ministerium aufzunehmen, angeregt worden ist. Man sieht: der rechte Mann
würde in die rechte Stelle gekommen sein.

Ein anderes ist es, die richtigen Gedanken über die wünschenswerthe
Gestaltung der Politik zu erfassen, zu hegen und überzeugend darzulegen: —
ein anderes, den richtigen Weg zur Verwirklichung derselben zu wissen, zu
zeigen und selbst zu betreten. In ganz eminenter Weise eigneten Stockmar
die beiden Eigenschaften, die nur in ihrer Verbindung den wirklichen Staats¬
mann erschaffen. Das xunotum saUens für die nationale Politik, deren Um¬
risse er schärfer und richtiger und cousequenter als viele seiner Genossen gesehen
und gezeichnet hatte, war die Frage, ob es gelingen könne, den preußischen
Staat, d. h. zunächst König Friedrich Wilhelm IV., für diese Idee zu ge¬
winnen. In jenem Augenblicke durfte das noch als eine offene Frage gelten.
Man nahm fast allgemein an, daß der gefühlsselige König einige Neigungen
nach dieser Richtung habe. Aber nicht nur platonische Liebe durfte man in
Berlin für die deutsche Braut empfinden, sondern man mußte auch entschlossen
sein, sie mit thätiger Lievesumfassung zu bezwingen. Daß das die entschei-
dende Frage sei, sah Stockmar sofort. Ehe man handeln konnte, mußte man
wissen, wie weit der König zu einer wirklichen Action mitwirken würde.

Dies zu constatiren, schlug Stockmar den directen Weg ein; er legte


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[0338] Wir verschweigen nicht, daß für jeden praktischen Politiker in Preußen noch allerlei Anstoß in jenem EntWurfe sich findet. Man hat schon als solchen hervorgehoben, daß Stockmar Frankfurt zur Reichshauptstadt machen will. Aber so bedenklich diese oder ähnliche Ausstellungen klingen, gewiß bleibt es, daß sie Nebenpunkte betreffen. Die Hauptsache bleibt doch die Identität der preußischen mit der deutschen Regierung. Man vergleiche nur diesen Entwurf mit der Siebzehnerverfassung, in welcher ihr Autor Dahlmann schon recht bedenkliche Concessionen an jene unklare und unbestimmte, in der Luft schwebende Reichsidee gemacht hatte. Oder man vergleiche Stockmar's Grund¬ riß mit den gutgemeinten aber confusen und unpraktischen Vorschlägen, welche Prinz Albert in London und Bunsen nach Deutschland gelangen ließen. Die einfachen und gesunden Gedanken Stockmar's wurden damals gar nicht recht verstanden, selbst die deutsche Zeitung fühlte sich durch sie befremdet. Und die Vortrefflichkeit des Bundesstaates gegenüber seinen Projekten versuchte man ihm deutlich zu machen. Man lockte damit aus ihm entschiedenen und principiellen Protest gegen alle „Föderation" , gegen alle unklaren und un¬ sauberen Staatsmischungen hervor. Dies ist der Moment in Stockmar's Leben, in welchem er als Acteur selbst auf die Bühne trat. Als coburgischer Bundestagsgesandter kam er nach Frankfurt, und wirkte dort für seine Ideen. Das ist die Zeit, in welcher jene an der Spitze dieses Artikels besprochene Aussicht, Stockmar ins Reichs- Ministerium aufzunehmen, angeregt worden ist. Man sieht: der rechte Mann würde in die rechte Stelle gekommen sein. Ein anderes ist es, die richtigen Gedanken über die wünschenswerthe Gestaltung der Politik zu erfassen, zu hegen und überzeugend darzulegen: — ein anderes, den richtigen Weg zur Verwirklichung derselben zu wissen, zu zeigen und selbst zu betreten. In ganz eminenter Weise eigneten Stockmar die beiden Eigenschaften, die nur in ihrer Verbindung den wirklichen Staats¬ mann erschaffen. Das xunotum saUens für die nationale Politik, deren Um¬ risse er schärfer und richtiger und cousequenter als viele seiner Genossen gesehen und gezeichnet hatte, war die Frage, ob es gelingen könne, den preußischen Staat, d. h. zunächst König Friedrich Wilhelm IV., für diese Idee zu ge¬ winnen. In jenem Augenblicke durfte das noch als eine offene Frage gelten. Man nahm fast allgemein an, daß der gefühlsselige König einige Neigungen nach dieser Richtung habe. Aber nicht nur platonische Liebe durfte man in Berlin für die deutsche Braut empfinden, sondern man mußte auch entschlossen sein, sie mit thätiger Lievesumfassung zu bezwingen. Daß das die entschei- dende Frage sei, sah Stockmar sofort. Ehe man handeln konnte, mußte man wissen, wie weit der König zu einer wirklichen Action mitwirken würde. Dies zu constatiren, schlug Stockmar den directen Weg ein; er legte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/338>, abgerufen am 22.07.2024.