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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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noch manche wackere Gesinnungsgenossen, welche für Schaffung von Reichsor-
ganen, für eine größere Lösung der Neichsregierung von der preußischen Ver¬
waltung schwärmen; es kommen Momente vor, in welchen der Spuk des
"Bundesstaates" auch im deutschen Parlamentshause wieder umgeht. Gönnen
wir unseren Staatsrechtstheoretikern die theoretischen Distinctionen und Be¬
griffssonderungen, -- solange nur die Praxis an der 1866 und 1867 ergriffenen
Basis festhält!

Weßhalb diese Abschweifung? Es lag uns daran, die ganze Bedeutung
und Tragweite der politischen Gedanken Stockmar's hier verständlich zu
machen. Welch ein Unterschied zwischen ihm und seinen meisten Gesinnungs¬
genossen von 1848! Dieser Sohn eines deutschen Kleinstaates, der sein Leben
außerhalb Deutschlands zugebracht, der von dem Studium europäischer Poli¬
tik herkam, der die Principien des englischen Parlamentarismus in die Tie¬
fen seines Geistes aufgenommen hatte, dem dagegen der preußische Staat
eigentlich doch ein fremdes Wesen war (und auch geblieben ist), -- er sprach
den Gedanken aus, der mehr wie irgend eines anderen Politikers damaliges
Programm ein politisch brauchbarer war, Vorläufer des später Verwirklichten.

So viel wir wissen, war Stockmar der Erste der im Frühjahr 1848
öffentlich an die Adresse der Frankfurter Versammlung jene beiden Grundge¬
danken mit der nöthigen Deutlichkeit aussprach. Er forderte in der deutschen
Zeitung vom 27. Mai den Ausschluß Oesterreichs; -- er bedauerte diese
Nothwendigkeit, er ließ auch die andere Alternative noch offen, daß die deut¬
schen Theile Oesterreichs dem preußisch-deutschen Reiche sich unterordnen wollten;
jedoch an die damit angedeutete Zerreißung Oestreichs glaubte er selbst nicht;
es war ein Glied seiner Argumentation, mehr wie ein ernstlich gemeinter Vor¬
schlag. Am einfachsten würde ihm der Einheitsstaat erscheinen. Da aber diese
Möglichkeit wohl auf Widerstand stoßen würde, so empfiehlt er eine andere
Form, welche die vernünftige Selbstständigkeit der Theile einstweilen möglichst
schonen wollte, welche aber dem Uebergange in den Einheitsstaat allen Vorschub
leistete. An die Spitze berief er natürlich Preußen; das sollte unmittelbares
Reichsland werden, unter Kaiser, Reichsministerium und Reichsparlament; die
übrigen Staaten nannte er mittelbares Reichsgebiet, weil sich dort noch die
Partikularregierung zwischen Kaiser und Reich einschieben würde. Die formale
Einkleidung in die Formel des mittelbaren und unmittelbaren Reichslandes ist
bei dem Projekte Nebensache, -- die Hauptsache ist, daß Preußen Centrum
und Schwerpunkt des Ganzen wird, und daß zunächst schon die Verfügung
über die vorhandenen Kräfte der preußischen d. h. der Neichsregierung anheim¬
fällt. Jede Reibung zwischen Preußen und dem Reich, jeder Gegensatz und
Widerspruch ist ausgeschlossen; denn die preußische Verwaltung selbst ist nach
diesem Plane die des ganzen Reiches.


Gmizboten IV. l872. 42

noch manche wackere Gesinnungsgenossen, welche für Schaffung von Reichsor-
ganen, für eine größere Lösung der Neichsregierung von der preußischen Ver¬
waltung schwärmen; es kommen Momente vor, in welchen der Spuk des
„Bundesstaates" auch im deutschen Parlamentshause wieder umgeht. Gönnen
wir unseren Staatsrechtstheoretikern die theoretischen Distinctionen und Be¬
griffssonderungen, — solange nur die Praxis an der 1866 und 1867 ergriffenen
Basis festhält!

Weßhalb diese Abschweifung? Es lag uns daran, die ganze Bedeutung
und Tragweite der politischen Gedanken Stockmar's hier verständlich zu
machen. Welch ein Unterschied zwischen ihm und seinen meisten Gesinnungs¬
genossen von 1848! Dieser Sohn eines deutschen Kleinstaates, der sein Leben
außerhalb Deutschlands zugebracht, der von dem Studium europäischer Poli¬
tik herkam, der die Principien des englischen Parlamentarismus in die Tie¬
fen seines Geistes aufgenommen hatte, dem dagegen der preußische Staat
eigentlich doch ein fremdes Wesen war (und auch geblieben ist), — er sprach
den Gedanken aus, der mehr wie irgend eines anderen Politikers damaliges
Programm ein politisch brauchbarer war, Vorläufer des später Verwirklichten.

So viel wir wissen, war Stockmar der Erste der im Frühjahr 1848
öffentlich an die Adresse der Frankfurter Versammlung jene beiden Grundge¬
danken mit der nöthigen Deutlichkeit aussprach. Er forderte in der deutschen
Zeitung vom 27. Mai den Ausschluß Oesterreichs; — er bedauerte diese
Nothwendigkeit, er ließ auch die andere Alternative noch offen, daß die deut¬
schen Theile Oesterreichs dem preußisch-deutschen Reiche sich unterordnen wollten;
jedoch an die damit angedeutete Zerreißung Oestreichs glaubte er selbst nicht;
es war ein Glied seiner Argumentation, mehr wie ein ernstlich gemeinter Vor¬
schlag. Am einfachsten würde ihm der Einheitsstaat erscheinen. Da aber diese
Möglichkeit wohl auf Widerstand stoßen würde, so empfiehlt er eine andere
Form, welche die vernünftige Selbstständigkeit der Theile einstweilen möglichst
schonen wollte, welche aber dem Uebergange in den Einheitsstaat allen Vorschub
leistete. An die Spitze berief er natürlich Preußen; das sollte unmittelbares
Reichsland werden, unter Kaiser, Reichsministerium und Reichsparlament; die
übrigen Staaten nannte er mittelbares Reichsgebiet, weil sich dort noch die
Partikularregierung zwischen Kaiser und Reich einschieben würde. Die formale
Einkleidung in die Formel des mittelbaren und unmittelbaren Reichslandes ist
bei dem Projekte Nebensache, — die Hauptsache ist, daß Preußen Centrum
und Schwerpunkt des Ganzen wird, und daß zunächst schon die Verfügung
über die vorhandenen Kräfte der preußischen d. h. der Neichsregierung anheim¬
fällt. Jede Reibung zwischen Preußen und dem Reich, jeder Gegensatz und
Widerspruch ist ausgeschlossen; denn die preußische Verwaltung selbst ist nach
diesem Plane die des ganzen Reiches.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/337>, abgerufen am 22.07.2024.